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Dezember 2005 Silke Winzek
für satt.org

Frank Goosen: Pink Moon
Eichborn 2005

Umschlagmotiv

304 S., 19,90 €
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Frank Goosen:
Pink Moon

"Ich sah meinen Vater erstmals neunzehn Jahre nach seinem Tod.“ Frank Goosen ist ein erklärter Fan von guten Einstiegssätzen. Sie erinnern an die Aufmacher der Bildzeitung. Man muss nach so einem Satz weiter lesen, um zu sehen was dahinter steckt. Hier ist es die Geschichte von Felix Nowak. Er ist ohne seinen leiblichen Vater aufgewachsen. Seine Mutter versucht mit wechselnden Männern ihren Traum von einer heilen Familie zu verwirklichen und scheitert immer wieder. Felix erlebt eine Kindheit als soziale Randgruppe: Arbeitslosigkeit der Mutter und Geldsorgen bestimmen seine frühen Jahre. Liebe und Glück hat die Mutter nur mit Otto Simanek, Felix’ Vater, erlebt, der sie sitzen gelassen hat. „Seine blauen Augen haben mich um den Verstand gebracht. Er war ein Held und ein toller Tänzer.“ Ihrem Sohn erzählt sie später, sein Vater sei tot. Sie glaubt nicht mehr an Gefühle sondern sucht die materielle Sicherheit. Als sie ein reiches Arschloch heiratet und zusammen mit ihrem Sohn auf sein Schloss zieht, hat sie ihr Ziel erreicht, der Preis den sie zahlen müssen ist voraussehbar hoch.

Felix eröffnet später mit ihrem Geld das Restaurant „Pink Moon", hat damit Erfolg und lebt recht gut von den Einnahmen. Die Geschichte des Buches wird in Rückblenden erzählt aus einer Gegenwart heraus in der Felix antriebslos, deprimiert und ziellos durch sein Leben stolpert. Seine Mutter ist gerade gestorben, als sein tot geglaubter Vater auftaucht.

Wer ist dieser Felix? Man wird mit ihm nicht recht warm: Er ist distanziert, überheblich, selbstverliebt. Er nimmt nicht am Leben teil, sondern lässt es über sich ergehen. Er ist ein konturloser Beobachter, der nie offen und ehrlich ist. Seine Kommentare finden innerlich statt, hier zeigt er eine abstoßende Überheblichkeit, selbst wenn er über Menschen urteilt, die er vorgibt zu mögen. Es gibt kaum einen Roman, der, obwohl in der Ich-Form geschrieben, weniger von seinem Hauptprotagonisten preisgibt. „Ich überlegte, wie viel ich den beiden sagen wollte. Dann ging der Moment vorbei.“

Der Roman ist bevölkert von merkwürdigen Gestalten. Renz, der unheimliche Nachbar bricht in Felix’ Wohnung ein und verbarrikadiert sich dort heulend. Der Flieger, ein zurückgebliebener Junge, läuft mit ausgebreiteten Armen die Straße rauf und runter und macht dabei Motorengeräusche. Es gibt einige witzige Situationen, z. B. wenn ein zunächst seriös wirkender ehemaliger Studienrat plötzlich in Lack und Leder vor Felix und seiner Freundin steht und sie zu tabulosem Gruppensex auffordert. Ansonsten haben diese Figuren für die Geschichte keine Funktion. Felix gibt vor, sich für sie zu interessieren, aber auch hier dominiert seine allgegenwärtige Arroganz: „Ich hatte immer eine Schwäche für Idioten.“

Es gibt einen einzigen guten dramaturgischen Einfall. Felix’ leiblicher Vater heißt wie der tschechische Schauspieler, der in vielen Kinderfilmen mitgespielt hat - Otto Simanek. Seine Paraderolle: Pan Tau. Wir erinnern uns: Pan Tau war ein altmodisch-förmlich gekleideter älterer Mann (Frack, Melone, Nelke im Knopfloch, Regenschirm), der sich auf Puppengröße verkleinern, zaubern und fliegen konnte. Im Roman tritt Felix Vater real am Anfang und am Ende auf. Zunächst verfolgt Felix seinen tot geglaubten Vater bis er ihn verliert. Am Ende entschließt er sich, ihn gezielt zu suchen, findet ihn auch, nur um sich dann doch nicht als Sohn erkennen zu geben. In den Rückblenden scheint immer wieder die Sehnsucht des kleinen Felix nach einer Vaterfigur durch, die Pan-Tau-gleich das verkorkste Leben von Felix und seiner Mutter wieder ins Lot bringen soll. Am Ende entschließt sich Felix, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr darauf zu vertrauen, dass andere es richten werden, soviel soll dann wohl der Pan-Tau-Wink verdeutlichen. Für die Geschichte bleibt dieses Ende unbefriedigend. Warum kann Felix nicht seinen Vater kennenlernen und sein Leben selbstverantwortlich führen? Der Roman jedenfalls scheint auf dieses Ergebnis hinzuarbeiten. Leser, die die Pan-Tau-Hürde nicht nehmen, (die Autorin dieser Kritik hat die Erkenntnis auch nicht sich selbst zu verdanken), werden über das Ende vielleicht sogar verärgert sein.