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September 2003
Marc Degens
für satt.org

Axel Klingenberg, Andreas Reiffer:
SUBH
shut up - be happy!

greatest hits 199März 2003 Verlag Andreas Reiffer 2003

Axel Klingenberg, Andreas Reiffer: SUBH greatest hits 199März 2003

202 S., 12,50 EUR
   » SUBH

Shut up - be happy!
10 Jahre SUBH



Eine literarische Zeitschrift herauszugeben ist eine mitunter recht frustierende Angelegenheit. Neben dem immensen Zeit- und Arbeitsaufwand, den generell jeder Heftmacher meist un- oder unterbezahlt in sein Erzeugnis stecken muß, kommt speziell im literarischen Feld eine weitere Besonderheit zum Tragen: die Diskrepanz zwischen der gewaltigen Masse an potentiellen Autoren und der geringen Leserschaft. Denn während das Heer der Schreiberlinge, das seine Texte gern irgendwo veröffentlicht sehen will und seine Manuskripte deshalb blind an alle erreichbaren Adressen verschickt, schier unermeßlich ist, erweist sich jeder einzelne Leser/Käufer, der bereit ist, für ein Probeexemplar einen häufig sogar nur symbolischen Betrag zu zahlen, fast schon als kleiner Lotteriegewinn. An diesem Mißverhältnis scheiterte erst kürzlich das überaus lesenswerte 'Magazin für Literatur, Kunst und Theorie' „Trystero": „Es hatte den Anschein, als würden Autoren die Zeitschrift vor allem als kostenloses Publikationsmedium nutzen", so die Herausgeber Edward Viesel und Daniel Teufel. „Daran ist natürlich nichts auszusetzen und niemand, der etwas veröffentlichen will, ist verpflichtet, sich ausgiebig mit dem Medium für die Veröffentlichung zu beschäftigen. Wenn Rückmeldungen jedoch weitgehend ausbleiben und auch die Resonanz seitens der LeserInnen fehlt, stellt sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Projektes.“ Ja, Deutschland ist womöglich das Land der Dichter und Denker, das der Leser ist es augenscheinlich nicht.

1993 erschien die erste Ausgabe des Literaturmagazins SUBH, benannt nach dem Slogan „shut up - be happy“ der Punkikone Jello Biafra. Zu dieser Zeit wirkte der alternative Literaturraum noch fidel und quicklebendig. Die Social-Beat-Bewegung erlebte gerade ihre Hochphase, engagierte Literaturaktivisten hatten ein dichtes Kommunikationsgeflecht über das Land ausgebreitet, allerorten entstanden bierselige Leseforen, kleine Literaturfestivals und neue Zeitschriften. SUBH war nur ein Titel von vielen, allerdings unterschied es sich von Anfang an wohltuend von den meisten anderen. Denn die Herausgeber Andreas Reiffer und Axel Klingenberg schufen nicht nur einen weiteren Veröffentlichungsort für die literarischen Ergüsse abseitigerer Autoren; nein, ihr Augenmerk war auch immer auf den Diskurs, auf die Auseinandersetzung mit mehr oder minder verwandten Produkten gerichtet. SUBH veröffentlichte Essays und Rezensionen, kündigte Termine an und vertrieb später sogar die Erzeugnisse befreundeter Verleger. Das war mehr als ein Blick über den Tellerrand, und im Laufe der Zeit kam SUBH so eine immer zentralere Bedeutung zu - besonders, als ab Mitte der Neunziger die alternative Literaturszene kollabierte. Das legendäre Autorenservicemagazin „Impressum“ wurde 1995 mit dem Tod seines Machers Josef 'Biby' Wintjes eingestellt und um Verständigung und Verbindung bemühte Literaturmagazine wie „Der Störer“ oder „molli“ verschwanden. Das Netzwerk brach in sich zusammen, die Szene versprengte sich. Der Aufstieg der Popliteratur tat ein übrigens: Der etablierte Betrieb saugte erhebliche Mengen an subversiver Energie aus dem alternativen Literaturraum ab, und die Autoren, die nicht den Sprung in das KiWi- oder Zweitausendeins-Programm und in die Feuilletons geschafft hatten und weiterhin vornehmlich in billig produzierten Heftchen veröffentlichten, galten plötzlich als gescheiterte, unverbesserliche Anti-Literaten:

"Damals waren sie geil drauf:/Haste 'n fanzine? kuck?/heute beschwert sich eine/über nen textabdruck/Wo sind die schreiber geblieben?/sie wollten überall rein/Sie gingen mit dir ins bett dafür/im statusirresein/Ich dachte es ständ unsre sache/im saft auf jahre hinaus/Ich sag euch es is 'n schreißdreck/Das konto blutet aus",

so Hel, einer der wenigen Autoren, der den alternativen Literaturraum nicht als Karrieresprungbrett oder Auffangstation, sondern tatsächlich als Freiraum interpretiert - und mit seinen außergewöhnlichen Texten trotz aller Widerstände bereichert.

Als Reaktion auf diese Entwicklung igelten sich die meisten der verbliebenen Literaturmagazine ein, bestritten Ausgabe um Ausgabe mit dem selben Stamm von Autoren - mitunter kann man beim Blick ins Inhaltsverzeichnis nicht erkennen, ob ein Heft aus dem Frühjahr 1993 oder 2003 stammt. Nicht so bei SUBH. SUBH machte vielmehr zahlreiche Veränderungen durch, äußerlich wie auch inhaltlich, präsentierte frische Namen und versuchte stets, auf der Höhe der Zeit zu sein und die aktuellen Geschehnisse im alternativen wie auch etablierten Literaturraum kritisch zu begleiten. Und daß dies größtenteils gelang, ist für eine Zeitschrift, die keine Honorare zahlt und ausschließlich auf den Goodwill ihrer Autoren angewiesen ist, eine bewundernswerte Leistung. Und daß SUBH in diesem Jahr sogar sein zehnjähriges Bestehen feiert, ist schier unglaublich!

Wie gesagt, SUBH ist seit einigen Jahren aus dem alternativen Literaturraum nicht mehr wegzudenken, gleichzeitig aber ist SUBH vielmehr als nur ein Mitteilungsblatt, sondern auch und vor allen Dingen eine literarische Zeitschrift, die den unterschiedlichsten Autoren - alten und neuen, experimentierfreudigen und sachlichen, zahmen und wilden - ein Forum bietet: Social Beat und Dada; Popprosa und Punklyrik; Comics, Satire und Schwermut. Als Geburtstagsgeschenk für sich und in erster Linie natürlich für die Leser haben die Herausgeber nun einen Greatest Hits-Band mit den schönsten Texten aus zehn Jahren SUBH zusammengestellt. Das Buch ist keine runde Sache, natürlich nicht, das geht von der gesamten Anlage her nicht! Und auch wenn einzelne Texte stark abfallen, lohnt sich die Anschaffung des Buches. Denn die Herausgeber wollten keinen homogenen Überblick über den alternativen Literaturraum abliefern, sondern ganz im Gegenteil die Vielfalt und den Reichtum der Szene dokumentieren. Die Anthologie präsentiert Texte von alten und jungen Klassikern wie Hadayatullah Hübsch, Michaela Seul, Bdolf oder Jaromir Konecny, sie präsentiert Paradiesvögel wie Dr. Treznok und lädt auch zu der ein oder anderen Entdeckung ein. Das Gros der Autoren wurde in den sechziger Jahren geboren, gerade aber auch die graphischen Arbeiten der Jüngeren wie Thomas Glatz oder Alexander Scholz überzeugen. "SUBH greatest hits 1993 - 2003“ ist eine Kraftshow! Für all diejenigen Leser, die neugierig sind und sich für den alternativen Literaturraum interessieren, ist das Buch eine geeignete Einstiegslektüre. Und wer noch mehr will, wer am lebendigen Diskurs der Szene interessiert ist und auf der Höhe der Zeit sein möchte, dem sei zusätzlich das preiswerte SUBH-Abonnement ans Herz gelegt:

"Abschließend, Imperialist, sei dir gesagt:/Ist unser Kampfblatt auch betagt,/es trotzdem Biß und Schärfe hat/und dennoch dient's dem Völkerfrieden/drum sei ein hohes Alter ihm beschieden."

Den Worten von Jan Off ist nichts hinzuzufügen.