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August 2005 Enno Stahl
für satt.org

Jürgen Ploog:
Tanker

Herausgegeben von Florian Vetsch
Rohstoff Verlag 2005

Jürgen Ploog: Tanker

386 S., 32,00 €
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Enno Stahl im Werkstattgespräch mit Jürgen Ploog zu seinem Buch „Ploog.Tanker"

Jörg Fauser ist tot, Rolf Dieter Brinkmann starb schon Jahre vor ihm, aber Jürgen Ploog lebt. Und mit ihm ein Stück der deutschen Untergrundliteratur der 60er und 70er Jahre. Mit seinem Namen verbindet man die legendäre Literaturzeitschrift GASOLIN 23, die er u.a. gemeinsam mit Fauser herausgab, verbindet man außerdem den Grandseigneur des amerikanischen Undergrounds William S. Burroughs, mit dem Ploog bis zu dessen Tod befreundet war. Neben der menschlichen Beziehung zu Burroughs existiert auch eine enge literarische: Ploog operiert nämlich seit Beginn seiner literarischen Tätigkeit – wie Burroughs – nahezu ausschließlich mit der sogenannten Cut-Up-Methode. Was hat man darunter zu verstehen?

Jürgen Ploog: Ja, die reine Technik, Cut-Up heißt eigentlich zerschneiden. Ich nehme eine Seite, zerschneide die, nehme eine zweite, zerschneide die auch in der Mitte und setze dann die entstandenen Hälften aneinander, ich persönlich arbeite allerdings mit dem sogenannten Fold-In, weil, die Seiten zu zerschneiden, ist unpraktisch, dann hat man lauter halbe Seiten, wenn man nur „faltet", „fold-in", dann kann ich sie wieder glätten und habe wieder die vollständige Seite und bleibe sehr variabel in dieser Methode.

Die so zusammen gestellten, neuen Sätze werden unmittelbar übernommen, bisweilen auch eigenständig weiter ausgesponnen. Dem jeweiligen Ausgangsmaterial, das vom reinen Wortbestand her ziemlich unvermittelt in den schlussendlichen Text mit einfließt, kommt so einige Bedeutung zu. Ploog arbeitet in der Hauptsache mit eigenen Materialien, die sukzessive und immer wieder neu miteinander verschnitten werden. Bisweilen verwendet er auch Gebrauchstexte wie Zeitungsartikel, Briefe, Tageaufzeichnungen für seine Cut-Ups. Dieses serielle Montageverfahren erinnert nicht von ungefähr an Methoden der historischen Avantgarde. Die Absicht, die dahinter steht, ist ganz ähnlich: Auch Ploog versucht durch zufällige Selektion die gesellschaftliche Vorprägung der Sprache zu unterlaufen und damit andere, ungeahnte Bereiche des Bewusstseins frei zu legen. Geht es damit also erneut um das Verschwinden des Autorensubjekts? Um eine Art écriture automatique, wie sie die Surrealisten pflegten?

Jürgen Ploog: Ich denke, der Autor tritt durch diese Methode aus seiner psychologischen Identität, weil es geht nicht mehr um ihn, aber andererseits geht es natürlich vielleicht sogar noch mehr um ihn, aber aus Bewusstseinsräumen, die nicht im Realen angesiedelt sind, vielleicht im Unbewussten. [ …] Weil die Theorie dahinter ist, und die geht auch auf Burroughs zurück, dem Zufall die Tür zu öffnen. Normaler Weise wird durch das Großhirn, durch den Kortex, der Zufall weg gehalten, denn der ist ja zu unwahrscheinlich, das kann ja nicht sein. Und hier werden Türen geöffnet, dem Zufall oder dem Unwahrscheinlichen Zutritt zur Gestaltung verschaffen. Und das ist natürlich in keiner Weise automatisch, weil automatisch heißt, so wie’s hier steht, schreibe ich’s nun mal hin, und ich habe leider gar keinen Einfluss drauf oder ich bin in einem Trancezustand, wo mein ganzes Gehirn ausgeschaltet ist oder große Teile. Das ist es ja eben nicht, ich wähle ja ganz bewusst aus und suche, ich scanne regelrecht! Wo ist die Tür, wo geht’s weiter …

Auf die Weise also versucht der Cut-Up-Autor eine Situation herzustellen, in der er frei von inneren oder äußeren Manipulationen operieren kann, eine Situation, die nicht von einem vorhergehenden Plan bestimmt und vorgedeutet ist:

Jürgen Ploog: Ich setze mich ja an die Computer oder Schreibmaschine und weiß nicht, worüber oder was ich schreiben will. Sicher habe ich eine, bin ich in einer Schreib- oder Bewusstseinssituation, ich bin entweder etwas sauer, traurig, euphorisch, lustvoll, energiegeladen usw., das ist nur der Hintergrund, und jetzt, indem ich das Sprachmaterial aneinander lege, suche ich quasi einen Eingang, das ist oft nur ein Satz, der bei mir eine Szene auslöst im Kopf. Und die verfolge ich dann, aber es ist noch viel komplizierter, denn der eine Satz, der zu einer Szene führt, gut, das wäre ja noch nicht jetzt eine Passage oder da geht’s ja immer noch nicht weiter, jetzt muss ich anhand des Textes, da sind jetzt viele Elemente drin, und die müssen einen weiter führenden Handlungsstrang ergeben. Und da beginnt die echte, das ist für mich eben die Schreibarbeit, dass ich jetzt anhand der Elemente, die auf dieser Seite zu finden sind, einen Handlungsstrang oder eine Abhandlung entwickle, oft ist es theoretisch, aber oft ist es wirklich eine Szene, die natürlich irgendwoher kommt … mir ist sie eingefallen, aber anhand des Materials.

Wenn Ploog von Handlung spricht, meint er nicht den Plot einer Geschichte. Es geht eher um sprachliche Linien, Fluchtlinien, deren Richtung der Text nimmt, nicht um den Aufbau einer konventionellen, erzählerischen Dramaturgie:

Jürgen Ploog: Ich sehe das konventionelle Schreiben so, jemand hat etwas erlebt und bringt’s dann auf Papier, das ist für mich konventionell. Ob er das jetzt eins zu eins macht oder eins zu drei oder eins zu acht, noch ein bissel hinzu fügt oder noch einen Gag reinbringt, das ist konventionell für mich. Ich suche Räume, also Bildräume, Welten, die über die sozusagen realen Möglichkeiten hinaus führen. Die realen Möglichkeiten, ich bin dann mal in `nem Hotel, die Hotelzimmertür geht auf, jetzt kommt jemand herein, okay, aber was passiert jetzt, entsteht da Gewalt, entsteht da Leidenschaft, Lust, Liebe, hält mir der einen Vortrag über den Untergang der Welt, alle diese Dinge sind ja offen, und an die komme ich nur ran durch das Schneiden, weil das Schneiden eröffnet mir die Möglichkeit, in alle möglichen Richtungen zu gehen, die mir vorher, in meinem Kopf vorher nicht vorhanden waren. [ …] Ich brauche da … unerwartete, unwahrscheinliche Wendungen … innerhalb des Textablaufes.

Der neue Band „Ploog Tanker", der Cut-Up-Texte Ploogs von 1961 bis heute zusammen fasst, zeichnet davon ein lebendiges Relief. Er präsentiert eine Prosa, in der Raum und Zeit aufgehoben zu sein scheinen. Es wimmelt von exotischem Personal, unbenannte, irgendwie asiatische oder südamerikanische Szenerien wechseln sich ab, was gleich wieder durch einen Zeitschnitt in eine ganz andere Bildwelt zu stürzen vermag. Dem Leser vermittelt sich das wie eine rasche Abfolge suggestiver Filmsequenzen, die jedoch nicht einem einzelnen, sondern einer Vielzahl von Filmen entstammen könnten.
Dieser Eindruck entsteht – Schneidetechnik hin oder her – nicht wirklich zufällig, denn Ploog arbeitete viele Jahre als Langstreckenpilot. Gerade die Cut-Up-Technik erschien ihm als die geeignetste, seiner spezifischen psychologischen Erfahrung steter Ortswechsel planetenweit, Rechnung zu tragen. „Das Fliegen", so sagt er, „verlangt ein geographisches Denken, einen Maßstab, der über das Sichtbare hinaus geht."
Bei aller Recherche unbewusster Möglichkeiten, Ploogs Aktionsflächen finden sich durchaus im Bereich des Tatsächlichen, sie sind jedoch geprägt von einer vermutlichen Synchronizität verschiedenster, räumlich und zeitlich getrennter Ereignisse. Es ist das Szenario der hard-boiled-Kriminalromane: die Welt erscheint illusionslos als ein abgekartetes Spiel per se, als Handgemenge von Gangstern, Agenten, Industrievertretern, korrupten Politikern oder wer immer im allgemeinen Hustle ums Geld, also ums Eingemachte, mitmischt.
Ploogs Perspektive – sie ist auch darin jener Burroughs’ vergleichbar - gehorcht einer zutiefst skeptischen Geschichtssicht, niemand soll sich über die realen Verhältnisse etwas vormachen: „Manche tragen ihren gesunden Menschenverstand wie einen Persilschein mit sich, aber glaub mir, es gibt keine Unschuld.“ Welchen Sinn kann das Schreiben dann überhaupt noch haben, was kann Sprache bewirken?

Jürgen Ploog: Von Burroughs ausgehend, ist das Wort als ein Fremdkörper zu sehen, als ein Virus, das ein Eigenleben im Empfänger (hervorruft) entwickelt. Und durch den Cut-Vorgang durchbreche ich die unbewusste Wirkungsweise des Wortes, folge einfach nicht diesen assoziativen Strömen, die sich normaler Weise in meinem Gehirn eingenistet haben, und das ist einfach diese Sprach- – ich sag jetzt mal: -suppe, die ein bisschen mehr gewürzt wird von den Medien, die setzen ja Reizworte so ein, dass sie dann das Gericht ein bisschen würziger ist oder ein etwas gedämpfter, akademisch – alles diese subkutanen Entwicklungen werden unterbrochen, indem ich die durch den Schnittvorgang ignoriere und in eine ganz andere Richtung gezwungen werde. Also das ist eine Auseinandersetzung mit Sprache als einem Medium, das mir nicht geheuer ist. Sprache, das hat ja auch der Deleuze gesagt, wie eine Fremdsprache behandeln. [ …] Ich muss die Sprache gegen das Fell bürsten, dann kommen Dinge zum Vorschein, die mich interessieren.