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Oktober 2005 Gerald Fiebig
für satt.org

Gertrude Stein: Winning His Way. A Narrative Poem of Poetry. / Ulf Stolterfoht: wie man seine art gewinnt. ein erzählgedicht über dichtung.
Urs Engeler Editor 2005

Umschlagmotiv

Gebunden mit Schutzumschlag. 120 Seiten, 19 €
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Ulf Stolterfoht: traktat vom widergang
Verlag Peter Engstler 2005
br, 48 S., 8 €

"Interessant, weil mein
Name nicht darüber steht"

Der Lyriker Ulf Stolterfoht
tritt als Übersetzer hervor

Das wohl größte Kunststück von Ulf Stolterfoht ist nicht, dass er anspruchsvolle sprachreflexive Gedichte schreibt (das tun etliche andere auch), sondern dass er dies ohne die arrogante Attitüde des Spezialisten tut, der nur für einen elitären Zirkel schreibt. Zu seiner Schreibhaltung, die „entspannt auf Geheimnisse verzichtet“ (Guido Graf) und stattdessen dem Leser die schiere Spielfreude am sprachlichen Experiment vermitteln kann, gehört nicht nur Stolterfohts offenkundiger ironischer Humor. Ebenso bezeichnend ist die Klarheit, mit der er seine Ästhetik erläutert und in uneitler Reverenz auf Vorbilder wie Reinhard Priessnitz und Oskar Pastior (wie jüngst in der Anthologie „Die Hölderlin Ameisen“ zurückführt.

Dass Stolterfoht mit „wie man seine art gewinnt“ nun den wichtigen, bislang unübersetzten Text „Winning His Way“ von Gertrude Stein, der wohl strengsten und minimalistischsten Vertreterin autoreflexiven Schreibens in der Hochmoderne, in ein durchaus eigenständiges, dem Originaltext jedoch akribisch folgendes Deutsch gebracht hat, ist daher eine konsequente Erweiterung seines eigenen lyrischen Oeuvres. „Winning His Way“ erweist sich, aufgeschlossen nicht zuletzt durch Stolterfohts kundiges Vorwort, als eine Tour de Force selbstreferentiellen Sprechens. Trotz aller lexikalisch vorgetäuschten Außenbezüge ist es einzig und allein „ein erzählgedicht über dichtung", in dem die sprache zu einer rein klanglichen und rhythmischen Struktur tendiert; eine laut zu lesende Sprachmusik, „zur geräuscherzeugung gemacht. durch windmechanik.“ Das Zusammenspiel semantischer Leerläufe ("und am tag. der auf mittwoch folgt. und donnerstag."), minimaler Reime und „Breakbeats“ aus von Satzzeichen synkopierten Einsilbenwörtern besitzt durchaus hohen Unterhaltungswert. Dass Stolterfoht, mit dem Dilemma jeder Lyrikübersetzung konfrontiert, außer der Reimstruktur auch noch einen Abglanz der rhythmischen Komplexität im Deutschen spürbar macht, verdient unter den extremen Bedingungen dieses hoch verdichteten Textes besonderes Lob.

In einem Gespräch mit Guido Graf hat Stolterfoht als Bewegungsform seines Schreibens ein „zwanghaftes Dementieren“ benannt, eine permanente Zurücknahme der beim Lesen seiner Gedichte entstehenden Sinnerwartungen. Fast scheint es, als wolle er auch seine philologisch vorbildliche Stein-Übersetzung dementieren, indem er ihr in kurzem Abstand den „traktat vom widergang“ folgen lässt – eine mutwillige Transposition des „Tratado de palindromía“ von Juan Filloy (1894–2000), dem Verfasser von über 14.000 (!) Palindromen. Der Traktat des Argentiniers, von dessen vielen Büchern ansonsten nur der von Silke Kleemann übersetzte Roman „Op Oloop“ auf Deutsch vorliegt, besteht aus 41 Abschnitten. „diese kleinen einheiten habe ich mir, ohne spanisch zu sprechen und weniger mit hilfe des wörterbuchs als der anklangsmaschinerie, ins deutsche geholt und gemäß den regeln des häckselns bearbeitet", so Stolterfoht im „ABSPANN".

Das Resultat ist eine reizvolle Verschränkung aus für Stolterfohts eigene Texte gültigen poetologischen Axiomen und deren sprachspielerischer Parodie. Dabei ergibt sich eine unvermutete Pointe: Zwar gibt es keine stärker autoreferentielle Textsorte als das sich selbst in den Schwanz beißende Palindrom – gerade in diesem zweckfreien Spiel der Schriftzeichen macht der „traktat“ jedoch ein subversives Programm aus, „erhaben / durch seinen bulligen unnutz. in einer verbrauchenden welt, wo / jeder dachsaugen hat, keiner zwingend hinkt, bietet der kult des / widergangs reichlichen abweich."

In der vom Palindrom erzwungenen Verformung der Sprachnormen will der Traktant gar ein ideologiekritisches Potential verwirklicht sehen, das darin steckt, diese Normen „in eine Sprachmaschinerie zu bringen, deren Sicherheitsrasten und Sperrbügel gebrochen sind“ (Roland Barthes) und das man nach Meinung des Rezensenten auch Stolterfohts „fachsprachen"-Gedichten zugestehen kann: „PFEIF AUF DIE GRAZILE GESTALT mit der / die wörter sich brüsten und deren brunftiges lettern, / art ablatz nach schnurstracks; die sich aber entfled- / dern, ihr innerstes nach außen kehren bis hin zum / schmutzigen sem, die gelangen politisch nach links."

Ulf Stolterfoht, der sich hüten würde, solche politischen Bezüge für seine Texte zu beanspruchen (wenngleich seine Texte in perspektive 50/51 die Kenntnis der Fachsprache linker Subkulturen der 80er Jahre erkennen lassen), kommt indessen mit dem „traktat vom widergang“ seiner selbst formulierten „Idealvorstellung“ ziemlich nahe, die da „wäre ein Gedicht, das sich selber schreibt“ – denn letztlich ist der Text ohne ermittelbaren Ursprung: Das Endprodukt des Häckselns ist weder das, was Juan Filloy geschrieben hat, noch kann man es auf Ulf Stolterfoht zurückführen. Wen kümmert’s schließlich, wer spricht? Es ist jedenfalls ein sehr schöner Text.