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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



August 2003
Mascha Kurtz
für satt.org

Annie Saumont:
Seife aus Paris

Novellen
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer, Susanne Nadolny u.a.
Edition Ebersbach 2003

Annie Saumont: Seife aus Paris
166 S., geb.
19,00 EUR
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Klaffende Körper



"Ich habe sehr dafür zu kämpfen gehabt, ausschließlich Novellen zu veröffentlichen. Romane zu schreiben liegt mir nicht", sagt Annie Saumont. Jetzt ist in der edition ebersbach erstmals einer ihrer Bände mit Novellen auf Deutsch erschienen. Wohl auch deswegen wird die immerhin schon 76jährige Autorin – auch in ihrer Heimat als Geheimtipp gehandelt – als französisches Gegenstück zu Raymond Carver gepriesen. Das ist natürlich Unsinn, stammt die Französin doch aus einer ganz anderen literarischen Tradition. Vom Nouveau Roman beeinflusst, sagt sie, wenn sie sich dieser Strömung auch nicht zurechnet: „Von da an konnte ich ’er dachte’ nicht mehr schreiben; wie kann ein Autor wissen, was seine Figur denkt?"

Distanz zu bewahren, sich auch als Autor nicht allwissend zu geben, sei ihr wichtig. Dadurch werden ihre Texte zwangsläufig zu Rätseln: Warum handelt jemand so, wie er handelt? Hintergrund vieler Erzählungen bildet die Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs. Eine Welt, in der man schnell ein Leben retten oder zerstören kann. Warum reißt der Fotograf den Film aus der Kamera, obwohl er zufällig einen Mörder aufgenommen hat, dessen Tat mit der Erschießung von 50 Geiseln geahndet werden soll, wenn der Mörder nicht gefasst wird? Warum ruft der Junge die Dienstmagd mit ihrem wahren Namen „Sarah", ausgerechnet, als ein deutscher Offizier auf dem Hof ist?

Saumont tischt dem Leser keine Lösungen auf. Sie ähnelt einem Pathologen, der die von ihm geöffneten Körper klaffen läßt, statt die Organe an ihren Platz zu legen und die Leiche zuzunähen. Ihre Kürzestnovellen enden oft in makabren Pointen. Von fern fühlt man sich an Roald Dahl erinnert, wenn eine biedere Hausfrau einen Polizisten in den Keller lockt, die Klappe abschließt, einen Schrank darüber schiebt und seelenruhig wieder an die Hausarbeit geht.

Oft wählt Saumont den inneren Monolog, um uns eben doch zu zeigen, wie es im Inneren ihrer Figuren aussieht. Auch die kindliche Perspektive zieht sie oft heran, um die Verlogenheiten der „Erwachsenenwelt“ darzustellen. Durch diese Monologe muss man sich hindurcharbeiten, um die Brüche im Leben der Menschen aufzuspüren. Die Autorin zieht einen halbtransparenten Vorhang aus Worten vor das eigentliche Geschehen, und der Leser muss die Augen zusammenkneifen und sehr genau hinsehen, um die rätselhaften Erzählungen der Annie Saumont zu entschlüsseln.