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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



Februar 2003
Kathrin Kurz
für satt.org

Zeruya Shalev:
Mann und Frau

Berliner Taschenbuchverlag 2002

Zeruya Shalev: Mann und Frau

399 Seiten
10,90 Euro
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Zeruya Shalev
Mann und Frau


Wieder einmal hat die israelische Autorin Zeruya Shalev einen ganz großen Wurf gelandet. Ihr zweiter Roman Mann und Frau steht seinem Vorgänger Liebesleben, Bestseller und Shalevs höchst beeidruckendes Debüt in Deutschland, qualitativ in absolut nichts nach und dabei doch auf erstaunlich eigenen Füßen.

Anders als das durch seine erotische Extravaganz und Unverblümtheit einschlagende Liebesleben gibt Mann und Frau Einblick in ein Eheleben, genauer, in die Enge einer alltäglichen Vater-Mutter-Kind-Beziehung. Der Plot, wollte man ihn in ein paar Sätzen fassen, ist nicht gerade spektakulär und würde von sich aus kaum allein zur Lektüre reizen: Udi und Na’ama, Mann und Frau, befinden sich in einer chronischen Ehekrise. Seit Beginn der Pubertät miteinander verheiratet, vegetieren sie nun, nach über zwanzig Jahren Ehe, in einem dickflüssigen Sud der Gewohnheit und des Streits vor sich hin: Udi, reizbar, nachtragend, der mit seiner Eifersucht jegliche Momente der ohnehin seltenen familiären Harmonie zur tickenden Zeitbombe werden lässt, fällt vorübergehend allerhand seltsamen Krankheiten anheim - alles psychosomatische Reaktionen, um Na’mas Aufmerksamkeit und vor allem ihr schlechtes Gewissen zu erregen, das seit ihrer Affäre mit einem Maler vor längerer Zeit permanent bloßliegt und sie fast auffrisst. Obwohl es gerade wegen ihres Verantwortungsbewusstseins und ihres konventionellen Ehe- und Familienbegriffs („schließlich sind wir Mann und Frau“) nie zum Geschlechtsakt mit ihrem Liebhaber kam, verzeiht ihr Udi nicht und setzt sie gnadenlos und quengelnd ihren Schuldgefühlen aus. Sie nervt im Gegenzug damit, dass sie ihrer Familie einerseits immerzu alles rechtmachen will, womit sich nicht zuletzt sich selbst restlos überfordert, und ihnen andererseits ihren unerschütterlichen Drang nach Perfektion überstülpt. Sie erwartet immer und wird immer enttäuscht; auch von ihrer Tochter Noga, die keine Freunde hat, dafür aber eine übergroße Zuneigung zu ihrem Vater, mit der sie ihr bei ihren zahlreichen Versuchen, ihr Eheleben wieder aufzupeppeln, meist im Weg steht. Um der Quälerei ein Ende zu machen und sich von aller ehelichen Enge und der Last der Streitereien und Bedrückung freizuschaufeln, verlässt Udi schließlich seine Familie. Anfänglich glaubt Na’ma, des Alleinseins und selbständigen Lebens gänzlich entwöhnt und deshalb schier ohnmächtig, ihre neue Situation nicht durchzustehen - doch Schritt für Schritt tritt der Katharsiseffekt ein: Endlich lässt sie locker und sieht ein, dass nur in der Freiheit, nicht aber in der Forcierung von Nähe das Potential zu einer intakten Beziehung liegt.

Der Plot würde von sich aus kaum zur Lektüre reizen, schrieb ich oben, und füge nun ergänzend hinzu: …wäre da nicht die Sprache. Die Geradlinigkeit und Ehrlichkeit, mit der die Dinge gesagt werden, mit der umfassende Gefühlswelten ebenso wie der scheinbar nebensächlichste Gedanke beim Namen genannt werden, macht Zeruya Shalev keiner nach. Jeder Gedankenfetzen, jeder spontane Eindruck, jeder Gefühlsmoment, die an unreflektierten Gemütern vorbeihuschen würden und für immer verloren wären, werden gepackt und in Sprache umgesetzt und zwar so, als ob es sich bei dem, was man auf Papier vor sich hat, nicht um das Vermittlungsorgan Sprache, sondern um unmittelbares Erleben handle. Man ist ins Geschehen involviert, vom Scheitel bis zur Sohle, nicht zuletzt, weil man manche Zustände selbst gut kennt. Shalev verschweigt nichts. Man möchte meinen, sie durchlebt jeden ihrer Sätze höchstpersönlich, ihre Vergleiche sitzen bombensicher, können treffender nicht sein - und was Na’ama empfindet, empfindet auch der Rezipient, da ist nichts dazwischen. Dabei wirken Shalevs Worte nie kitschig, nie abgedroschen, aber auch nie künstlich oder intellektuell-aufgesetzt, sie sind einfach wahr, authentisch, dem Leben noch körperwarm entnommen und trotzdem Kunst.

Was ein bekannter und allzu kritischer Kritiker zu Liebesleben gesagt hat, trifft in jedem Fall auch auf Mann und Frau zu, und ich bediene mich gern seiner Worte, wenn ich behaupte, der Roman „gehört überhaupt zum Besten, was ich in den letzen Jahren gelesen habe.“