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12. Juli 2008
Crauss
für satt.org
Olaf neopan Schwanke: Verse. Voll. Jetzt.

Olaf n. Schwanke ist früh im Jahre, spät am Tage

„Verse. Voll. Jetzt“
und viel poppiges Dorfbehagen

Viel hat Olaf neopan Schwanke in den letzten Jahren veröffentlicht und ausgestellt, vieles aber viel zu privat. Wohlfeile Literatur auf ausgesuchten Papieren, Originaltuschen, Xerographien, Aquarelle. Alles als Eigendruck, nicht immer in geringer, aber doch viel zu knapp gestreuter Auflage. Schwanke ist gut und seine Literatur gehört gelesen!

Aus der Privatheit kommt der Malerdichter mit „Verse. Voll. Jetzt“ gerne heraus, um sie sogleich ganz öffentlich zu zelebrieren. Es geht ums Sehen in diesem Buch erotischer, poppiger Poesie. Ums Anschauen, Sichselbst-Betrachten, ums Herzeigen und Gesehenwerden. Gleich das Cover ein Akt: Schwankes Marke, der Augenmann, sitzt gespreizt auf den Werken seines Schöpfers – und liest in dessen frühester Veröffentlichung, der „Einbandorchidee“. Das hat was zu bedeuten. Dass das „o“ von „Voll“ im Versetitel zum Prinz-Albert wird, wird eher Zufall sein – und umso hübscher, wenn es Absicht ist. Übrigens: der Augenmann, der liest ja garnicht, tut nur so. Er schaut dich an. Aufreizend.

Dann auf dem Frontispiz: der Dichter selbst und von hinten. Schwanke zeichnet Schwanke arbeitend inmitten wiederum eigener Werke, diesmal auch Plastiken, Bildern – und mit Blick auf die Stadt. Und von der Stadt gibts einiges zu lesen.

Der Autor lebt und arbeitet in Siegen, einer der kleinsten Großstädte Deutschlands, hat also, wenn er im Café sitzt oder auch nur ein paar Minuten Zug fährt, das Ländliche gleich vor Augen, das Pralle daran, aber auch das Triste. „Beim Bahnhof die Novemberbäume frieren,/ und erster Schnee liegt auf dem letzten Blatt./ Und während warme Wünsche sich verlieren,/ sitzt man, wo man schon oft gesessen hat.“ Es ist das „dritte Bahnhofssonett“, das einen gemeinsam mit dem Sprechenden tief seufzen lässt über die Unveränderlichkeit der Dinge mit all dem nicht ausgelebten „man könnte“/ „es wäre“ einerseits, und dem am Ende trügerischen Lichtblick andererseits, einem Schauen nämlich auf das, was möglich ist und schon gewesen, wenn „nahe den Pissoirs/ und an den Ecken hübsche Jungen stehen.“ Das Altern macht die Jugend zur Sehnsucht. Erfülllung – und damit auch ein geographisches Provinzentfliehen – gibt’s nicht. „Der Bahnhof stellt sich quer: ein praller Sarg.“ Man wartet vergeblich, „dass man Anschluss hat.“

Das Resignative ist den Texten, insbesondere den hier veröffentlichten Gedichten Schwankes ebenso typisch wie der skeptisch ironische Blick auf neueste Moden und Kulte („Zeige mir ruhig deinen Körperplunder,/ ich flüster’ dir keinen schönen Vertrag.“). Und doch, es steckt viel nackensträubendes Behagen daran und darin, Dorfbehagen sozusagen, wenn, wie im „Dorfmärz“, „die Schienen zielen rot auf die entfernte Stadt,/ die von den Dingen keine Ahnung hat.“ Auf dem Land „weiss der Bauer schon, der selten irrt/ wie ähnlich dieses Jahr dem letzten ist und wird.“

Man darf die rurale Sicherheit nicht als lächerlich abtun, besetzen Begriffe wie „Stadtlandschaft“ doch seit langem (und viel länger als neueste, herbeigeredete Naturlyriktrends es uns weismachen wollen) das Urbane mit Gewachsenem. Das Land ist die neue Stadt. Und die Dorfjugend weiss, ohne dass man ihr sagen muss: Der „Frühling schaukelt [zwar] alt, [aber] lüstern.“

„Noch November schossen hier die Jungs/ ihre Bälle in die braunen Büsche,“ heisst es in einer „Pause im Park“. Daneben das Bild eines leeren, mit Bäumen umsäumten Rasens. Oder ist es ein weibliches Geschlechtsteil?

Auch das Geile ist sicher. Wo es herstammt wird deutlich: aus Bildern, aus Mythen, aus der Poesie. Narziss stürzt oder stürzt sich absichtlich in ein Martiniglas, die Olive darin das Auge des Dichters. Die Gedichte zitieren und spielen an auf einen leidverliebten Benn und den skeptisch ironischen Kästner, aber auch der halbe Ranke-Graves bevölkert Schwankes Texte. Wer das nicht erkennt, darf es gern für Schwanke halten. Denn ohnedies zitiert der Autor sich selbst wie alle anderen, verweist wörtlich wie motivisch auf Eigenes, Früheres. Dabei bleibt die Haupt-, Lieblings- und Paradoxmythe des Autors – neben dem was Olaf neopan Schwankes Mittelname andeutet – stets eine nicht mehr greifbare Jugend.

„Mythologie ist unlogisch,“ erklärt Schwanke in einer Glosse; es geht darum, in „der griechischen Antike und deren römischen Surrogaten“ etwas zu erinnern, das man nie erlebt hat. Der komplette Gedichtband, wenn man so will, handelt davon; „mehr vor sich hingemurmelt. Alte Dinge denken,“ heisst es in einem Poem über die Herbstzeitlosen. „Es ist, wie sich in alte Zeiten zu versenken“ – und die Kunst, nicht darin stecken zu bleiben: „Banale Schwärmerei, ein Nostalgievergehen.“ Und der Feingeist im Dichter weiss im rechten Moment durchaus deutlich zu werden: „Für die Länge einer Latextüte/ wird wer Sau.“

Dieses Bewusstsein, das Wissen darum, dass auch der geilste Augenblick oft nur für ein Auge ausreicht, ist es, das ein Lamentieren übers Altern verhindert, das aus Mythen mythologics macht und das aus alten, teils uralten Schreibformen zeitgenössische, pulsierend gegenwärtige Poesie schlägt. Schwankes Geheimnis besteht unter anderem darin, Terzinen, Sonette, Idyllen, Triolette, Ritornelle usw. miteinander zu kombinieren, sie zu verschmelzen und dadurch in ein harmonisch Neues zu verwandeln. Er wird nicht zum „Ichhavaristen“, weder thematisch noch formal, weil er es schafft, Handwerk unauffällig wirken zu lassen, es nicht unbeherrscht nach vorne zu kehren. „Ich habe manche Versuche, traditionelle Formen oder den Reim wiederzubeleben, gesehen,“ sagt der Literaturfreund und –kenner Matthias Fallenstein im Gespräch, „aber fast immer merkt man ihnen den Wiederbelebungsversuch an.“

Ganz grossartige Zeilen kommen dabei heraus: „man schlendert durch Passagen,/ das eigene Gemüt kriegt zwölf Etagen“ („Landausflug“); einem Gedicht wie „Szene in Echtzeit“ darf man den Titel ruhig abnehmen, denn – „Feind gleich Welt!/ Und Messer mischen mit“ – es wird noch während der stattfindenden Bluttat ersonnen.

Die rund hundert Seiten Poesie in „Verse. Voll.“ Jetzt schwanken also zwischen Stadt- und Moralbetrachtung, äusser- und innerlichem Sehnen. Die Unterteilung in Abschnitte nach urbanen, mitmenschlichen, formalen und mythischen Themen scheint überflüssig, oder doch zumindest zu starr; in den einzelnen Kapiteln stehen immer wieder Texte, die ebensogut einer anderen Kategorie hätten zugeordnet werden können. Einige der Gedichte sind Schwankes bildender Kunst entnommen, etwa Rückseiten von Jahresgrusskarten und Unterschriften graphischer Zyklen, die düstere Ballade „Ihm träumt“ hat zudem einen wohldotierten Literaturpreis gewonnen. Dass eine angemessene Würdigung seines Werks zu selten stattfindet, liegt einerseits an der erwähnten bisherigen Publikationsgeschichte; andererseits schreibt Schwanke zwar beständig, aber langsam: „Bestimmt ist er ein Dichter, der vermisst,/ dass irgendeine Muse ihn beschenkt...“ („noch nicht I“). Im „Sommerregen“, einem „Fünfzeiler mit stehendem Sommer“ ist sogar „die Zukunft eine Schnecke“:

Der Sommer steht und weint, die Wolken wollen bleiben.
Der Himmel, wund gewölbt, hat viele blaue Flecke.
Erregte Jungs und so verschwinden in der Hecke
und werden sich die Zeit und ihre Lust vertreiben.
Der Augenblick ist Licht, die Zukunft eine Schnecke.

Da wir das nun wissen, wollen wir uns redlich um eine Schneckenbeschleunigung bemühen. Im Grunde sind die Gedichte Schwankes nämlich wie Lieder, die man erinnert. Vielleicht merkt man sich nicht das ganze Stück, doch aber eine Melodie oder ein paar Zeilen. In diesem Sinne: „Neopan in alle Lippen!“



Olaf neopan Schwanke: Verse. Voll. Jetzt.
CONTE Verlag 2007. 100 Seiten, 9,90 €
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