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Februar 2004
Christina Mohr
und Petra Zimlich
für satt.org


Dirk Darmstaedter & Bernd Begemann:
This Road doesn't lead to my House anymore

Tapete 2003

Dirk Darmstaedter & Bernd Begemann: This Road doesn't lead to my House anymore

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Von der Reeperbahn
auf die Landstraße


Dirk Darmstaedter
& Bernd Begemann
im Gespräch





Dirk Darmstaedter & Bernd Begemann
Dirk Darmstaedter (r.) & Bernd Begemann (l.)

Zwei Musiker aus Hamburg tun sich zusammen, interpretieren Songs von Jim Croce, Hank Williams, John Martin Sommers (aka John Denver), schreiben noch ein paar eigene und fertig ist "This Road Doesn’t Lead To My House Anymore". Das klingt nach purem Country, hat aber mit Country sowohl im klassischen wie auch im alternativen Sinne nur wenig zu tun. Denn die musikalischen Stationen von Bernd Begemann und Dirk Darmstaedter (Ex-Jeremy Days) haben auf dem Album ihre Spuren hinterlassen, die Pop-Einflüsse der 90er Jahre sind nicht zu überhören. Leicht, fröhlich, aber auch durchaus melancholisch kommen die Songs daher: "Lack of a Lover" ist ein typischer Begemann-Song (der es übrigens beinahe in die Viva-Rotation geschafft hätte, aber es wurde anders entschieden. Die Viva-Zielgruppe sei angeblich zu jung für diese Art "Erwachsenenmusik"), "When I Wasn't Making Lots of Money" trägt die eindeutige Handschrift Dirk Darmstaedters. Keine aufrührerische Rebellenmusik, sondern angenehme, freundliche, warme Songs, die beiden Musikern ein neues Publikum – zusätzlich zu den vielen alten! - erschließen werden.

Vor ihrem Konzert im Frankfurter Cookys am 22.12.2003 haben wir den beiden einige Fragen gestellt.

Wie entsteht ein solches Projekt zweier doch sehr unterschiedlicher Musiker? Ist zuerst ein gemeinsamer Musikgeschmack da oder steht die Idee am Anfang, etwas gemeinsam zu machen, und die Musik muss noch gefunden werden?

BB: So eindeutig kann man das nicht festlegen. Wir haben uns immer gegenseitig bei unseren Konzerten besucht, auf der Bühne zusammen Sachen gesungen, auf die wir uns beide einigen konnten, Songs ausgesucht, die uns gemeinsam gefallen haben. Dahinter stand ein Geist, dem wir uns verbunden fühlen, die Romantik, die in diesen Songs steckt - eine poppige Art Country. Das war sozusagen ein organischer Prozess. Daraus ist die Idee entstanden, dieses Projekt zu entwickeln. Wir fühlen uns Romantikern wie John Heartford oder Jim Croce verbunden, mehr dem Singer-Songwritertum. Songs wie "I Got A Name", Gentle On My Mind" oder "Wichita Line Man". Deshalb ist unser Album nicht der Country, den heutzutage alle als Country verstehen. Nicht dieses negative, depressive, traurig-melancholische Zeug. Unsere Musik soll Spaß machen, positiv sein. Wer sagt denn, dass beim Country immer traurige Leute auf der Bühne stehen müssen? Diese knarzig klingenden Songs mit verstimmtem Akkordeon - oh Gott, nein, das hassen wir.

Wie steht Ihr dann zur Vermarktung des Albums als Countryscheibe? Und zu der Kritik, die in einigen Pressestimmen zu vernehmen war, dass da ein falsches Etikett vergeben wurde?

BB: Moment! Was ist denn für die Country? Das ist genau das Problem, der Schwachsinn. Country war auch immer das Licht, das Helle, das Positive. Ich sage, wir sind mehr Country als beispielsweise Fink. Entschuldigung, jetzt hab' ich sie doch genannt.
DD: Das ist aber auch die übliche Erwartungshaltung in Deutschland gegenüber Country. Ich sage ja auch immer, dass für mich "This Road Doesn’t Lead To My House Anymore" countriesker Songpop ist. Das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Nur, sobald du in Deutschland anfängst, ein paar Akkorde auf einer Steelgitarre zu spielen, dann wird es gleich in die Countryschublade gesteckt. Es ist schon richtig, dass in Deutschland zur Zeit Alternative Country ganz hip ist, ich finde das auch gut. Ich bin auch großer Wilco-Fan! Aber unser Ansatz war eben immer ein anderer, und kommt eher von diesem Songwriter- und Entertaineraspekt. Weil wir eben diese Stücke lieben von Glen Campbell oder Tammy Wynette, und in die Richtung wollten wir eben was machen. Wenn du in Deutschland gewisse Stilelemente benutzt, ist es für die einen entweder Truck Stop oder Lady Dagmar und damit außerhalb jeder Diskussion. Oder aber so was wie Fink und damit dann auch wieder okay. Wir eröffnen eben einfach mal eine andere Sparte.
BB: Und wir übertragen unsere gegenwärtige Situation in unsere Musik! Etwas, das man "contemporary record" nennt - keine eklektische Musik. Die Lieder handeln von unserem Leben. Es geht ums Rumfahren, Ankommen, Nachhause kommen. Und die Frage: Ist das noch mein Zuhause, wenn ich wiederkomme? Das sind so die essentiellen Fragen in unserem Leben. Und das ist die Form, der Musikstil, der dazu passt und angemessen ist. Ich habe sehr unterschiedliche Platten im diesem Jahr gemacht. Meine Soloplatte "Endlich" ist wie eine große Romanze, wie Doktor Schiwago. Unsere gemeinsame Platte dagegen ist wie ein Mittsiebziger-Roadmovie. Wie vielleicht "Harry and Tonto" (Anmerkung der Redaktion: Roadmovie aus dem Jahr 1974 über einen alten Mann und seinen Kater). Wieso sollte man nicht verschiedene Arten von Filmen drehen, um sich auszudrücken. Die Leute bewundern Künstler, die immer das gleiche machen. Dazu habe ich nie gehört. Zum Beispiel David Lynch: in den Filmkritiken wirst du immer sehen, dass die Leute das hervorheben, was sie schon aus vorherigen Filmen kennen. Sie suchen nie das Neue. Ich mag es, immer Neues auszuprobieren, neue Formen des Ausdrucks zu finden

Neu ist für Bernd Begemann ja auch das Singen auf Englisch. Hattet Ihr Euch auch überlegt, die Songs auf Deutsch aufzunehmen?

BB: Nein. Dirk war ein zwar bisschen misstrauisch: "Englisch - kannst du das denn?" Ja, ich kann Englisch. Und dann ging’s auch.

Was ist der Unterschied zwischen Deutsch und Englisch?

BB: Auf Deutsch ist es ein bisschen schwerer, diese Art von Liedern zu singen, weil es nicht so viele Vorbilder gibt.

Und dadurch, dass man die Texte so viel besser versteht, ist man bei deutschen Texten als Hörer auch immer ein bisschen kritischer, oder?

BB: Typisch! Das ist die Art der Rezeption in Deutschland. Man hört immer nur auf die Texte oder nur auf die Musik. In anderen Ländern hören die Leute beides gleichzeitig, in Deutschland ist das unmöglich. Ein Lied ist eine Hybridform. Beide Ausdrucksformen – Text und Musik – gehören zusammen und verstärken sich gegenseitig. Aber hier in Deutschland läßt entweder deine private Germanistikzensurbehörde die Texte durchgehen oder man lobt "nur" die Musik: "Ach, das ist ja nur ein Kraftwerk-Song" – das ist aber Schwachsinn! Es gab schon mal eine deutsche Liedkultur, die von den Nazis zerstört worden ist, damals hat das Lied das Land verlassen.

Welche Art von Lied meinst du?

BB: Von Friedrich Holländer angefangen über Volkslieder und Lieder aus den zwanziger und dreißiger Jahren
DD: Wir haben in Deutschland eine andere Liedkultur, wie sie in den USA beispielsweise von Bob Dylan verwirklicht wird – der aus einem endlosen Strom von Volksmusik, Blues, Hinterwäldlermusik schöpfen kann, angefangen bei der Carter Family bis hin zu Leadbelly. In Deutschland gibt es ja eher diese Operettentradition.

In einem Artikel in der Frankfurter Rundschau wird Eure Platte in einem Atemzug mit den neuen Alben von Funny van Dannen und Olli Schulz besprochen. Seht Ihr Euch mit diesen Künstlern in einer Reihe?

BB: Faulheit!
DD: Ich kenne die neue Platte von Funny van Dannen nicht und von Olli Schulz kenne ich nur ein Lied. Schreiber versuchen immer gern, verschiedene Künstler zusammenzupacken und ihnen ein neues Label aufzudrücken. Früher war es immer so, dass ich gern mit Niels Frevert in einen Topf geworfen wurde, weil wir befreundet sind und aus Hamburg kommen und unsere letzten Platten zur gleichen Zeit rausgekommen sind.
BB: Jeder will aber am liebsten eine Besprechung für sich alleine.

Ein Rezensent war über Euer Projekt nicht sonderlich verwundert. Er meinte, es sei nicht ungewöhnlich, dass Männer um die 40 Country entdecken, da irgendwann die Frau weg sei, das Pferd lahme, und die Flasche nicht mal mehr halb voll sei. Wir gehen mal davon aus, dass diese drei Punkte auf euch nicht zutreffen, aber muss man ein gewisses Alter erreicht haben, um sich zu "kitschiger" Musik bekennen zu können?

BB: WAS? Was ist kitschig? Weißt Du, was kitschig ist? Tote Theweleit-Texte von Leuten, die meinen, sie müssen jetzt Hamburger Schule machen!

Das Wort war falsch.

BB: Nein, genauso hast Du's ja gemeint.

Leute trauen sich oft nicht zuzugeben, dass sie etwas schön finden und bezeichnen es dann als kitschig –

BB: …und das ist wieder so eine Sache, die typisch für Deutschland ist und zeigt, dass dieses Land seelisch verkrüppelt ist! Und die einzigen, die daran etwas ändern können, sind mein Kumpel Dirk und ich!

Was glaubt Ihr – kommen die Leute zu Euren Konzerten, weil sie Dirk von den Jeremy Days kennen oder kommen hauptsächlich Bernd-Fans? Und sind es eher die alten Fans?

DD: Ich hatte eine strengere Trennung erwartet – hier die Bernd-Fraktion, dort die Jeremy Days-Fans, aber es kommen offensichtlich viele Leute, die wegen der CD kommen. Weil sie etwas gelesen haben und das interessant finden. Leute aller Altersgruppen, die das Konzept von "This Road …" spannend finden. Insgesamt sind die Unterschiede schwer zu orten, aber die Reaktion ist immer Bombe!
Leider sind ja Informationen zu neuen Veröffentlichung immer schwieriger zu bekommen, weil es keine echte Radiokultur mehr gibt. Es ist also auch für die Labels schwierig, neue Alben bekannt zu machen.

Wird es ein Folgeprojekt geben?

DD: Geplant ist noch gar nichts, aber es bringt Spaß und: Never say never!

Vielleicht eine neue Platte mit Gaststars?

BB: Ja, wir sollten die Leute für Geld bei uns mitsingen lassen! Wir geben Leuten wie Westernhagen mal wieder ein Forum!
DD: Das ganze Projekt ist aufgebaut auf Spontaneität und Spaß und nicht auf monatelange Vorbereitungen. Von daher ist es sehr einfach, den Faden wieder aufzunehmen, wenn wir so weit sind. Die Platte haben wir auch mehr oder weniger in drei Tagen aufgenommen.
BB: Die besten Platten der Welt wurden an einem Nachmittag aufgenommen – mit guten Sängern, guter Band und einem guten Studioteam. Und diese Platten kann man sich immer wieder anhören! Wir sind immer wieder amüsiert, wenn wir in Kritiken vom "opulenten Breitwandsound" unserer CD lesen und dabei haben wir nur zwei Nachmittage im Studio verbracht.
BB: Ich bin sehr stolz auf das Ergebnis. Alle können das mögen!


Beim Konzert war tatsächlich der Spaß zu spüren, den die beiden beim gemeinsamen Musikmachen auf der Bühne haben. Selbstverständlich gebührt auch den Musikern großes Lob, die die beiden live mit Banjos und Electronic Harps unterstützen. Im Mittelpunkt stehen aber natürlich BB & DD: ihre Stimmen harmonieren großartig und die beiden unterschiedlichen Bühnencharaktere ergänzen sich wunderbar. Dirk Darmstädter gibt den distinguierten Künstler und Bernd Begemann den lärmigen Alleinunterhalter. Ein Paar wie Dean Martin und Jerry Lewis, um den treffenden Vergleich von Bernd Begemann heranzuziehen. Natürlich besser aussehend!