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Juli 2007
Christina Mohr
für satt.org



Riesenmaschine.
Das Beste aus dem brandneuen Universum

Wir gehen einfach mal davon aus, dass den meisten satt.org-Lesern (also sagen wir mal, gut 89%) das grimme- und erik-reger-preisgekrönte Weblog riesenmaschine.de bekannt ist. Seit 2005 kümmert sich die Riesenmaschine um Fortschritt im Allgemeinen und Besonderen, durchpflügt die endlosen Weiten des Internet und fördert Tag für Tag exzeptionelle Phänomene der Konsum- und -tierwelt, der Raum- oder Stadtforschung zutage.


Holm Friebe, Sascha Lobo,
Kathrin Passig, Aleks Scholz (Hrsg.):
Riesenmaschine. Das Beste aus
dem brandneuen Universum

Heyne 2007

Holm Friebe, Sascha Lobo, Kathrin Passig, Aleks Scholz (Hrsg.): Riesenmaschine. Das Beste aus dem brandneuen Universum

192 S., Tb, 8,95 €
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Jetzt erscheint bei Heyne das Riesenmaschine-Buch mit über hundert ausgewählten, besonders exzeptionellen Beiträgen, die man – wenn man ausnahmsweise gerade mal offline ist – bequem im Zug oder in der Hängematte lesen kann. Hier beantworten ein paar Riesenmaschine-Redakteure ein paar Fragen zum Leben im Netz:

CM: Im Vorwort des Buchs sprecht Ihr es ja schon an: ein Buch deswegen, weil man das Internet noch nicht so gut mit sich rumtragen kann. Dennoch: warum ist Papier so verführerisch? Was macht den Reiz eines „echten, richtigen“ Buchs aus?

Kathrin Passig / Aleks Scholz: Komisch, plötzlich tun alle so, als wären wir endlich im echten, richtigen Medium angekommen. Wenn Autoren ein Hörbuch ihrer Texte rausbringen, suggeriert doch auch niemand, dass der Text jetzt endlich da ist, wo er hingehört. Und wenn in der erdgeschichtlich betrachtet nahen Zukunft alle Bücher der Welt zerfallen sind, wird sowieso jeder einsehen müssen, dass die Felsmalerei das Medium der Zukunft ist.

CM: Berühmtsein: im Gegensatz zu den Heerscharen von Bloggern und überhaupt Onlinern sind die Riesenmaschine-Leute ziemlich prominent, Ihr verlasst die „Anonymität“ des Netzes. War das euer Wunsch/Ziel, oder ergibt sich das einfach so?

Aleks Scholz: Ich verstehe das Gerede von der Anonymität des Netzes nicht. Das Netz ist viel weniger anonym als, sagen wir, Tokio. Anonymität ist eine Sache der Vergangenheit; wie das Gehen auf vier Beinen und die Pest wird auch das Anonymsein von der Evolution abgeschafft und durch die Prominenz aller ersetzt. Dasselbe hat Marx schon vor hunderten von Jahren gesagt.

CM: Schicken Euch Leser manchmal Tipps -- wo die kuriosesten Tiere, Erfindungen und Wurmlöcher zu finden sind, etc.? Wenn ja, beschäftigt Ihr Euch damit oder ist die Riesenmaschine ein geschlossenes System?

Kathrin Passig: Unsere Leser schicken selten Tipps. Noch seltener ist was Brauchbares dabei, darüber freuen wir uns dann aber umso mehr.

CM: Euer Faible für Tiere, Technik-Gadgets und Astronomie ist unübersehbar - welche Kategorien fehlen noch in der Riesenmaschine?

Aleks Scholz: Glücklicherweise enthält das Weltall sowohl sämtliche Tiere und Gadgets als auch alles andere. Wenn man also nur ausreichend über Astronomie schreibt, wird sich der Rest schon selbst erledigen. Zur doppelten Absicherung enthält die Riesenmaschine aber auch noch die Kategorie 'Was fehlt', nur für den Fall, dass das Universum doch nicht überall ist.

CM: Betreibt Ihr Konsumkritik oder -feier?

Kathrin Passig: Wir feiern die Möglichkeit des Konsums, denn es ist toll, dass man zum Beispiel Sandalen mit Zimtgeschmack kaufen kann, wenn man das möchte. Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass es total bescheuert ist, Zimtsandalen zu kaufen. Unser Konsumideal ist die still entzückte, aber folgenlose Warenkataloglektüre.

CM: Was hat es mit dem Riesenmaschine-Nagetier-Kult auf sich?

Lukas Imhof: Was ist denn das jetzt für eine Frage? Fragt ihr den Papst auch, was es mit diesem 'Christentum' auf sich hat?

CM: Was steht im Vordergrund: Form/Stil oder Inhalt?

Wolfgang Herrndorf: Form ist Gesinnung, wie es in Fachkreisen heisst. In der Kunst zählt allein das Wie, Inhalt ist eine Elke-Heidenreich-Kategorie. Ganz anders und fast gegenteilig verhält es sich mit der Orangenlimonade, über die wir auch häufig berichten.

CM: Fluch und Segen des Internet: was sind für Euch die schlimmsten, welche die unverzichtbarsten Erscheinungen im Netz?

Wolfgang Herrndorf: Das Schlimmste im Netz sind die Blogger, eine unerträglich angewachsene Gemeinde von Menschen und Hauskatzen, die ausgedärmt, gesäckt und garottiert gehört. Das Tolle am Netz ist, dass man in Sekundenbruchteilen alles über das Ausdärmen, Säcken und Garottieren lernen kann.

CM: Wenn das Internet morgen zumachen würde -- was würdet Ihr tun?

Lukas Imhof: Jeder etwas anderes, einige würden wahrscheinlich eher in die Landwirtschaft gehen, andere Priester werden, wieder andere würden sich vielleicht eine Schreibmaschine kaufen. Aber das Schlimme ist: Wir würden es selber nie erfahren, denn wie sollten wir uns finden ohne Netz?

CM: Erinnert Ihr Euch an Eure jeweils ersten Erfahrungen mit dem/im Netz?

Jochen Reinecke: Mir wurde irgendeine obskure Universitäts-Website vorgeführt. Der Präsentator klickte im Browser auf Quelltext-Anzeige, der Quelltext erschien im Editor und mehrere Minuten lang glaubte ich, der Mensch, der mir das gerade vorführte, sei in der Lage, die Website für alle sichtbar umzuschreiben. Das war 1997 und genau genommen habe ich damals, ohne es zu wissen, Wikipedia erfunden.

CM: Und wie würdet Ihr das Netz jemandem erklären, der absolut unbeleckt ist, einem tiefgläubigen Mennoniten etwa?

Wolfgang Herrndorf: Die Mennoniten haben sehr ordentlich gestaltete und gutfrequentierte Seiten*. Es gibt heute niemanden mehr, dem man das Internet erklären müsste, ausser ganz kleinen Tieren, einigen Chinesen und sehr, sehr Kranken. Aber da haben wir kein Missionsbedürfnis.



* das stimmt! Siehe mennoniten.de – mein Versuch, eine scheinbar rückwärtsgewandte Bevölkerungsgruppe zu diffamieren, ist kläglich und zu Recht gescheitert. Sorry, cm