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Februar 2008
Felix Giesa
für satt.org
Patrick Lenz: Tom und der Vogel

Patrick Lenz: Tom und der Vogel
In klassischen Wimmelbildern gilt es für den jungen Betrachter, den Blick zu schärfen, um alle Details entdecken zu können.

Patrick Lenz: Tom und der Vogel
Tom versucht alles, um seinen gefiederten Freund aufzuheitern. Beeindruckend ist dabei die variable Blickführung Lenz’: macht Tom einen Kopfstand, so wird dem Betrachter sein Blickfeld ebenfalls auf dem Kopf präsentiert. Doch schlussendlich schlagen alle Animationsversuche fehl. Eindrucksvoll in Szene gesetzt, indem der Illustrator im letzten Panel jeglichen Hintergrund ausspart.

Die Schwingen
der Freiheit

Der kleine Tom entdeckt beim Einkaufen mit seinem Vater einen Vogelhändler und ist von dessen Vögeln ganz begeistert, besonders ein lila Vogel hat es ihm angetan. Der Vater lässt sich erweichen und Tom kann den kleinen Piepmatz mit nach Hause nehmen. Doch daheim ist leider wenig mit Piepen: der Vogel verweigert die Nahrungsaufnahme und es geht im zunehmend schlechter. Als alle Versuche Toms, den Vogel aufzumuntern fehlschlagen passiert etwas Unerwartetes: in einem Lied berichtet der Vogel von seiner Gefangennahme und der Trennung von seinen Vogelfreunden. Der Junge ist zu Tränen gerührt und entlässt schweren Herzens seinen neuen Freund in die Freiheit.

Soweit liest sich die Handlung eher wie ein durchschnittliches Kinderbuch. Allerdings ist Patrick Lenz’ Bilderbuch „Tom und der Vogel“ keinesfalls ein durchschnittliches Buch. Lenz erzählt nur mit Bildern und bedient sich dabei gekonnt Erzählstrategien sowohl der Film- als auch der Comickunst. Die Handlung beginnt bereits auf dem Vorsatzpapier und zoomt sich, wie in einem Hollywood-Blockbuster am Titel vorbei, immer weiter an das Geschehen heran. Bis endlich Tom im Zentrum des Bildes steht. Stark erinnert dieses Vorgehen an Istvan Banyais „Zoom“-Bücher, in denen dieses Verfahren ad infinitum geführt wird.

Das Seitenlayout von „Tom und der Vogel“ orientiert sich stark an dem eines Comics. In unterschiedlich großen Panels und gelegentlichen Splashpages wird die Handlung vorangetrieben. Dabei sind besonders die als Wimmelbilder angelegten ganzseitigen Illustrationen ein wahrer Hingucker. Vor allem in Toms unaufgeräumtem Kinderzimmer gilt es den Blick genau zu schulen und eine Vielzahl von Details zu entdecken.

Das großformatige Bilderbuch lässt erkennen, was der große Bilderbuch-Illustrator Wolf Erlbruch vor kurzem im Comicmagazin Strapazin auf die Frage von Unterschieden zwischen Bilderbuch und Comic meinte, als er mit „indifferent“ antwortete. Bei beiden handelt es sich um ein zugrunde liegendes Prinzip vom Erzählen in Bildern, die sich dabei zumeist allerdings unterschiedlicher Techniken bedienen. Dass es bei einer solchen Nachbarschaft unweigerlich zu Annäherungen kommen muss, zeigt das vorliegende Beispiel ganz eindrücklich.

„Eine Bildergeschichte über Einfühlen, Loslassen und Träumen“ vermerkt der Covertext. Doch die Geschichte geht noch darüber hinaus. Es ist ein eindringlicher Appell an (junge) Menschen, sich bewusst mit ihren Haustieren auseinanderzusetzen. Der wahnwitzige ,Rattenhype’ nach „Ratatouille“ und die ,Knut-Manie’ sind Anzeichen dafür, dass die meisten Menschen keinerlei Bewusstsein dafür haben, dass es sich um Wildtiere handelt, die ihr gesamtes Leben in Gefangenschaft verbringen. „Tom und der Vogel“ weißt auf diesen Umstand hin, ohne auch nur den moralischen Zeigefinger anzudeuten. Und so beweißt der freigelassene Vogel, der Tom zum Schluss der Handlung in seinen Träumen mitnimmt, dass ein in Freiheit lebendes Tier die Phantasie viel mehr beflügeln kann, als es ein gefangenes vermag.