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Januar 2005 Stan LaFleur
für satt.org

Dinesh Allirajah:
A Manner of Speaking

Spike, Liverpool 2004

Dinesh Allirajah: A Manner of Speaking

100 S., ca. 10 Euro
ISBN 0-9518978-8-8

» Vertrieb in Deutschland

Als Appetizer findet sich die Geschichte "Giving Away Soap" auf der Website der Rheinischen Brigade

Speiseeisheilige und
andere moderne Gestalten

Dinesh Allirajah:
A Manner of Speaking

Es sind schon komische Leute, die diese Welt bevölkern. Wir treffen sie wirklich überall und das beste: Wir gehören selbst dazu. Dinesh Allirajah ist auch so einer. Gelassen und schwungvoll zugleich erzählt er uns unsere Geschichten, auf seine eigene Weise, die mit britischem Humor nicht spart. Solche Geschichten, die wir beinahe selbst und beinahe genauso erlebt haben, wie sie in Allirajahs Erstling geschrieben stehen.

Mister Benn ist in etwa die englische Entsprechung zu Herrn Rossi, dem kleinen Italiener auf der Suche nach dem Glück. Beide Zeichentrickserien wurden in den Siebzigern ausgestrahlt. Mister Benn ist ein gewöhnlicher Mann, trägt einen gewöhnlichen Anzug und Melone, und lebt nichts weiter als seinen Alltag. Bis er eines Tages in einen Kostümladen stolpert, wo er fantastische Einstiege in andere Welten vorfindet. So wird Mister Benn zum Cowboy, Zirkus-Kraftprotz, Zauberer, Gladiator usw. In der Regel verändert er die Welt, die er besucht, ein wenig durch seine Art. Zuhause findet er in der Anzugtasche ein kleines Erinnerungsstück an das Abenteuer.

Mister Benns Abenteuer erinnern Allirajah an seine eigenen Erfahrungen als Zuwanderer und Reisender. "The Mister Benn Episodes" versetzen den Erzähler zwischen seiner Liverpooler Wahlheimat und so unterschiedlichen Schauplätzen wie Sri Lanka, dem Heimatland seiner Eltern, Las Vegas und Kuba in Zeit-, Ort- und Gedankensprüngen hin und her. Die äußeren Umstände sind dabei meist einen genialen Tick neben der Spur. Auf Kuba versucht der Ich-Erzähler in vergeblichem Altruismus, Seife zu verschenken – die verarmte Bevölkerung steht doch eher auf Dollars. In der Glitzerwelt von Las Vegas geht es um ein Aufeinandertreffen mit Frank Sinatra, erzählt wie ein Witz, der eine halbe Stunde lang aus immer neuen Quellen genährt auf seine Pointe zuschlingert. In der Altstadt von Toledo treffen wir auf San Miguel de los Helados, den ersten lebendigen Speiseeisheiligen der Weltgeschichte.

Bunt geht es also zu in den Geschichten, die ausstaffiert mit Songs und Gerüchen, coolen Betrachtungen am Grat des ewigen Scheiterns und einem gelegentlich etwas zu anglo-amerikanischen Bezugspersonal einen wuseligen Internationalismus zelebrieren, man fühlt sich über einen reichhaltigen Markt laufen, auf dem Worte und Gedanken feilgeboten werden, kleine und große Szenen, flimmernde Hintergründe, Flüche genauso wie von Liebe getriebene Poesie. Kurz, Leben eben.

Im zweiten Storyblock "Someone Else`s Memory" beehrt der Autor unter anderem Deutschland, genauer gesagt Köln, um ganz präzise zu sein: das verschnarchte Jungliteraten-Café Storch, dessen Atmosfäre in drei Erzählperspektiven verwoben zu jener kruden Mischung aus intellektueller Lahmarschigkeit, verfehlter Romantik und unerwarteter Action gerät, die diesen Ort auch im wirklichen Leben auszeichnet. Eine weitere Geschichte "Dirty Feet On The Saint" verlinkt auf eigenartige Weise die Straßen und Kunst der Rheinmetropole mit denen Roms, Caravaggios Matthäus-Tryptichon in der Französischen Kirche mit dem Betonauto auf dem Ring, vespabewehrte römische Aktmodells mit kölnischen Herumstreunern unter Gerhard-Schröder-Masken – und strömt überhaupt viel trocken beschriebene Heiligkeit aus.

"Not Going Anywhere", der letzte Teil, bietet, wie der Titel vermuten läßt, etwas häuslichere Geschichten, Referenzen an den verblichenen Vater, Familie, Freunde und deren Kinder, Fernseherlebnisse und Songs – und natürlich ein paar Ecken Liverpools. Originelle wie fragwürdige Theorien werden hier entfaltet und kuriose Ereignisse erzählt, die denen der Reisegeschichten in nichts nachstehen. So wird unter dem schönen Titel "I Used To Get Lost In Manchester Too" der Marathonlauf eines Athleten aus Tansania geschildert, der nach dem Zieldurchlauf einfach weiterrennt. Die anerkennswerte Wunderleistung, sich als Fremder weit über vierzig Kilometer nicht in Manchester zu verirren, kehrt sich während vierhundert überflüssig absolvierten Stadionmeter in wohlmeinenden Spott über den "schrägen Ausländer".

Als Sproß einer tamilisch-singhalesischen Ehe in London aufgewachsen, lebt Dinesh Allirajah heute in Liverpool, findet Cricket toll und die Tottenham Hotspurs, was er im übrigen zu Recht als Widerspruch in sich betrachtet. Sein Schreiben ist geprägt von Musik, Humor und seiner persönlichen Situation als zugewanderter Europäer. Viele der Geschichten enthalten politische Untertöne die gleichsam verdeckt in die stets aufs Beste unterhaltenden Stoffe eingewirkt, niemals zeigefingerhaft daherkommen, sondern schlichtweg auf wahre Milieus verweisen. Allirajah ist auch in Deutschland, zumindest in Köln, als begnadeter Performer bekannt – wer Gelegenheit hat, ihn mit seinen Geschichten oder Jazz Poetry auf der Bühne zu erleben, sollte es tunlichst nicht versäumen.