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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




16. Mai 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 202:
Stalker und andere Psychos


Dieses Cinemania hat sich leider etwas verzögert - und nicht mal die harte Sperrfrist eines Films, den wir kurzfristig auf nächste Woche verschoben haben, kann als Ausrede vorgekramt werden. Sorry, manchmal leider mein manchmal fast schon auf ein Hobby herunterreduzierter Journalismus unter den Anforderungen, nebenbei auch für den Lebenserwerb sorgen zu müssen. (TV)


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  Fighting with my Family (Stephen Merchant)

Fighting with my Family
(Stephen Merchant)

UK / USA 2019, Buch: Stephen Merchant, Kamera: Rami Adefarasin, Schnitt: Nacy Richardson, Musik: Vik Sharma, Graham Coxon, Kostüme: Matthew Price, mit Florence Pugh (Saraya »Paige« Knight), Vince Vaughn (Hutch), Nick Frost (Ricky Knight), Lena Headey (Julia Knight), Jack Lowden (Zak Knight), Stephen Merchant (Hugh), Kimberly Matula (Jeri-Lynn), Ellie Gonsalves (Maddison), Aqueela Zoll (Kirsten), Hannah Rae (Courtney), Jack Gouldbourne (Calum), James Burrows (Roy Knight), Mohammad Amiri (Ez), Leah Harvey (Hannah), Dwayne Johnson, John Cena (Themselves), Tori Ross (Young Saraya), Thomas Whilley (Young Zak), Zak Knight (Gang Lieutenant), 108 Min., Kinostart: 1. Mai 2019

Dies ist mal wieder so ein Film, in den der Verleih kein Vertrauen hatte, weswegen man ihn kurzfristig auf einen sehr frühen Starttermin legte, was hier nur geringfügig dadurch kaschiert wurde, dass man anstelle eines regulären Donnerstags den Feiertag 1. Mai wählte. Das passiert mittlerweile aber schon so oft, dass es kaum zu verstärkter Wahrnehmung beim Publikum führt.

Stephen Merchant ist ein begabter Komödiendarsteller, den man etwa aus Ricky Gervais' The Office kennt oder als den sehr langen Briten, mit dem Amy mal in The Big Bang Theory anbändelt, als ihre Beziehung mit Sheldon zu zerbrechen drohte (die Pointe, dass der potentielle neue Freund sie dauernd über ihre Exfreund ausfragte, von dem er ein großer Fan ist, war ganz hübsch für die gefühlt drei bis fünf Folgen). Über seine Bekanntschaft mit Dwayne Johnson (sie drehten mal zusammen den Film The Tooth Fairy) wurde er als Regisseur ausgewählt, um die reale Geschichte des Wrestling-Stars Paige (darüber gab es auch schon einen Dokumentarfilm) als Biopic mit komödiantischem Touch umzusetzen.

Die Besetzung ist recht phänomenal. Neben Shooting-Star Florence Pugh (Lady Macbeth) in der Hauptrolle fand man Nick Frost (Shawn of the Dead) und Lena Headey (300, Game of Thrones) als Paiges Eltern, ihren noch wrestling-begeisterteren Bruder spielt Jack Lowdon (Dunkirk), ferner unterstützt Mitproduzent Dwayne Johnson durch prägnante kurze Auftritte das Projekt, Vince Vaughn spielt Paiges taffen amerikanischen Trainer und Stephen Merchant selbst hat sich auch eine kleine Rolle auf den Leib geschrieben. Was aber auch ziemlich kolossal funktioniert, sind die kleinen Nebendarsteller, die zum Beispiel mit viel Enthusiasmus die laienhaften Wrestler aus Paiges englischem Provinznest Norwich darstellen. Hier gelingt es dem Film mit wenigen Szenen, eine eingeschworene Gruppe darzustellen, die nur leider in der zweiten Hälfte des Films, wenn es um Paiges Karriereschritte in den USA geht, fast wieder vergessen werden.

Größtenteils hat der Film das Herz am richtigen Fleck, die Gags funktionieren, und die Spielfreude der Darsteller ist oft mitreißend. Problematisch wird es bei der Dramaturgie, die - unabhängig davon, wie sehr man sich an die wahre Geschichte hält - hier und da reichlich fabriziert wirkt. Ohne Konflikte verliert so ein Film schnell den Impetus, aber in diesem Fall sind die Konflikte die größten Schwächen des Films. Der große Streit zwischen Bruder und Schwester wirkt aufgesetzt, auch, weil man eigentlich zu jedem Zeitpunkt super sicher ist, dass sie sich wieder vertragen werden (wie so ein obligatorischer Bruch in jeder RomCom). Dann gibt es Paiges Konflikt mit drei weitaus mehr auf ihr Äußeres achtgebenden Kolleginnen in den USA, der aufgezogen wird wie der Kampf einer Außenseiterin gegen drei queen bees an der Highschool, wobei Paige für eine Zeitlang ihre Authentizität einbüßt, weil sie gegen alles, was zuvor die Figur ausmachte, plötzlich auch sonnengebrannt und mit makellosem Make-Up auftreten will. Auch dieser Handlungsbogen wirkt aufgesetzt, bringt außer ein paar Gags wenig, und einzig eine halbwegs geglückte Überraschung später kann diesen Schlenker halbwegs retten.

Ein weiteres großes Problem des Films scheint mir, dass der WWE (World Wrestling Entertainment) involviert war und man das Ganze ein wenig wie ein Propaganda-Projekt aufgezogen hat. Wobei man hier versucht, einen seltsamen Spagat abzuziehen, denn neben den Wrestling-Fans, die man auch erst mal vom heimischen Sofa ins Kino locken muss, wollte man offensichtlich auch ein großes Mainstream-Kino-Publikum an diesen eigentümlichen Sport heranführen. Und diese unbeabsichtigte Zerreißprobe bringt den Film mehrfach in die Bredouille: Einerseits geht es viel um den emotionalen Impetus der Familien- und Erfolgsgeschichte, andererseits wirkt es so, als könne man sich keinen einzigen möglichen Gag irgendwie verkneifen (ein blinder Laien-Wrestler trägt etwa nicht wirklich zur Authentizität bei). Am versteckt deutlichsten wird das bei der Erklärung der Prinzipien des professionellen Wrestlings: hier ist alles auf die größtmögliche Dramatik hin geskriptet, wobei sich alle an die Regeln halten müssen, damit niemand zu Schaden kommt, es aber dennoch möglichst spektakulär aussieht. Das man das Profi-Wrestling mit dem Laien-Schauspiel in Kontrast setzt, bei dem es auch mal darum geht, wie viel unnötige Schmerzen man für sein Hobby auf sich nimmt, ist okay. Doch nach Erklärung dieser Prinzipien sind dann die »dramatischen« großen Kämpfe innerhalb der Geschichte dann doch wieder so konzipiert wie »echte« Kämpfe - und an keiner Stelle geht man auf diesen Widerspruch ein. Als würde man einerseits dem Zuschauer zuzwinkern, der natürlich weiß, was für ein abgekartetes Spiel das alles ist - man aber tunlichst aufpasst, keinem echten Fan seine Illusion kaputtzumachen. Und wenn dann die spießigen Nachbarn innerhalb kürzester Zeit auch zu Wrestling-Fans werden, als könne sich niemand der Faszination dieses Spektakels entziehen, dann wirkt das ähnlich verlogen wie der Nachspann-Song von Ellie Goulding, der so gar nicht zum rocklastigen Soundtrack passt, der zuvor auch die Lebenseinstellung der britischen Familie repräsentierte.

Wenn man nicht zwanghaft versucht hätte, diese Geschichte einem möglichst großen universellen Publikum nahezubringen, hätte der Film deutlich besser werden können. Und trotz aller Bemühungen bleibt es natürlich ein Nischen-Film, ähnlich wie auch Billy Elliott oder Bend it like Beckham zwar den Fokus vergrößern konnten, aber nicht plötzlich alle Vorurteile über bestimmte Sportarten verblassen lassen. Wobei die anderen beiden Filme ja auch noch Gruppen unterstützen, die diesen Support verdient haben, während es meines Erachtens auf der Welt schon ausreichend viele Wrestler (und Wrestlerinnen!) gibt und Leute, die sich das anschauen. Nun sind viele Sportarten durch die Kommerzialisierung entartet worden - aber wenigstens sehe ich da noch den Wettkampf-Aspekt...


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  Stan & Ollie (Jon S. Baird)

Stan & Ollie
(Jon S. Baird)

UK / Kanada / USA 2018, Buch: Jeff Pope, Vorlage: A.J. Marriot, Kamera: Laurie Rose, Schnitt: Úna Ní Dhonghaíle, Billy Sneddon, Musik: Rolfe Kent, Maskenbild: Mark Coulier, Jeremy Woodhead, mit Steve Coogan (Stan Laurel), John C. Reilly (Oliver Hardy), Shirley Henderson (Lucille Hardy), Nina Arianda (Ida Kitaeva Laurel), Danny Huston (Hal Roach), Rufus Jones (Bernard Delfont), 97 Min., Kinostart: 9. Mai 2019

Ich bin ein Riesen-Fan von Laurel & Hardy, kenne nahezu alle ihre Filme (und habe ein erklecklichen Teil davon im Kino gesehen), laufe puterrot an, wenn jemand es für notwendig erachtet, eine idiotische sehr deutsche Verkürzung ihrer Rollenschemata zu erwähnen oder in irgendeinem blöden Ranking Bud Spencer und Terence Hill als größtes Komödien-Filmpaar der Filmgeschichte bezeichnet werden.

Natürlich hatte ich auch ein wenig Angst vor diesem Film.

Vorweg: Steve Coogan und John C. Reilly sind generell phänomenale Darsteller - aber hier erreichen sie es, den Zauber ihrer lange verstorbenen Schauspielkollegen wieder aufleben zu lassen. Danke dafür!

Leider geht es im Film nicht um die goldene Zeit der beiden. In einem Prolog sieht man sie mal kurz bei den Dreharbeiten zu Way Out West (1937, neben Sons of the Desert, The Music Box, Blockheads und A Chump at Oxford einer ihrer besten), dann setzt der Film 1953 wieder ein, die nachfolgende Geschichte ist dann auch vom Buch Laurel & Hardy - The British Tours von A.J. Marriot inspiriert, der Drehbuchautor wollte eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern erzählen - wohlgemerkt geht es hierbei um nicht-sexuelle Liebe, eine bromance.

Es geht also nicht um das Nachinszenieren der tollsten Filmmomente, sondern um zwei Schauspieler, die bei einer etwas ärmlichen Theatertour ihr Publikum begeistern (und erst mal finden!) wollen und sich nebenbei in den Wunschträumen eines neuen Filmprojekts zu verlieren drohen.

Wenn man beim Nachspann erfährt, dass Stan (das »Hirn« der beiden) noch Jahre nach Olivers Tod neue Sketche für die beiden erfand und niederschrieb, ist das durchaus eine anrührende Liebesgeschichte - nur fühlt diese sich nur bedingt heimisch im Umfeld dieses Films.

Der Kampf um Jobs und das Überleben, die kleinen Zwistrigkeiten zwischen den beiden - dies waren die oft verwendeten Sujets ihrer Filme, im Film von Jon S. Baird (Filth) wird dies mit einer bittersüßen Note auf die Darsteller übertragen. Dass die beiden gewisse Manierismen und Routinen auch im Alltagsleben einsetzen - beispielsweise benutzt Ollie seinen tie-twiddle, um in Hollywood junge Starlets anzugraben - ist völlig in Ordnung. Aber man übertreibt es. Da gibt es etwa eine Szene, wo die beiden auf der Tour eine etwas heruntergekommene englische Pension frequentieren, und während Ollie an der Rezeption wartet, müht sich Stan mit den Koffern ab, lässt diese beim Durchqueren der Tür immer wieder fallen usw.

Leider gibt es keine nachvollziehbare Motivation für dieses Verhalten (wenn man mal als indiskutabel ausklammert, dass Stan tatsächlich so tolpatschig agiert). Die beiden sind erschöpft, zum Teil durchgeregnet, und die junge Dame an der Rezeption, die mit dem Œuvre der beiden nicht vertraut ist, ist ihr einziges »Publikum«. Ich verstehe ja den Drang danach, die »Dopplung« zwischen Darstellern und Figuren auszuleben, aber hier und da muss man auch mal ganz konkret einen Trennstrich ziehen.

Auch die Ehefrauen der beiden (Shirley Henderson und Nina Arianda) wirken teilweise wie die Karikaturen von Ehefrauen, die ihnen in ihren Filmen zur Seite gestellt wurde (u.a. spielten Laurel & Hardy diese Rollen auch mal selbst, in Frauenkostümen und mit technischen Tricks). Und mit diesem Fundament gelingt es dem Film nicht immer, die notwendige Ernsthaftigkeit zu erreichen.

Die Stellen, wo der Kampf zwischen den beiden die humoristische Routine hinter sich lässt (»Was that funny?«), sind zwar stark, aber es gelingt dem Film nicht, auf diesen Beinen fest zu stehen. Analog zu den frühen one- und two-reelern der beiden wirkt Stan & Ollie manchmal wie eine Nummernrevue mit einigen Passagen, die sich nicht ganz ins Allgemeinbild einpassen. Das ist trotzdem sehr interessant, aber dafür, dass es so lange gedauert hat, bis man sich in einem Kino-Biopic den beiden annimmt ... und auch dafür, dass man so tolle Darsteller gefunden hat, die sie verkörpern, habe ich mir viel mehr erwartet.


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  Greta (Neil Jordan)

Greta
(Neil Jordan)

Irland / USA 2018, Buch: Ray Wright, Kamera: Seamus McGarvey, Schnitt: Nick Emerson, mit Chloë Grace Moretz (Frances McCullen), Isabelle Huppert (Greta Hideg), Maika Monroe (Erica Penn), Stephen Rea (Brian Cody), Colm Feore (Chris McCullen), 98 Min., Kinostart: 16. Mai 2019

Auf Neil Jordan wurde ich damals in den 1980ern über seine sexualisierte Rotkäppchen-Geschichte The Company of Wolves aufmerksam, innerhalb kurzer Zeit gelang es dem irischen Regisseur, der immer wieder kleine Rollen für Stephen Rea in seine Filme einbaut, sich mit Filmen wie Mona Lisa, The Crying Game oder Interview with a Vampire international zu etablieren, er gönnte sich auch mal Verschnaufpausen mit persönlicheren Filmen mit kleineren Budgets wie The Miracle, The Butcher Boy oder Breakfast on Pluto - verbrach aber auch mal kommerziellen Bockmist wie High Spirits oder das überflüssige Remake We're no Angels.

Seine letzte Kinoarbeit Byzantium (lief hierzulande auf dem Fantasy Filmfest oder auf DVD) liegt schon ein halbes Jahrzehnt zurück, der mittlerweile 69jährige Jordan hatte zwischendurch fürs Fernsehen gearbeitet (u.a. The Borgias) und Romane geschrieben. Ich muss zugeben, dass ich seinen neuen Kinofilm Greta keineswegs als Comeback registriert habe, ehrlich gesagt hatte ich Jordan auch nicht wirklich vermisst, seine großen Zeiten liegen halt schon etwas zurück.

Die Besetzung eines Thrillers mit Chloë Grace Moretz und Isabelle Huppert klingt auf den ersten Blick vielversprechend und im Presseheft werden die Involvierten nicht müde, das Potential der Geschichte zu preisen. Die junge Frances (Moretz), eine Figur, die von ihrer Darstellerin als »emotional einfach« beschrieben wird, findet in der U-Bahn eine liegengelassene Handtasche und nimmt Kontakt auf zu Greta (Huppert), einer Frau, die perfekt zu Frances zu passen scheint: Denn Greta leidet unter der Trennung von ihrer Tochter, während Frances' Mutter vor einem Jahr verstarb. Auch, wenn man das Filmplakat nicht kennt, ist aber offensichtlich, dass es in dieser Geschichte um mehr als eine Frauenfreundschaft mit Altersabstand geht...

Isabelle Huppert, die zuletzt ihre Abgründe in Elle zeigte, aber auch schon in Filmen wie La pianiste ihr Faible dafür bewies, nicht immer nur Sympathieträger darzustellen (dass Claude Chabrol und Michael Haneke sie immer wieder gerne besetzten, sagt hier schon viel), kann selbst im mimischen »Standgas« einer Figur wie der mysteriösen Stalkerin Greta ein Profil verleihen. Schwierig wird es nur, wenn ihre Gegenspielerin, ihr »Opfer«, dabei so passiv und blauäugig bleibt wie hier Chloë Grace Moretz, die ja in ihrer noch jungen Karriere bereits mehrfach abgründige Figuren spielte (etwa 2x Hit-Girl, eine junge Vampirin in Let me in, die Titelfigur in Carrie, von weiteren Grusel- bis Horrorfilmen wie Amityville Horror, Dark Shadows oder Suspiria gar nicht zu sprechen). Natürlich ist sie ja Schauspielerin und muss auch nicht immer den selben Typ darstellen, aber die mäuschenhafte Frances passt so gar nicht zu ihr oder zum Kernkonflikt des Films.

Wenn Frances' Mitbewohnerin Erica (Maika Monroe) einen inszenatorisch überzogenen »Schock«-Moment, den Frances im Haus von Greta erlebte, brühwarm nacherzählt bekommt, sagt sie »That's the creepiest thing I ever heard« - mal ganz abgesehen davon, was wir vorher schon für abgedrehte Geschichten von dieser Erica gehört haben, wirkt das ganze Horrorfilm-Setting leider lange Zeit lächerlich. Als hätte Wes Craven eine Sat.1-Nachmittags-Stalker-Story geringfügig umgeschrieben und mit viel Bravado umgesetzt. Zwar gelingt es dem Film später, etwas spannender und bedrohlicher zu wirken, aber wenn man Emma Schweiger und Hannibal Lector beim Psychothriller-Äquivalent eines Armdrücken-Wettbewerbs beobachtet, fällt es schwer, mit dieser Geschichte wirklich mitzugehen.

Die Geschichte hat zwar noch anderthalb bis zwei ganz nette Twists, aber da alles so lachhaft wirkt und man spätestens im Nachhinein merkt, wie sehr alles auf diese Effekte abzielend hindrapiert wurde, ist gegen Ende auch nichts mehr zu retten. Im Presseheft spricht man gern von Alfred Hitchcock, aber wenn man allein Stephen Reas Rolle als Detektiv, der nach Frances' Verschwinden engagiert wird, mit Martin Balsam als Detektiv Arbogast in Psycho vergleicht, so wirkt sein Vorgehen unprofessionell bis dumm - zwei Adjektive, an denen der komplette Film nur haarscharf vorbeischrappt.

Ich habe im Kino oft gedacht, ob die unfreiwillig komischen Szenen vielleicht auf eine perfide Art auch so gewollt waren - aber leider hat der Film durch diese Überlegung auch nicht durchdachter gewirkt.


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  Im Netz der Versuchung (Steven Knight)

Im Netz der Versuchung
(Steven Knight)

Originaltitel: Serenity, Buch: Steven Knight, Kamera: Jess Hall, Schnitt: Laura Jennings, Musik: Benjamin Wallfisch, Kostüme: Danny Glicker, Production Design: Andrew McAlpine, mit Matthew McConaughey (Baker Dill), Anne Hathaway (Karen), Diane Lane (Constance), Jason Clarke (Frank Zariakas), Djimon Hounsou (Duke), Jeremy Strong (Reid Miller), Rafael Sayegh (Patrick), 106 Min., Kinostart: 2. Mai 2019

Nach einer Pressevorführung, vor allem, wenn man den Film eher so meh fand, kann man sich etwas Besseres vorstellen, als von einem Agentur-Knecht nach der Meinung befragt zu werden. Es gibt Kollegen, die dann ganz gezielt im Windschatten anderer laufen, in der Hoffnung, irgendwie übersehen zu werden. Ich habe generell nicht immer zwei Minuten nach dem Abspann schon ein zitierfähiges Texthäppchen zur Hand, aber wenn mir tatsächlich mal ein griffiges Statement (nicht notwendigerweise positiv) einfällt, ist es fast schade, wenn man dann in diesem Fall ausnahmsweise mal nicht gelöchert wird.

Bei Serenity, einem Film mit einem (für Joss-Whedon-Fans) suboptimalen Originaltitel und einem umständlich hingebogenen deutschem Titel, hatte ich zwei Sätze parat, die spoilerfrei die Schwächen und Stärken des Films auf den Punkt bringen: »Die erste Hälfte des Films ist unglaublich scheiße. Und in der zweiten Hälfte folgt dann die Erklärung, warum es so scheiße war...«

Das Problem besteht jetzt darin, diese Aussage auszuschmücken, ohne den ohnehin durchwachsenen Film völlig kaputtzuspoilern.

Ich werde mal einfach so viele Meckersätze über die Exposition des Films raushauen, dass es für den uneingeweihten Leser unmöglich sein wird, auszumachen, welche Schwächen des Films eine spätere Rechtfertigung erfahren und welche tatsächlich auf lange Sicht vermurkst waren (und bleiben).

Der Film beginnt mit einem aufwendigen Effektshot: Aus einem Quasi-»Zoom« auf ein Auge wird eine »tauchende« Kamera (vorbei an einer Fischflosse), die dann übers Meer schießt, bis sie ein Fischerboot (ja, es heißt Serenity) von oben zeigt. Erst hier folgt der erste Schnitt, aber obwohl es in diesem Film (unter anderem) ums Angeln geht (die Inspiration durch Hemingways The Old Man and the Sea ist unübersehbar), geht es weiter mit unnötig künstlich wirkenden Bildern. Ein Fregattvogel (wird später biologisch bestimmt, ich hätte auf Kormoran getippt), der offensichtlich per CGI geschaffen wurde, reißt erstmals das Thema Aberglauben an, und bevor man noch irgendeinen Schimmer hat, worum es in diesem Film gehen wird, weiß man bereits, dass man in einem x-beliebigen Sharknado-Teil deutlich bessere Chancen hat, ein »reales« Tier zu sehen.

In dieser seltsamen Mischung aus Pushing Daisies, Moby Dick und E.T. wird erst mal Hauptfigur Baker Dill (Matthew McConaughey) skizziert: Davon getrieben, einen bestimmten Thunfisch (»the beast«) zu fangen, sabotiert er sein eigenes Angelunternehmen für reiche Touristen, die angetrunken am liebsten einen großen Fisch fangen würden, er bewegt sich am absoluten Existenzminimum und nur eine etwas ältere, offenbar wohlhabende Dame (Diane Lane), die ihn unregelmäßig für körperliche Dienstleistungen einspannt (tolle Umschreibung des Verhältnisses zwischen den beiden Jobs: »a hooker that can't afford hooks«) garantiert, dass Dill auch weiterhin auf der Suche nach seinem weißen Wal in Miniaturausgabe Benzin vergeuden kann.

Recht früh im Film taucht ein seltsamer Anwalt auf (eine Art ausgemergelter Giovanni Ribisi, gespielt vom Nebenrollen-Experten Jeremy Strong), der immer wieder versucht, Dill zu sprechen, dabei penible Uhrenvergleiche durchführt und mich auf die Idee bringt, es könnte sich um einen Zeitreisenfilm handeln (ich weiß, anhand meiner Ausführungen kann man dies nicht nachvollziehen, aber vertraut mir: der Film ist so durchgedreht, dass einen diese Erklärung nicht besonders schockieren würde).

Dann entwickelt sich daraus, der deutsche James-M.-Cain-Titel deutet es an, plötzlich eine Film-Noir-Geschichte: Dills Exfrau Karen (Anne Hathaway in einer absurden knallblonden Aufmachung) erscheint und bietet ihm die Möglichkeit, über einen kleinen Mord seine finanzielle Existenzgrundlage zu sichern. Denn Dills amouröser Nachfolger Frank (Jason Clarke niederträchtig wie nie zuvor) konnte die Gattin zwar mit einem großen Vermögen locken, er ist aber ein Frauenschläger, der auch gerne minderjährige Prostituierte ausnutzt und für Dills Teenager-Sohn auch nichts übrig hat.

Der meterhoch gestapelte Genre-Kitsch, das unglaubwürdige Setting, die allzu hübsch drapierten Nebenfiguren: Man merkt, dass der englische Drehbuchautor und gelegentliche Regisseur Knight (bekannt durch Locke, diesen »ich setze mal Tom Hardy für zwei Stunden in ein Auto«-Film) viel Spaß dabei hatte, die kleine Welt von »Plymouth Island« zu entwerfen - nur überträgt sich dieser Spaß trotz einer sehr prominenten Besetzung (mir fehlt die Muße, auch noch die Rolle von Djimon Hounsou zu umschreiben) nicht einmal im Ansatz auf den Zuschauer.

Es beginnt künstlich, wird dann mysteriös-verworren - und die wichtige Rolle von Dills Sohn habe ich noch nicht einmal ins Spiel gebracht. Aus einem Westentaschen-Jaws wird Vanilla Sky und dann eine unnötig blutige Variation von The Postman always rings twice - mit Anne Hathaway in ihrer wohl am wenigsten überzeugendsten Rolle seit ... kurz nachschauen ... trotz Alice through the Looking Glass und Get Smart neige ich tatsächlich zu sagen: seit immer!

Wie eingangs erklärt, gibt es für einige der Story- und / oder inszenatorischen Schwächen gegen Ende des Films Erklärungen - ich kann aber für mich sagen, dass das too little / too late war, um mein gesamtes Urteil noch mal zu revidieren. Einiges wird dadurch gerettet, aber es wird nicht wie von Zauberhand aus einem Murksfilms ein Meisterwerk, das sich nur als Murksfilm verkleidet hat. Dafür bleibt alles zu gleichgültig.


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  Das Ende der Wahrheit (Philipp Leinemann)

Das Ende der
Wahrheit
(Philipp Leinemann)

Deutschland 2019, Buch: Philipp Leinemann, Kamera: Christian Stangassinger, Schnitt: Max Fey, Musik: Sebastian Fillenberg, mit Ronald Zehrfeld (Martin Behrens), Alexander Fehling (Patrick Lemke), Claudia Michelsen (Dr. Aline Schilling), Antje Traue (Aurice Köhler), Axel Prahl (Dr. Joachim Rauhweiler), August Zirner (Stefan Grünhagen), Urs Rechn (Arne), Simon Werner (Boris), Katharina Lorenz (Lucia Wendtland), Alireza Bayram (Manzoud Behzad, Schwager des Fahrers von Milizenführer Al-Bahiri [!!]) 105 Min., Kinostart: 9. Mai 2019

Phase 1

Noch ein Film, den ich nicht bis zum Ende durchgehalten habe. Einige Kollegen, die von mir abgebrochene Filme bis zum Ende durchgestanden haben (und nicht immer glücklich darüber waren), halten mir dann beim nächsten mal vor, warum ich Film A abbrach, wo doch Film B, der viel schrecklicher war, von mir durchgesessen wurde. Natürlich kann ich bei Abbruchsfilmen kein allgemeingültiges Vergleichsurteil fällen, für mich ist dann auch wichtig, bei welchen Filmen ich noch etwas erwarte (selbst, wenn ich einen Super-GAU erwarte) und bei welchen ich einfach keinerlei Interesse wach halten kann, damit meine Lebenszeit zu verschwenden. Wobei die seltene, aber manchmal früh im Film gefällte Entscheidung, darüber ganz sicher nichts schreiben zu wollen (bzw. darüber keinen Text in meiner normalen Länge verfassen zu wollen) hier ein entscheidende Rolle spielen kann, weil damit auch die Berichterstattungspflicht wegfällt.

Im Fall von Das Ende der Wahrheit habe ich nach dem (abgebrochenen) Film im Presseheft gelesen, dass Wir waren Könige, der Debütfilm des Regisseurs Philipp Leinemann, bereits »vielbeachtet« gewesen sein soll und ähnlich komplexe Themen behandelt haben soll. Den habe ich nicht gesehen und ich bezweifle auch, dass er mir gefallen hätte oder später mal würde. Denn so hübsch, wie der Regisseur im Presseheft schildert, dass sein Film über den BND auf tatsächlichen Skandalen aufbaut, die alle sorgfältig recherchiert wurden, so wenig hat mich die Filmhandlung interessiert.

Ronald Zehrfeld fand ich super in Barbara, auch in den Rico, Oskar-Filmen spielte er kompetent, aber seine Rollenauswahl rutschte dann etwas ab. Die beiden Lars-Kraume-Streifen Der Staat gegen Fritz Bauer und Das schweigende Klassenzimmer sind exakt die gleiche Art Film wie Das Ende der Wahrheit: Vermeintlich packende Dramen über WICHTIGE* deutsche Themen (*ja, dass muss man mit fetten Großbuchstaben schreiben, damit die Wichtigkeit auch betont wird). Die Kraume-Filme wurden vielerorts abgefeiert, aber größtenteils von so bedeutungsbeflissenen »Abnickern«, die im Journalistenreservat häufig sind und denen eine eigene Meinung fehlt (oder der Mut, sie öffentlich zu machen). Während man die Kraume-Filme aber interessiert durchsitzen kann, wird hier Hauptfigur Zehrfeld sofort zur Riesenarsch-Version eines Westentaschen-James-Bond. Wegen seiner fragwürdigen Entscheidungen sterben Menschen, er schafft es aber noch nicht einmal, seiner Tochter zum Geburtstag ein Geschenk zukommen zu lassen, dass sie nicht bereits im Vorjahr erhielt. Und mit solch einer Figur soll man jetzt zwei Stunden durchmachen, wobei manche der Handlungsfäden bereits superdeutlich machen, wie sich der Film entwickeln wird. Und dann kommt Alexander Fehling (auch mal eine deutsche Schauspielhoffnung) als Gegenspieler dazu, der noch eine Winzigkeit unsympathischer sein soll - wobei ich als Zuschauer aber vor allem merke, dass er zumindest seinen Job professioneller ausführt als die mich annervende Identifikationsfigur. Da fühle ich mich dann so wie als Schalke-Fan im Revierderby, der Regisseur will mir irgendwie unterjubeln, dass Gelb eine schönere Farbe als Blau sei und jede Faser meines Wesens sperrt sich dagegen, mit jemandem mitzufiebern, der mir unglaublich unsympathisch ist. So auf dem Level von den Arschgeigen, die im Kino manchmal in (meist unverschlossenen) Toilettenkabinen stehpinkeln, wo es doch meist doppelt so viele Pissoirs gibt, in deren Fußraum dann als nächster nicht ein Mitmensch darauf achten muss, dass seine Hose nicht im oft reichlich verteilten Fremdurin landet.

Das ist dem Film gegenüber vielleicht etwas unfair, aber aus meiner Sicht bringt der Vergleich es genau auf den Punkt (wobei die Stehpinkler oft versagen).

Phase 2

Und dann habe ich den Fehler gemacht, noch mal in meine Notizen zu schauen. Und ich erinnerte mich an die idiotisch inszenierte Szene, in der Zehrfeld auf einem kleinen Bootssteg sitzt, der an einem größeren See oder ähnlichen Gewässer angebracht ist. Es geht mir im folgenden nicht um Symbole oder Visionen. Zehrfeld sitzt etwa so, dass er direkt auf den See schaut, guckt dann ein wenig zur Seite und erblickt einen Wolf, der am Rande eines Waldes fast in Richtung des Betrachters schaut. Dieser Blickkontakt zwischen »einsamen Wölfen« soll mir als Betrachter natürlich etwas sagen. Da ich mich schon länger mit dem Medium Film beschäftige und trotz Studium der Filmwissenschaften auch einiges über typische Produktionsumstände weiß, ist mir bewusst, dass man beim Drehen einer Szene nicht unbedingt einen Ort sucht oder erschafft, der dann 1:1 die Topographie des Filmortes abbildet. Man hat ja das Zaubermittel des Schnitts. Da kann jemand in Wanne-Eickel ein Studio verlassen und steht plötzlich in New York im Schneetreiben. Nur sollte man dann nicht so viel von dem See und Roland Zehrfelds Blickrichtung zeigen, dass der Wolf so offensichtlich nicht in seinem Blickfeld sein kann (und wenn, dann hätte man den Feldstecher sehen müssen, mit dem Zehrfeld das gegenüberliegende Seeufer betrachtet). Es war schon an dieser Stelle des Films, als ich mich mental vom Film verabschiedet habe.

Und das ist keine Korinthenkackerei meinerseits, sondern eine schludrige Regieleistung, die zwar 95% der Menschheit nie wahrnehmen würden, aber diese Argumentation benutzen nur Menschen, die keinen Respekt vor ihrem Publikum haben.

Oder vor den Leuten, die nach ihnen eine öffentliche Toilette benutzen.

(Ich mag es, wenn ich mich beim Abfassen eines Textes völlig unkontrolliert in eine kleine Raserei verrenne, und dann später irgendwie instinktiv die Chance wahrnehme, auf halbwegs elegante Art die früheren Vergehen wieder gutzumachen. Das passiert mir häufiger als man annehmen würde.)

Phase 3

Ich wollte gerade die Seiten zum Film aus dem Notizbuch reißen und überflog diese nur, damit ich nicht fälschlich etwas zu einem Film wegschmeiße, den ich noch behandeln muss, da sah ich zum einen, dass Zehrfeld gar kein Westentaschen-James-Bond ist, sondern der Film ein Art Westentaschen-Sicario (habe aber jetzt keine Lust mehr, dieses passgenaue Statement auszuführen). Und zum anderen sehe ich ein Originalfilmzitat, bei dem mir jetzt keiner glauben wird, dass ich es erst zu einem Zeitpunkt fand, an dem ich nichts mehr vom vorausgegangen Text verändert habe.

»Du kleiner Pisser, du weißt nicht mal, wo die Toiletten hier sind« (wenn ich mich nicht ganz stark irre, sagt das die Zehrfeld-Figur zum Neuzugang Fehling).

'nuff said aka Quod erat demonstrandum.

Auf imdb sind die Darsteller bei Redaktionsschluss übrigens alphabetisch aufgeführt, es beginnt mit Alireza Bayram (siehe Stabangaben) und endet mit Man-of-Steel-Star Antje Traue. Nur, wer auf »full cast and credits« klickt, wird dessen gewahr, dass auch die Herren Werner, Zehrfeld und Zirner im Film auftauchen.

#gegenAlphabetisierungsDiskriminierung


Demnächst in Cinemania 203 (Familien und (-)Schicksale):
Aktuelle Kinostarts, darunter All my Loving (Edward Berger), Das Leben meiner Tochter (Steffen Weinert), Roads (Sebastian Schipper) und The Sun is also a Star (Ry Russo-Young).