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Dezember 2005
Robert Mießner
für satt.org


Judith Juillerat:
Soliloquy

Shitkatapult 2005

Cover
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Judith Juillerat:
Soliloquy

Trance [tra:ns], die: franz. für entrückter Zustand.
                                         Duden 2005

Hände weg von dieser Platte – vorsorglich für den Fall, dass Hintergrundmusik für die nächste Prenzlauer Berg-Boutique oder Berlin-Mitte-Galerie gesucht wird. Investieren Sie ihre 16,99 € lieber in leichtere Kost. Wer dagegen zwischen Stereolab oder dem letzten Album der Einstürzenden Neubauten Abwechslung sucht, sollte hier weiterlesen und den Weg zum Plattenhändler seines Vertrauens antreten.

Neuer elektronischer Musik eilt ein seltsamer Ruf voraus. Angetrieben von fragwürdigen Substanzen und verschanzt hinter ihrem Laptop, basteln übernächtigte Städtebewohner zwischen 25 und 30 in den Hinterhöfen der Metropolen am Material Musik. Muss noch erwähnt werden, dass die Mehrzahl von ihnen männlich ist? Dabei geht es auch anders. Seit zehn Jahren geniesst Judith Juillerat im ostfranzösischen Besançon den Blick auf das nahegelegene Jura-Gebirge. Die Mittdreißigerin und Mutter zweier Kinder (6 und 8 Jahre alt) sammelt alte und neue Analog- und Digital-Synthesizer. Kennt sich mit Beatboxes, Minisamplern und Effektgeräten genauso gut aus wie mit den akustischen Klassikern Gitarre und Klavier. Sie verzichtet absichtlich auf die Allmacht des Computers und setzt ihre Songs und Klangcollagen am altmodischen Mehrspurrecorder zusammen. Insgesamt 13 so entstandene Klangstücke liegen jetzt auf ihrem Debütalbum Soliloquy vor.

Es beendet ein Jahr voller Arbeit. Anfang 2005 hat Juillerat gemeinsam mit ihrem Landsmann Fred Debief als Super 8 mit Dramatic Airlines eine atmosphärische LP veröffentlicht. Zeitgleich konnte sie sich in Björks Remix-Contest von Army Of Me gegen 600 Konkurrenten erfolgreich durchsetzen. Beide Male hat sie sich dabei hinter dem Pseudonym „Liliom“ versteckt – Soliloquy ist ihre erste Veröffentlichung unter eigenem Namen. Eine Veröffentlichung, die diesen mit Stolz tragen kann. Was ihr Debüt aus einer Vielzahl ähnlicher Veröffentlichungen hervorhebt, ist der Sinn für Spannung und Überraschung. Allen Songs haftet ein bewusst skizzenartiger Charakter an. Wäre Offenheit kein überstrapaziertes Attribut, würde es „Soliloquy“ treffend beschreiben. Nicht im einsamen Selbstgespräch, wie der Albumtitel nahelegt, sondern als Erzählerin tritt Juillerat vor ihr Publikum.

Sie bedient sich dabei hauptsächlich zweier Methoden. Haphazardly, Vol-Au-Vent und die auf dem Album noch einmal veröffentliche Version des Björk-Hits von 1995, hier betitelt A (r) mour, kommen als elegischer Elektropop mit Störgeräuschen daher. Zum anderen repetive, schroffe Instrumentals, die noch eine ganz andere Schule erahnen lassen und verraten. Neben Blixa Bargeld & Kollegen nennt Juillerat die deutschen Experimentalsenioren Can und Amon Düül wie auch deren Jünger, Ronald Lippok und Bernd Jestram von Tarwater, als maßgebliche Inspirationsgeber. Es ist nicht zu überhören – weder in dem unheimlichen Piece Of Folk noch in Mes Nuits Sont Plus Belles Que Vos Jours, einem Seitenhieb auf das offizielle Amerika. Forget Me Not hat sie eine der Collagen betitelt. Mit diesem Album ist ihr Wunsch bereits erfüllt. Einen Hörsturz muss dabei trotzdem niemand befürchten. Soliloquy sorgt für Hypnose und wache Trance. Fast schon beiläufig, ohne jede Aufgeregtheit gelingt es Juillerat, ihre Hörer in ihren Bann zu ziehen. Und so schnell nicht wieder loszulassen. Auch für Elektroskeptiker unbedingt einen Versuch wert.