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August 2003
Timo Berger
für satt.org

Biennale-Logo

Biennale 2003

Halbzeit auf der Ausstellung
für zeitgenössische Kunst

von Timo Berger (Venedig)




Venedig im August. Es ist heiß und schwül. Immer wieder brauen sich Wolken über der Stadt zusammen, der erlösende Niederschlag aber bleibt aus. Noch bis Mitte November dauert die 50. Biennale an, schon funktionieren einige der Kunstwerke nicht mehr. Videoinstallationen haben ihren Geist aufgegeben, Besucher die Steuerungselemente interaktiver Spielchen überstrapaziert und Multiples zum Mitnehmen, wie die emblematischen »Imagine-Peace«-Buttons von Yoko Ono, sind längst alle.


Halbzeit auf der Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Jetzt sollten Touristen in Scharen durch die Biennale-Gärten streifen, doch die liegen lieber am Strand. Vier Ausstellungsorte an zwei Tagen haben wir uns vorgenommen. Anestis und Jorgos - meine zwei griechischen Begleiter - und ich.

Venedig sei teuer und stinke, hatten uns Italienkenner vorgewarnt. Außerdem: die Italiener momentan nicht gut auf Deutsche zu sprechen. Grund genug die Einladung der zwei braungebrannten, fidelen Griechen, Nachbarn aus Berlin, anzunehmen. Die perfekte Tarnung, Seite an Seite mit Jorgos und Anestis würde niemand den aufgeblasenen Deutschen in mir erkennen. Und dann Venedig: die Kanäle riechen fischig, aber nicht unangenehm. Auch von teuer keine Spur: das Zimmer zu dritt mit Ventilator 60 Euro.

Nach der ersten Nacht auf einer Freitreppe am Canale Grande mit zwei Flaschen Merlot, Jorgos griechischem Sang und deswegen ohne Italienerinnen, brechen wir am Morgen mit dem Vaporetto auf, den Minifähren, die zwar nicht schneller als Gondeln sind, aber den Vorteil haben, das niemand Fahrscheine sehen will. Am Tunnel zu den Biennale-Gärten halte ich die Presseakkreditierung hoch, Anestis und Jorgos verdrücken sich seitwärts in die Büsche. Drei Stunden später treffe ich die beiden wieder. »Hinter dem Schweizer Pavillon«, raunt Anestis mir zu, »sitzt ein Pfahl locker«.



Biennale-Plakat

Dann tauschen wir Meinungen aus. Jorgos hat in Berlin Kunst studiert, Anestis verdingt sich als Regieassistent bei Filmproduktionen im Low-Budget-Bereich. Beides also Kenner der Materie. Jorgos ist ganz begeistert von der Biennale: »viel besser als Dokumenta.«. Anestis zählt seine Favoriten auf. »Der Rest, mau«, stöhnt er. Australien, Platz 1 für die Skulpturen von antromorphen Hybridwesen von Patricia Piccinini, Israel Platz 2 für die auf Petrischalen projizierten Filme von Michael Rovner, in denen Menschen zu Genen mutieren, und Skandinavien Platz 3 für das Gesamtkonzept, der ganze Pavillon ein magischer Würfel. Und Österreich, Sonderpreis für die an Max Ernst erinnernden Skulpturen von Bruno Gironcoli. Dagegen Deutschland und Schweiz, bäh. So lautet fast übereinstimmend die Reihefolge, nachdem wir alle unsere Wertungen abgegeben haben.

Anestis dreht sich eine Zigarette, dann müssen Begründungen her. Meine Strategie: Fundamentalkritik. Was soll das Ganze überhaupt, diese Nationenschau? Zu fragen, welche ist die größte Kulturnation, das sei doch lächerlich, und mit der Dokumenta überhaupt nicht zu vergleichen, auf der ja gerade dieser Zusammenhang, ein Volk, eine Kunst, aufgebrochen wurde. Jorgos verteidigt: »Immerhin gibt es hier mehr Kuratoren als auf Dokumenta. Mehr Stimmen, mehr Visionen und somit unterschiedlichere Kunst. Kein Okwui-über-alles.« Anestis lacht. Die Biennale würde sich mittlerweile schon selbst ad absurdum führen. Das Motto: »Die Diktatur des Betrachters« sei ein Witz, zwar würde der Betrachter neuerdings wieder verstärkt miteinbezogen, hineingedacht in die Kunst, aber an welcher Stelle würde sich dieser denn über das Kunstwerk stellen? »Das ist Demagogie«, sagt Anestis, passe aber ganz gut zum Italien der Ära Berlusconi. »Und schließlich war Kunst noch nie demokratisch, auch wenn der Alte mit dem Filzhut das behauptet haben soll«.

Aber wenn die Pavillons eindeutig Nationen zugeordnet sind, wen repräsentiert dann die drinnen ausgestellte Kunst? Im deutschen Pavillon gähnt mich frech ein Schacht an, in dem periodisch ein Tonband mit U-Bahn-Fahrgeräuschen abgespielt wird. Der fiel mir im ersten Moment gar nicht auf, dann denke ich: Kenn ich aus Berlin. Soll das jetzt den Untergrund repräsentieren, die subculture? Gar die hohe Institution Kunst, das deutsche Sendungsbewußtsein als Kulturnation, unterhöhlen? Ich bin unschlüssig. Vielleicht finde ich die Installation von Martin Kippenberger auch einfach nur langweilig. Die gestochen scharfen hochformatigen Fotos von Claudia Höfer an den Wänden jedenfalls sind öde. Sie zeigen leere Ansichten von im Alltag stark frequentierten Räumen. Bibliothekssäle, Konferenzräume, Hotellounges und die Spiegelkantine. Deutschland - menschenleer. Jorgos sagt »Das ist eine Zukunftsvision« und verweist dann auf die geringen deutschen Geburtenraten. Und Anestis fügt hinzu. So gesehen sei der für Nicht-Spanier abgesperrte spanische Pavillon ein ironischer Kommentar zu demselben Thema. Dort sei Fremden der Eintritt verwehrt, damit sich das spanische Volk wieder in Ruhe vermehren könne.

Eine Gruppe Italiener kann dem Argument nichts abgewinnen: »Wir sind hier in Italien, wir sind Italiener, laßt uns rein.« Ohne Erfolg. Die als Grenzer verkleideten Aufseher vor dem spanischen Pavillon müssen zwar schmunzeln, weichen aber keinen Schritt von ihrem Posten. Ohne die richtige Staatsbürgerschaft geht gar nichts. Auch in Italien. Er kürzlich hatte ein Mitglied der Regierung Berlusconi empfohlen auf Flüchtlingsschiffe das Feuer zu eröffnen. Aber über Politik will zurzeit in Italien kaum einer reden. Man wiegelt ab, Berlusconi findet man blöd, darüber bräuchte man sich nicht schon wieder den Mund fusselig reden, so eine Freundin, die ich nach dem Venedig-Abenteuer in Turin besuchen soll.

Am Abend im Hotel zappen wir uns durchs italienische Fernsehen. Auch hier wieder Ausgrenzung. Diesmal humoristischer Art. Wo man auch hin schaltet, immer wieder Deutschen-Witze. Der Höhepunkt des Fernsehabends: ein Moderator wiederholt minutenlang den Fußballernamen »Strunz«. Die Zuschauer im Studio johlen. So sind sie, die Deutschen, »stronzo come il Strunz«, strunzdoof. Und in der Wer-wird-Millionär-Show kommt, wenn ein Kandidat falsch antwortet, eine Frau namens Ingrid Grosser mit dem Teppichklopfer und schlägt aufs Hinterteil. »Grosser è grosso« (fett) kommentiert der Moderator, als die dickleibige preußische Gouvernante gemächlich wieder aus dem Kameraausschnitt wackelt. Jorgos und Anestis lachen. »Genau so ist es«, prustet Jorgos. Während mich Anestis trösten will: »Weißt du«, sagt er, »Griechenland existiert nicht. Die Griechen von heute haben rein gar nichts mit den Griechen der Klassik zu tun.« Das sei egal, wende ich ein. »Ihr bekommt trotzdem Olympia, und wir schicken weiterhin unsere Kultur in die Welt. Obwohl Goethe und ich uns nie kennengelernt haben.«