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8. November 2008
Frank Milautzcki
für satt.org
  Jack Black: Der große Ausbruch aus Folsom Prison

Erinnerungen aus einer menschengemachten Hölle

„Der große Ausbruch aus Folsom Prison“ erzählt nicht nur von den Zuständen und Begebenheiten in einem amerikanischen Gefängnis knapp nach der Jahrhundertwende, und damit von völlig irregulären Verhältnissen, jenen nicht unähnlich, wie sie die Amerikaner noch heute, nämlich in Guantànamo Bay, als legitim betrachten, sondern es ist auch eine Geschichte des Menschen, wie er sich seelisch organisiert in extremen Situationen, wie er fähig ist Ehre und Gesicht zu verlieren, aber auch heldisch für Werte wie Freundschaft einzustehen, wie er eine Fratze des Hasses wird oder eine stolze Leidensfigur, in der Demut vor dem Begriff der menschlichen Freiheit und Tragik sich die Hände reichen.

Jack Black (1868-1933) war Hobo und Berufseinbrecher, den es just dann in die Fänge der Justiz spült, als er mit seinem ersparten ergaunerten Geld ein neues Leben in Kalifornien beginnen möchte. Er landet in Folsom Prison und wird dort Zeuge von sadistischen Anwandlungen, von Willkür und offenem Hass seitens der staatlichen Gewalt, die in ihren korrupten Vertretern einen unglaublichen Organismus der Menschenverachtung unterhält, der sich eigene Gesetzlichkeiten schafft, keine juristisch formulierbaren und irgendwie angreifbaren (dem Schein nach läuft alles nach dem Gesetz), sondern ein unsichtbares System aus Bespitzelung, Misstrauen, Angst vor Bestrafung und Folter, aus Erniedrigung und Hass. Das oberste Ziel ist das Zerbrechen der Menschen, die als Verbrecher einsitzen. Menschen, die, so erklärt es Jack Black, eher durch Gefallen an Nervenkitzel und dem Geschmack wahrer Freiheit in ein Leben als Outlaw wegrutschten, denn aus Freude an kriminellem Tun. Durch die Maschen schlüpfen, nicht beherrschbar sein, gegen alle Regeln zu leben, das sind nach Black die ersten inneren Triebfedern. „Jeder Mensch lebt davon einem anderen etwas wegzunehmen. Unsere Gesellschaft hat Regeln aufgestellt, nach denen einige Methoden des Wegnehmen erlaubt sind, andere nicht.“ Eigentum ist für ihn etwas sehr Abstraktes. Materieller Besitz nichts, charakterlicher alles. Überspitzt: der Mensch lebt eigentlich nicht um zu haben, sondern um zu sein.

Und genau hier brodelt der Konflikt in Folsom Prison. Die Vertreter der staatlichen Gewalt geben sich nicht damit zufrieden, Menschen für begangenes Unrecht einzusperren, sondern sie wollen denjenigen zerstören, der ohne Recht und ohne Regel lebt. Der Outlaw ist eine Bedrohung nicht durch sein Tun, sondern durch die innere Freiheit, seine Losgelöstheit von Recht und Ordnung, die er verkörpert und muß deshalb erniedrigt und in seinen Grundfesten geschleift werden. Und sei es mit der Zwangsjacke. Man schnürt sie fest und fester, so dass Gefangene als Krüppel aus ihrer Umklammerung zurückkehren und als lebende Mahnmale im Gefängnis herumkreuchen. Der Wärter, der Aufseher, auch Anstalts-Doktor und Direktor, alle definieren sich insgeheim als Kämpfer für das Gute, glauben sich im Recht und entschuldigen sich alles (der Hinweis des Übersetzers Axel Monte auf Abu Ghureib ist nicht zu weit hergeholt, sondern trifft das menschliche Programm). Und weil sie kämpfen und ihre Macht schamlos ausnutzen, ist ein Krieg vorprogrammiert. Denn der besitzlose Outlaw möchte wenigstens das behalten, was ihm immer am wichtigsten war, die persönliche Integrität, jetzt, da er nicht mal mehr seine Freiheit hat. Die Schikanen nehmen kein Ende: kleinste Vergehen werden genutzt um Strafvergünstigungen zu streichen und vorzeitige Entlassungen zu verhindern, so daß die übergroße Hoffnungslosigkeit eines Tages eine Gruppe zusammenbringt, die sehr bewusst mit der Möglichkeit ihres Todes rechnet und trotzdem einen Ausbruch startet. Und er gelingt. Endlich hellhörig geworden drängt die Öffentlichkeit auf Untersuchungen und Reformen.

Jack Blacks 1917 geschriebener und hier erstmals in deutscher Sprache vorgelegter Bericht seiner Gefängniszeit erzählt in einer einfachen Sprache, die dennoch kaum etwas verbirgt, weil die Authentizität spürbar hineinzieht. Unsere Phantasie erledigt den Rest. „Das ist Literatur!“ - mit diesen Worten legte mir Verleger Michael Schönauer das Buch auf der Frankfurter Buchmesse noch einmal ans Herz. Und ich weiß genau was er meint. Das Gefühl, das echte Leben aufgeschrieben zu finden, das nicht anders als das unsere hineingeworfen ist in einen Strudel aus Wahrheit und Irrtum, das im ehrlichen Bericht seine ganze Schicksalhaftigkeit zeigt und davon erzählt, wie Mensch und Mensch aufeinanderprallen und in die Welt hineingleiten, als sadistische Quälgestalt genauso wie als Märtyrer, der nur noch im Tod seine Freiheit wahren kann, in einen Typenzoo, der unsere Entscheidungsfreiheit spiegelt.

William Burroughs hat als 13jähriger Junge die Lebensgeschichte von Jack Black (die auf Deutsch vor längerer Zeit schon im Karin Kramer Verlag erschienen ist) gelesen und es ist kein Geheimnis, dass dieses Leseerlebnis seine literarische Erweckung war. Wer das nun von Axel Monte und Jerk Götterwind übersetzte Buch über Folsom Prison gelesen hat, weiß sofort warum.



Jack Black:
Der große Ausbruch
aus Folsom Prison

Killroy media, Asperg 2008
96 S. 13,00 €
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