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13. September 2008
Anne Hahn
für satt.org
Will Self: Dorian. Eine Nachahmung

Buch mit sieben Siegeln

Über die ausschweifende
Nachahmung des Dorian Grays

Ein Jahr nach Erscheinen der gebundenen Ausgabe legt nun der Berliner Taschenbuch Verlag die Paperback-Ausgabe des „Dorian“ von Will Self vor. Angesichts der überbordenden Fülle an Neuerscheinungen muss erwähnt werden, dass viele der lesenswerten Überraschungen unter dem Dach des Berlin Verlages beheimatet sind. Auch diese, 110 Jahre nach dem Original erschienene Nachahmung des „Dorian Gray“ von Oscar Wilde wird fortan zum Kanon der Literaturgeschichte zählen. Selten ist frecher und traditionsbewusster entlang und gegen einen Meilenstein des Genres angeschrieben worden.

Will Self wurde 1961 in London geboren, gilt als Ex-Junkie und Ex-Punkrocker, der seine eigenen Exzesse überlebt hat und exzellent darüber zu berichten vermag. Wie ließe sich all das besser verpacken als in einem reißerischen Roman, der nichts von seinem Original zu ahnen scheint und am Ende desselben seiner eigenen Vernichtung entgegensieht? Von der etwas gestelzt konstruierten Rahmenhandlung abgesehen bietet das füllige Büchlein erheblichen Lesespaß.

Gemäß der Figurenkonstellation des großen Meisters treten bei Will Self auf: Henry Wotton als zynisch bisexueller Party-King und Seelenverführer, Basil (Baz) Hallward als drogensüchtiger Künstler und Schöpfer der verhängnisvollen Video-Installation und Dorian selbst als schöner, 22-jähriger Jüngling. Was bei Wilde ein Gemälde, ein Bildnis war, das zum teuflischen Pakt benutzt wurde, ist hier eine auf neun Monitore verteilte Video-Installation namens „Cathode Narzissus“.

„In einem kleinen Schlafkämmerchen, versteckt hinter dunklen Vorhanghäuten, lag das Objekt von Baz’ Begierde, des Künstlers jüngste Muse, eben aus dem sanften, von Gras, Wein und gegenseitigen Handreichungen herbeigeführten Schlummer erwacht.“ Die bildreiche Sprache Will Selfs findet in der sorgfältigen und einfallsreichen Übersetzung Robin Detjes ihre perfekte Entsprechung. Von den Monitoren mit den eigenen fließenden Abbildern bezaubert, tanzt Dorian zum Beispiel als Abbild der Jugend „zur himmlischen und ewigen Melodei der Selbstbezüglichkeit“. Das macht Laune und tatsächlich trägt der Roman trotz aller zu erwartenden Grausamkeiten heiter und luftig durch die Abgründe der 80er Jahre.

Self bastelt um sein Dreier-Gestirn eine Groteske auf die Londoner Kunst- und Schwulenszene des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, die nur so vor Schock-Effekten strotzt. Was bei Wilde noch angedeutet war, wird bei Self nun drastisch in "Arschfickpolonaisen" in Szene gesetzt. Was sich bei Wilde noch in gelegentlichen Abstechern in die Opium-Kneipe erschöpfte, avanciert bei Self zur Dauer-Drogen-Party mit Koks, Heroin und Exstacy. Von AIDS hat noch niemand etwas gehört. Sexuelle Ausschweifungen gehörten ebenso zur künstlerischen Selbstverwirklichung wie der hemmungslose Umgang mit Drogen. Während es bei Wilde noch zentral um die psychologische Verführung ging, um die philosophische Frage nach dem Verhältnis von Ästhetik und Ethik, stehen bei Self ganz allein der Körper und die körperliche Zerstörung im Mittelpunkt. Natürlich sind unsere Protagonisten längst infiziert.

Am 23. April 1984 wurde offiziell die Entdeckung des HIV-Virus bekannt gegeben. Eine neue Ära beginnt. Heroinfixer und Schwule erleben eine AIDS-Hysterie, die nicht selten in gesellschaftlicher Stigmatisierung endet. Dorian Gray ist angesichts der tödlichen Gefahr, die von seinem Körper ausgeht, der mephistotelische Verführer par excellence. In einer allgemeinen Endzeitstimmung blüht sein junger Körper schrammenlos in vollstem Saft, die seltsame Unversehrtheit seiner Hülle lässt sein Umfeld arglos dümpeln, nur die sorgsam verwahrten Videokassetten altern. Der totgeweihte Lord Henry lebt seine drogengeschwängerten Sarkasmen bis zum opulenten Ende aus. Opfer fallen, Dorian lächelt.

Welchen Bezug Dorians Sex-Karriere zur Vita Lady Di’s entwickelt; „sie brach entzwei, denn sie hieß Lady Di“ und warum die „tumbe Truppe“ (Bezeichnung für die stets zu spät kommende und ahnungslose Polizei) seiner nicht habhaft wird, lesen Sie bitte selbst. Aber seien Sie gewarnt – Oscar Wilde setzte einst seinem Dorain Gray Bemerkungen wie diese voran: „In Wahrheit wird der Betrachter und nicht das Leben durch die Kunst abgespiegelt ... Alle Kunst ist völlig nutzlos“.



Will Self: Dorian
Eine Nachahmung. Roman.
Deutsch von Robin Detje.
Berliner Taschenbuch Verlag 2008
350 S., 9,90 Euro
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