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30. Mai 2017
Meinolf Reul
für satt.org
Bald werden wir uns alle
nur noch mit psychopharmaka
über wasser halten

darauf können wir uns schon mal
einstellen
                                              Katja Horn
  »Ufer des fließenden übergangs« von Katja Horn


Ufer des
fließenden
übergangs

von Katja Horn

Der Verlag Peter Engstler ist vor allem ein Lyrikverlag. Ulf Stolterfoht, Monika Rinck, Paulus Böhmer, Tone Avenstroup, Ann Cotten und viele andere haben hier publiziert. Zu diesen bekannte(re)n Namen kommen regelmäßig auch weniger bekannte, neue Stimmen hinzu. Eine dieser neuen Stimmen ist Katja Horn, die 1971 in Duisburg geboren wurde.
Achtzig zumeist kurze Gedichte von minimal zwei Versen bis maximal zweiundzwanzig Versen Umfang enthält ihr zurückhaltend bibliophil aufgemachtes Buch Ufer des fließenden übergangs.
Im Vergleich zu den Titeln ihrer vorhergehenden Veröffentlichungen, die eine Ohne-mich-Haltung anzeigten (Abseitsmoral, 2011, Mengenleere, 2013), klingt Ufer des fließenden übergangs gelöst und friedlich. Die Texte zeugen von Introspektion, und sind doch allemal kritisch – nicht zuletzt dem Selbst gegenüber, das hier des öfteren ein „wir“ ist.

Wiederkehrende Motive sind: Täuschung, (krisenhafte) Identität, Verletzung, Leere, Sehnsucht.
Viele Texte haben einen „negativen horizont“, das lyrische Ich zeichnet sich als gefährdet, bekennt eine „zuneigung zu abgründen“. Es ist sich seiner selbst nicht sicher, erfährt sich als nicht mit sich identisch. Es ist ein in sich selbst 'unruhendes' Ich, das früh schon – „Am anfang einer verlorenen identität“ – Bekanntschaft mit der „nach unendlich sich erschreckende[n] / achse der erkenntnis“ geschlossen hat.
Der Sog in die Tiefe, zum Abgrund, löst ambivalente Empfindungen aus, ist einerseits angstbesetzt (allerdings kommt die Angst buchstäblich nur an zwei Stellen vor), andererseits mit der Hoffnung auf einen „neuanfang“ verknüpft, auf eine Umkehr der fatalen Bewegung: „seelenwärts“.

Mittels kleiner semantischer Manipulationen und Verrückungen hebt die Dichterin die Wörter aus der vorgezeichneten Kurve ihrer alltagssprachlichen Verwendung: Sie findet „richtungswaisen“, deutet das Adjektiv „dauerhaft“ zu einem Substantiv um (Metaphern des Eingesperrtseins und der Ausweglosigkeit tauchen in Ufer mehrfach auf), überschreibt ein Gedicht mit „Naherfahrungstod“; aus der Wendung »auf Biegen oder Brechen« wird „verbiegen und verbrechen“, Wahrheiten werden „durchexorziert“ – und manchmal ist es auch ein nachgeschobenes Wort, das die Perspektive verändert:

Nebel
der mond nicht auszumachen
blendet

Selbst der durch einen Nebelvorhang schon abgeschwächte indirekte Schein des Mondes ist dem Beobachter noch zu grell, und er möchte ihn am liebsten ausschalten.

Die gelegentliche Präsenz eines „engel[s]“ oder „schutzengels“ könnte die Möglichkeit einer Errettung oder Tröstung bedeuten – an die das lyrische Ich zwar nicht mehr glauben mag: „Unser glaube hatte sich aufgehängt“ – – aber man kann nie wissen. Vor allem jedoch gibt es eine erprobte Alternative zum zweifelhaften deus ex machina, nämlich:

„alles einzuschmelzen / in der wortschmiede für den schlüsselsatz / zur freiheit“.

Ein gutes Buch.




Bibliographische Angaben

  • Katja Horn, Ufer des fließenden Übergangs. Gedichte. 28 Seiten, geheftete Broschur.
    Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2016. 10,00 Euro
    » Verlag
  • Katja Horn, Flügelpuppenblues. Gedichte und Irritationen. 32 Seiten, geheftete Broschur.
    Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2017. 12,00 Euro
    » Verlag
  • Katja Horn, Mengenleere. Neunundzwanzig Gedichte. Mit 5 Zeichnungen von Mareile Fellien.
    24 Seiten, Broschur. Distillery Press, Berlin 2013. 6,00 Euro
    » Verlag