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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



September 2000
Mikko Stübner
für satt.org

Benjamin
von Stuckrad-Barre:
Blackbox
Unerwartete
Systemfehler

Kiepenheuer & Witsch
Köln 2000
384 Seiten
DM 19,90

Blackbox, von Stuckrad-Barre

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Transkript
Deutsches Theater

Benjamin
von Stuckrad-Barre

Blackbox


Man kann ihn für arrogant halten und ihm vorwerfen, sich nur mit Oberflächlichkeiten zu befassen und Unwichtiges in den Vordergrund zu stellen, oder man findet ihn schlichtweg grandios und das System durchschauend. Eine Reihe von Mitgliedern letzterer Gruppe jedenfalls sorgte am 31.8. dafür, daß das Columbia Fritz in Berlin absolut ausverkauft war und ich mir nicht mal mehr eine Presse- Akkreditierung für die Gästeliste erschleichen konnte. So beliebt ist also der Popautor inzwischen.

Ich muß zugeben, daß ich so meine Zweifel mit „Blackbox" hatte. Ein vorab im Spiegel veröffentlichter Auszug zeigte einen Teil des 2. Kapitels, dessen Erzählperspektive sich der dritten Person bediente. Die Rede war also nicht mehr vom Ich-Erzähler sondern vom Jungen Mann und irgendwie war der Auszug dann noch relativ lieblos zusammengekürzt, daß es mir beinahe die Tränen in die Augen trieb. Darauf sollte ich nun so lange gewartet haben?

Nun ja, ich war mir nichtsdestotrotz sicher, daß auch der vierte Roman Stuckrad-Barres mein Eigen würde und gab bereits Anfang August meine Bestellung beim Buchhändler meines Vertrauens auf. Das sollte sich dann an einem besonders verregneten Sonnabend etwa zwei Wochen später auch auszahlen, denn allein der Kommentar meines Literatur Dealers über das so liebevoll gestaltete Cover ließ das Werk seine 19,90 Mark wert sein. So blätterte ich also freudig erregt durch den neuen BSB-Band und konnte mich sogleich an dem dargebotenen Daumenkino erfreuen, das durch einen Pariser Flugzeugabsturz eine erstaunliche Aktualität an den Tag legte.

Lange Rede, kurzer Sinn: es gibt einige nur schwer zugängliche Passagen über Drogenkonsum, ein Dramolett, das sowohl Lindenstraßen als auch „Schtonk"-Kenntnisse erfordert, aber meine beiden Favoriten sind eindeutig weiter gegen Ende zu finden. Ein "Standarddokument“ enthüllt Sinn und Unsinn von Talkshows anhand einer „wahren Hintergrundgeschichte". Zudem beschäftigt sich Stucki (das hört er wohl nicht gerne) gegen Ende mit einem Neustart, der allerdings faßt gar keine Parallelen zu den Umzugsgeschichten in „Soloalbum" zuläßt, soll heißen nix Altbewährtes, sondern neue, aufgelistete Ungereimtheiten.

Wäre ich noch sechzehn, dürfte ich sagen, der Anzugträger Stuckrad sei mein derzeitiger Held. Da er aber drei Wochen jünger als ich ist, hier also meine bloße objektive Kaufempfehlung: Der Autor ist - ohne, daß er das gemußt hätte - reifer in seinen Geschichten geworden und macht immer noch Spaß. Von wegen Bildungselite, Hah! Da macht wieder jemand Lust aufs Lesen, ohne allzusehr versnobt zu wirken (da müßt ihr erst mal Christian Kracht lesen!). Das ist vielleicht auch der Grund für seine Beliebtheit und ausverkaufte Häuser diesseits und jenseits der Spree, denn die Leser lernen auch gleichzeitig wieder das Zuhören!