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Januar 2005 Tina Manske
für satt.org

Juliane Beer: Über den Fortgang der Dinge
Zeter & Mordio 2004

Juliane Beer: Über den Fortgang der Dinge

185 S., EUR 9,90
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Juliane Beer:
Über den Fortgang der Dinge


Der Verlag Zeter & Mordio aus Hannover nennt sich einen „Verlag für Nebenwelten“. Hier kümmert man sich um Neuentdeckungen und Talente, die bisher meist unveröffentlicht blieben, weil sie nicht in die Programme der größeren Publikumsverlage passen, die jedoch oftmals spannende und ungewöhnliche Geschichten zu erzählen haben. Schon allein dafür gebührt den engagierten Verlagsmenschen ein besonderer Dank.

Als neuer Star des noch jungen Verlags deutet sich die 39jährige Autorin Juliane Beer an. Nachdem sie bereits mit literaturtheoretischen Texten Aufmerksamkeit erlangte, legt sie mit „Über den Fortgang der Dinge“ eine ambitionierte Erzählung vor. Die Ich-Erzählerin lebt über dem Opernhaus der Stadt. Ihr Lebensinhalt besteht in der Belauschung der Opernproben und der Beobachtung des Opernvorplatzes. Die „Anderen“, wie sie ihre Mitmenschen nennt, geben ihr täglich Rätsel auf – sie versteht einfach nicht, aus welchen Motiven sich die „Anderen“ so verhalten, wie sie es tun. Alltäglichkeiten kennt und versteht sie nicht. Zudem befürchtet sie, ihre Gedanken könnten von den „Anderen“ gehört werden, weshalb sie zur Vorsicht des öfteren ein „lick lick lick“ vor sich hersagt, um diese Gedanken zu übertonen. Sie ist Studentin, nimmt aber kaum am Unterricht teil. Stattdessen teilt sie ihre Wohnung mit einem imaginären Freund, mit dem sie Kaffee trinkt und aus dem Fenster schaut. Mit ihm kann sie sich unterhalten und ihn von seiner Heimat, einem imaginären Land, erzählen lassen.

Eines Tages nimmt sie einen Nebenjob in der Opernbar an, wo sie als Aushilfsbedienung arbeitet. Der Trompeter des Opernorchesters scheint sich für sie zu interessieren, was sie in wachsende Panik versetzt, denn anders als ihr Freund in der Wohnung beginnt er Ansprüche an sie zu stellen, denen die sich nicht gewachsen sieht. Schließlich findet sich die Erzählerin einer ausweglosen Situation gegenüber, deren einzige Lösung ein Opfer verlangt. Ihr Freund im Ohrensessel hat da schon eine Idee …

Die Szenerie in „Über den Fortgang der Dinge“ erinnert zuweilen an die düsteren Passagen in Kafkas Erzählungen; besonders die der übrigen Gesellschaft enthobene Opernatmosphäre und die isolierte und schizophrene Wohnsituation trägt zu diesem Eindruck bei. Es dauert, bis man als Leser in die Geschichte hineinfindet und die Ungeheuerlichkeiten begreift, die sich abspielen, bis man begreift, dass man keiner der auftauchenden Stimmen zu sehr trauen sollte. Die Erzählung fordert daher Geduld. Die leider oftmals abgedroschenen Bilder, mit denen Beer eine Zivilisationskritik versucht, verführen dazu, „Über den Fortgang der Dinge“ als zu plakative Darstellung der sozialen Gegebenheiten einer Großstadt und als ungelenken „Bericht eines Ausgegrenzten“ in der Folge von Vorgängern wie Malte Laurids Brigge oder Woyzeck abzutun. Manchmal wäre etwas weniger mehr gewesen. Wenn man sich jedoch hereinfindet in den Ton der Geschichte, dann entwickelt sie immerhin ein charmant-grausames Flair.