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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



März 2000
Marc Degens
für satt.org


David Wagner:
Meine nachtblaue Hose.
Alexander Fest Verlag, Berlin 2000

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geb. Ausgabe
Taschenbuch

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David Wagner: Gedicht
David Wagner: Was alles fehlt

Morgen wird wie heute sein



Aufmerksame Leser kennen und schätzen den 1971 geborenen, in Berlin lebenden Autor David Wagner wahrscheinlich schon seit einigen Jahren. Seine vorrangig in der von Michael Rutschky herausgegebenen, leider mittlerweile bereits eingestellten Buchanthologie „Der Alltag“ veröffentlichten Texte - Reiseberichte und Erinnerungen an Brotaufstriche, Friseurbesuche und Sammelleidenschaften - bieten nicht nur kurzweilige und unterhaltsame Lektüre, gleichwohl bestechen sie alle auch durch außergewöhliche Stilsicherheit, Beschreibungsfreude und sprachliche Eleganz.

Dieser Tage nun legte David Wagner, der die Leser der FAZ-Hauptstadtbeilage regelmäßig mit Artikeln und literarischen Miniaturen beglückt, im Alexander Fest Verlag, dem Stammhaus zahlreicher FAZ-Autoren, sein erstes Buch vor: „Meine nachtblaue Hose“, eine umfangreiche, stark autobiographisch gefärbte Erzählung im verkaufsträchtigeren Gewand eines Romans. Darin erzählt Wagner wunderbar wortgewandt die Geschichte eines jungen Studenten, der sich in Berlin in Fe, die Freundin seines Kommilitonen Anatol, verliebt und mit ihr eine elegische Reise in seine und ihre Kindheit antritt. An einer Stelle des Buches heißt es, „in einem bestimmten Alter sei das Leben wie ein französischer Film“ - das mag stimmen und erinnert an die Liedzeilen „und im Leben geht‘s oft her, wie in einem Film von Rohmer“ der einstmaligen Dauerjugendband Tocotronic. Freilich gibt es noch mehr Parallelen zu den schwermütigen Songtexten der Hamburger Vorzeigegruppe, auch Wagners Ich-Erzähler kennt und beschreibt Situationen, die Tocotronic beispielsweise so zusammenfassen: „Es ist schon seltsam und ich komm total ins schwitzen, wie wir beide nebeneinander auf dem Teppichboden sitzen“. Michael Rutschky bezeichnet auf dem Umschlag des Buches Wagners Art des Erzählens als „erinnerungssehnsüchtig“ - und gewiß, das ist sie.

Wohl noch nie in der deutschen Literatur wurde das Öffnen eines Nutella-Glases so plastisch und schön beschrieben wie hier. Gleichwohl liest sich „Meine nachtblaue Hose“ auch wie eine belletristische Fassung des klugen und vergnüglichen Essaybandes „Generation Golf“ des Berliner FAZ-Feuilletonredakteurs Florian Illies. Doch die Erinnerungssehnsucht, das permanente Gedenken an den Diercke-Weltatlas, an Nimm-Zwei-Bonbons und die „Drehscheibe“ birgt auch eine Gefahr, so fragt sich etwa der Ich-Erzähler: „Wie kommt man aus seiner Verpuppung heraus, aus dem Kokon von Kunststoffkindheit, Nutellakindern, Niveatöchtern?“ Und leider gelingt es weder dem Autor noch seinem Protagonisten hundertprozentig, sich zu einem Vollkerf zu entwickeln, so wird der in dem Buch angelegte Konflikt, das ungeheure Liebesverhältis zwischen dem Vater und der Tante des Ich-Erzählers, nicht wirklich ausgetragen, sondern schwelt eher absein vor sich hin. Dennoch hat David Wagner mit seinem Erstlingswerk bewiesen, daß er ein ausgezeichneter Prosaautor ist, allein der erzählte Stoff ist an manchen Stellen so dünn wie der eines alten Beinkleides.