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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



April 2003
Tobias Lehmkuhl
für satt.org

Joachim Lottmann:
Mai, Juni, Juli.

Kiepenheuer & Witsch 2003

Joachim Lottmann: Mai, Juni, Juli.

256 Seiten
9,90 EUR
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Joachim Lottmann:
Mai, Juni, Juli


Wer die 80er Jahre damit verbracht hat, Legosteine aufeinanderzudrücken oder im Zuge von "La Boum" alles daransetzte, das andere Geschlecht kennenzulernen, wer also heute 20 oder 30 Jahre alt ist und wissen möchte wie es gewesen wäre, damals schon 20 oder 30 zu sein, der greife zu Joachim Lottmanns "Mai, Juni, Juli". Sicherlich wünscht man sich heute nicht mehr in die 80er Jahre zurück, aber es ist doch schön zu sehen, dass man auch wirklich nichts verpasst hat, dass nach Lego und La Boum nicht mehr viel zu erwarten war. Zumindest nicht, wenn man in gutbürgerlichen, westdeutschen Verhältnissen aufgewachsen ist. Leicht konnte man da – bildungsbefördert – der Wahnidee erliegen, man sei zum Schriftsteller geboren. Der Erzähler von "Mai, Juni, Juli" hat sich mit dieser Selbstein- und überschätzung eine schwere Last auferlegt, denn Erfolg will ihm einfach nicht beschieden sein. Und dabei steckt er sie doch alle in die Tasche, diese Großschriftsteller! Auch wenn sein Verleger davor ist. Den trifft er, nachdem er in Hamburg fast verhungert ist, hin und wieder in Köln, wo er sich für die zweite Hälfte des Buches hingeflüchtet hat. Köln, deutsche Medienhauptstadt und Redaktionsort der damals so wirkungsmächtigen SPEX. Am Puls der Zeit also und mit einigen guten Ratschlägen seines Verlegers versehen, erzählt und erzählt der Protagonist vom 80er Jahre-Alltag, von Musik und Provinz und Alkohol, streut immer wieder Romanentwürfe in den Textfluss und irrt eigentlich durch eine Welt, die ihm nur als Literatur etwas taugt.

Im Grunde aber äußert sich hier das Lebensgefühl einer Generation, die mit Utopien und Idealen nichts mehr anfangen kann, die sich nicht einmal mehr aufraffen mag, gegen westdeutsche Beschaulichkeit und das damals so verbreitete literarische Gutmenschentum anzugehen. Hier erscheint plötzlich der Gedanke interessant, was passiert wäre, hätte der Kalte Krieg nicht kurze Zeit später sein Ende gefunden. Joachims Lottamms 1986 geschriebener und jetzt wiederveröffentlichter Roman zeigt zwar nicht, was für eine Entwicklung die deutsche Literatur in diesem Fall genommen hätte, aber er macht deutlich, dass sie auf jeden Fall eine andere gewesen wäre.