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Dezember 2004
Nora Mansmann
für satt.org




Zocker
nach Dostojewskis
"Der Spieler"

Volksbühne Berlin

Premiere:
27.10.2004

Regie:
Johan Simons

Bühne:
Bert Neumann

Kostüme:
Nina von Mechow

Darsteller:
Elsie de Brauw, Samuel Finzi, Aus Greidanus Jr., Astrid Meyerfeldt, Peter Paul Muller, Mira Partecke, Betty Schuurman

Zocker
an der Volksbühne Berlin


Masken

Tritt Johan Simons in Frank Castorfs Fußstapfen? Mit seiner ersten Inszenierung an der Volksbühne hat sich der Niederländer, der viel in Deutschland arbeitet und zum letzten Theatertreffen geladen war, jedenfalls in die Reihe der Dostojewski-Interpretationen des Hausherren gestellt. "Zocker" nennt Simons seine Sicht auf Dostojewskis semi-autobiografischen Roman "Der Spieler", und der fehlende bestimmte Artikel ist natürlich kein Zufall: Simons will das Blickfeld erweitern, weg von der Hauptfigur Alexej, die erst im letzten Kapitel der Vorlage zum Spielsüchtigen wird, auf die "Zocker" unserer Tage.

Bert Neumanns Bühne ist weitgehend leer, die Videoleinwand steht wie eine einsame Werbetafel ohne Aufschrift, obenauf ein Schriftzug in kyrillischen Buchstaben: "Jackpot". Man mag das mit östlicher Ödnis assozieren und in den herausgeputzten Figuren, die in dicken Autos auf die Bühne brettern, Prostituierte und Mitglieder von russischen Schlepperbanden sehen - eben alles, was nach westlicher Vorstellung im Niemandsland jenseits der alten EU-Grenze so kreucht und fleucht. Doch das ist allenfalls eine zusätzliche visuelle Ebene am Rande, die aufgemacht, aber nicht weiter ausgespielt wird, stellen sich doch die Figuren alsbald als Managerteam eines europäischen Baggerunternehmens vor.

Dostojewskis Geschichte um den abgewirtschafteten General, der mit Familie und Hauslehrer Alexej in Roulettenburg auf die Nachricht vom Tod seiner Erbtante wartet, bis diese kreuzfidel auftaucht und ihr ganzes Geld verspielt, diese Geschichte verschränkt Simons mit der Story um eine holländische Baggerfirma, die sich am Ende selbst mit Spekulationen und Bilanzfälschungen in den Ruin treibt. Diese modernen Global Players, das will das wohl besagen, gehen so unverantwortlich mit den ihnen anvertrauten Werten um, weil sie in Wirklichkeit Zocker sind, berauscht vom Spiel um Macht und Geld, Spielsüchtige - ganz wie schon Dostojewskis Russen des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Es geht letztendlich immer nur ums Zocken. Diese einfache Gleichung ist schnell verstanden, und dann bietet der Abend nichts mehr wirklich Neues, nur die ständige Wiederholung dieser These durch das Nebeneinanderstellen der beiden Geschichten.

Schnell macht sich Ermüdung breit, denn eine inhaltliche Verschränkung findet nicht statt, der Bezug zwischen Dostojewski und den Baggern erschöpft sich darin, dass die Schauspieler Doppelrollen spielen und dass immer abwechselnd erst eine Episode der einen, dann eine Episode der anderen Geschichte gezeigt wird. Abgesehen davon stehen die beiden Ebenen weitgehend bezugslos nebeneinander. Simons ignoriert zudem die Tatsache, dass Dostojewskis Roman zwar "Der Spieler" heißt, dass es darin aber um viel mehr geht als nur um Spielsucht. Und der Text der Gegenwarts-Ebene ist an vielen Stellen einfach zu plakativ bzw. zu absichtsvoll-dramaturgisch geraten.

"Zocker" ist eine Koproduktion der Volksbühne mit Johan Simons’ ZT Hollandia. Vom Ensemble des Hauses ist hier allerdings nur Astrid Meyerfeldt dabei, die wenigstens immer mal wieder einen der typischen Volksbühnen-Ausraster wunderschön hysterisch auf die Bühne knallen darf. Daneben spielt der ebenfalls Volksbühnen-erprobte Samuel Finzi und als weiteres deutsches Ensemblemitglied Mira Partecke von den Münchener Kammerspielen. Der Großteil der Darsteller kommt allerdings aus Holland, gespielt wird dennoch (weitestgehend) auf Deutsch. Das klappt so weit ganz gut, doch in der akustisch immer problematischen Volksbühne sind schon Muttersprachler oft schwer zu verstehen. So ist also nochmals verstärkte Konzentration von Nöten, um dem Text folgen zu können, was zusätzlich ermüdend wirkt. Zudem gibt es in der Vorstellung, der die Rezensentin beiwohnte, dutzende schwarze Löcher, in die die Schauspieler für mehrere Sekunden zu fallen scheinen, als hätten sie in einem plötzlichen Black out Text oder Spielvorgang vergessen - auch das sicher zum Teil ein Ergebnis der Sprachschwierigkeiten.

Dann noch ein bisschen Video, ein paar dicke Autos auf der Bühne, viel Lärm - und fertig ist der Volksbühnen-Abend. Es genügt aber nicht, auffällige Äußerlichkeiten zu reproduzieren, Simons kommt mit seinem "Zocker" in keinster Weise an die Tiefe und Komplexität der Castorf’schen Dostojewski-Abende heran. Also vielleicht doch lieber nicht die Fußstapfen versuchen, sondern den eigenen Weg weiter gehen - gern auch in der Volksbühne.