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April 2004
Birgit Patzelt
für satt.org




Frank Willmann (Hrsg.):
Fußball-Land DDR.
Anstoß, Abpfiff, Aus

Eulenspiegel 2004

Frank Willmann (Hrsg.): Fußball-Land DDR. Anstoß, Abpfiff

192 Seiten, 14,90 Euro
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Die Nase von Jürgen Sparwasser



Jetzt gibt es sie als Buch, die unglaubliche Geschichte des Fußballs im Osten: "Fußball-Land DDR. Anstoß, Abpfiff, Aus", soeben im Berliner Eulenspiegel Verlag erschienen.



Stichwort DDR-Fußball. Was fällt einem da heute noch ein? Das Sparwasser-Tor! Bei der Weltmeisterschaft 1974 in Hamburg besiegten die "Staatsamateure" der DDR die hoch bezahlten Westprofis sensationell mit 1:0. Herausgeber Frank Willmann hat in seiner Fußballgeschichte nun den wahren Hintergrund des Erfolges entdeckt. Schuld am Sieg der Ostfußballer war die Nase des Magdeburger Torschützen Jürgen Sparwasser. Sie schickte den West-Berti, den Vogts auf die falsche Abwehr-Fährte. "Der Bertie war schon richtig gelaufen, nur hatte er nicht mit meiner Nase gerechnet", lässt Willmann "Spari" von seinem Coup erzählen. "Ich habe den Vogts und den Cullmann gesehen. Als ich mich zum Ball umdrehte, bekam ich ihn auf die Nase. Dadurch veränderte sich die Bahn des Balles entscheidend." Resultat: Torhüter Sepp Maier am Boden und – Sieg für die DDR! "7, 8, 9, 10 – Klasse!" skandieren die "sportbegeisterten Bürger der DDR" im Volksparkstadion und "spenden kräftig Beifall". So sah es jedenfalls ein Beschluss des Sekretariats des ZK der SED vor.

Solche und ähnlich wichtige Momente hat Willmann mit einem sehr illustren Autoren-Team aufgespürt. Das Prinzip seines Buches ist ein einfaches. Neun Kapitel (So rollte der Ball im Osten, Unsere Clubs und Vereine, Rasen-Rivalen u.a.) werden jeweils mit einem Sachtext eingeleitet. Jörn Luther, Matthias Koch, Jens Fuge und Uwe Karte erweisen sich hier als profunde Kenner des DDR-Fußballs. In den einzelnen Kapiteln sind dann Fotos, Dokumente, Karikaturen und literarische Texte zu finden, die ein ganz eigenes Bild vom "Fußball-Land DDR" zeichnen, mal entschieden kritisch, dann einfach erklärend, durchgängig humorvoll, an den besten Stellen ist es (Real-)Satire.

National-Trainer Georg Buschner erfährt von seiner Abberufung aus der Tageszeitung. Wo gab es das sonst? Zuvor signiert diese Mitteilung der höchste Mann im Staate: "Einverstanden. EH". Ja, selbst Erich Honecker kümmerte sich um die Belange des Fußballs. Geliebt war dieser Sport von der DDR-Sportführung trotzdem nicht. Zu wenige Erfolge konnten die Fußballer sammeln. Gerade ein europäischer Mannschaftstitel (1974 durch den 1. FC Magdeburg) und eine vergoldete Medaille bei der Olympiade (1976) standen auf der Habenseite. Im erfolgsverwöhnten DDR-Sport ergab das nicht mehr als eine Außenseiterrolle. Nur eine Medaille für elf Mann! Da ließ sich doch mehr erschwimmen und errennen. Vom Frauenfußball ganz zu schweigen. Den ersten und einzigen Länderspielauftritt eines DDR-Frauenteams gab es erst 1990.

Die literarischen Texte zu den einzelnen Kapiteln des Buches kommen von prominenten Autoren und/oder Fußballkennern, u.a. Ahne, Matthias Biskupek, Andreas Gläser, Annett Gröschner, Anne Kathrin Hahn, Wladimir Kaminer, Jochen Schmidt, Torsten Schulz. Aber auch vergangene Autoren, wie etwa Johannes R. Becher ("Auf das Spiel einer Fußballmannschaft") oder Karl Mickel ("Dritte Ode", "Nänie"), hat Willmann in diese Anthologie aufgenommen.

Statistik gehört natürlich auch zu einem Fußballbuch. Hier erfahren wir, dass die peinlichste Niederlage der DDR-Elf das 3:0 1964 gegen Ghana war, die Fußballdörfer der DDR-Oberliga Brieske (3500 Einwohner), Schkopau (6000) und Böhlen (6500) hießen und die Oberligaspieler in den 8046 Begegnungen 402 mal nur das eigene Tor trafen.

Kult ist etwas, das komisch und anziehend zugleich ist. Dieses Buch kann Kult werden, aber nicht nur für "Fußball-Anhänger und Schlachtenbummler". Hier ist weit mehr über ein vergangenes Land, das "Fußball-Land DDR" zu erfahren.