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März 2001
David Wagner
für satt.org

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Fußball:
Von der Lust am Scheitern
Konferenzschaltung in der "Laterne"

FEUER IN DER ALTEN FÖRSTEREI


Männer, die sich nicht kennen, nennen einander „Keule". Männer, die sich kennen, begrüßen sich mit „Na du alte Ostberliner Hacke". Hacke und Keule sind zum DFB-Pokalhalbfinal in die Wuhlheide gekommen. Der 1.FC Union spielt gegen Borussia Mönchengladbach, Union, der Verein, der gegen Mielkes BFC Dynamo immer verlieren mußte, gegen den abgestiegenen Fußballmythos vom Niederrhein.

Die Fanclubs von Eisern Union heißen „Ultras Cöpenick", „Prager Ultra Commando", „Forst Commando“ und „Schlosserjungs". Fast alle Banner sind typographisch altdeutsch in Fraktur geschrieben. Um das Spiel zu sehen habe Diepgen alle Termine abgesagt, heißt es, bei der Begrüßung durch den Union-Präsidenten wird er ausgepfiffen. Beifall bekommt der Bezirksbürgermeister von Köpenick, Jubel nur der Mann von der Kinowelt AG, die soviel Geld in die Alte Försterei brachte. Stattfinden aber kann das Spiel bloß, weil zweihundert freiwillige, unbezahlte Helfer den Schnee vom Rasen schaufelten.

Die Hymne der Borussia verweht, nur ein Vers mit dem Wort „Westdeutsche Meisterschaft“ weht herüber. Für Union singen erst die Puhdys, dann Nina Hagen. Nina Hagen singt „Wir im Osten, wir liegen immer vorn".

Die Farben von Eisern Union sind rot-weiß. Fahnen mit Andreaskreuzen wehen über dem Block, als spielte die englische Nationalmannschaft. Das Stadion ist ausverkauft, das Stadion ist voll. Zuschauer auf den Treppen, im Schlamm, im Matsch und auf den rostigen Geländern. Einem Ordner, der sich aufspielt, ruft man „Du bist wohl von Hertha“ hinterher, fügt sich dann aber seinen Anweisungen. Auch der Hauptmann von Köpenick hat kurz vor dem Anpfiff einen Auftritt: er schlägt das Plüschmaskottchen zum Ritter und verleiht ihm den Namen „Eisenhart", aus Ritter Keule wird Ritter Eisenhart. „Ritter Schaumstoff", sagt der Fan, der dann, als das Spiel läuft, jeden gegnerischen Spieler mit einem anderen Ausdruck für weibliche Geschlechtsorgane belegt.

"Schißer, zieh ab", „hinein", „ja, so woll'n wir's sehen bei Union", „hinein, hinein", kommentieren Hacke und Keule das Spelgeschehen. „Kieck ma' der geschminkte Pfannkuchen da", sagt einer, und zeigt auf den ARD-Moderatoren Waldemar Hartmann, der in einem kleinen Glaspavillon sitzt, der für das Fernsehen auf einem Baugerüst errichtet wurde. „Wat will'n der Bayer hier“ fragt ein anderer und bemerkt den Hertha-Spieler Marko Rehmer. Hartmann und Rehmer trinken Wasser aus blauen Flaschen und schweben nur wenige Meter über dem Schlamm und dem Gebüsch, in dem die Zuschauer, die nicht mehr zum Klo durchkommen, ihr Wasser lassen müssen.

Die Gesänge der Gladbacher klingen melodisch, die Försterei skandiert „Eisern Union". „Eisern“ klingt auf fast sympathische Weise vormodern, „Eisern“ klingt ungefähr so, wie die mit Stecktafeln funktionierende Anzeigetafel aussieht.

Der Zwölfjährige auf dem rostigen Geländer schreit wie ein Affe, sobald der eine schwarze Gladbacher Spieler am Ball ist. Sein Vater sagt „hör auf damit, wir ham' doch selbst einen von der Sorte". Der Stadionsprecher sagt „unsere schwarze Perle“ als der Nigerianer Chibuike Okeke eingewechselt wird. Die blonde Frau im Rollkragenpullover, die im Glaskasten gut sichtbar hinter Waldemar Hartmann steht, verschränkt die Arme. Den Satz „dem müssen wir wohl mal einen Pitbull hinterherjagen, damit er laufen lernt", kann sie nicht hören. Von den wenigen, grauhaarig gewordener Anhängern, die Gladbach aus seiner großer Zeit des besseren Fußballs in den 70iger Jahren behalten hat, stehen wenige unter den Unionern.

Nach regulärer Spielzeit und Verlängerung steht es 2:2, Union gewinnt das Elfmeterschießen und wird seine Trikots mit dem Signet der Berliner Stadtreinigung bis ins Finale tragen. Kein Halten mehr, der Rasen wird gestürmt, dutzende Rauch- und Nebelbomben und rote bengalische Lichter gezündet. „Daß ich das noch erleben durfte", sagt der Mann, der schon das FDGB-Pokalfinale von 1968 gesehen haben will.

"Schlosserjungs", „Ultras Cöpenick“ und „Forst Commando“ feiern, Rauchschwaden ziehen über den Waldweg, der zurück zur S-Bahn führt. Ausnahmsweise hängen Scheinwerfer in den Bäumen. Auch aus den Häusern hinter dem S-Bahnhof werden rote Raketen geschossen. Hupkonzert in Köpenik, Feuer in der Alten Försterei.