Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




6. Februar 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Glück ist was für Weicheier (Anca Miruna Lazarescu)


Glück ist was für Weicheier
(Anca Miruna Lazarescu)

Deutschland 2018, Buch: Silvia Wolkan, Kamera: Christian Stangassinger, Schnitt: André Bendocci-Alves, Hansjörg Weißbrich, Musik: Vivan & Ketan Bhatti, Kostüme: Anna Wübber, mit Ella Frey (Jessica Gabriel), Martin Wuttke (Stefan Gabriel), Emilia Bernsdorf (Sabrina Gabriel), Christian Friedel (Dr. Wolfgang Teuter), Tina Ruland (Melanie Kranz), Stephan Grossmann (Horst Kranz), Sophie Rois (Renate Gems), Kinostart: 7. Februar 2019

Ich bin inkonsequent. Und ich stehe dazu. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass dies eine Eigenschaft ist, die besonders menschlich ist, die uns unterscheidet von Vulkaniern, Rechenprogrammen und schlechten Online-Redakteuren.

Keine 24 Stunden zuvor habe ich meine Kritik zum Film Womit haben wir das verdient geschrieben, quasi mit dem Fazit, dass man nur für passable Pointen nicht die Authentizität aus den Augen lassen darf.

Glück ist was für Weicheier ist auch keine penibel eruierte Milieu-Studie, sondern eine Komödie, die hier und dort aneckt. Die Prämisse ist nicht perfekt, die Handlung entwickelt sich nicht immer dynamisch. Kurzum, dies ist kein von einem Autorenkollektiv glattgebürsteter Sat.1-Film-Film, der sich von Werbepause zu Werbepause mit exakt konzipierten Cliffhängern hangelt.

Glück ist was für Weicheier (Anca Miruna Lazarescu)

© 2018 Concorde Filmverleih GmbH / Bernd Spauke

Aber der zweite Spielfilm der Regisseurin Anca Miruna Lazarescu (»Ich liebe es, in absurden Situationen noch eine Schippe draufzulegen«) hat das Herz an der richtigen Stelle, hat Ambitionen, und neben ein paar peinlichen oder nicht ganz stimmigen Momenten diverse Dialoge voller sprühenden Wortwitz, die mitreißen. Eine Kritikerkollegin, die ich nicht persönlich kenne, aber aus unterschiedlichen (z. T. auch persönlichen) Gründen nicht besonders schätze, watscht diesen sympathischen Newcomer-Film mit einer ähnlichen Vehemenz ab wie ich die oben erwähnte Multi-Kulti-Komödie. Sicher, der Psychotherapeut, der die etwas neben der Spur befindliche 12jährige Hauptfigur Jessica aka Jessie (pretty damn großartig: Ella Frey) betreut, ist durchaus »creepy«, und als Frau ist man für solche Details vermutlich empfänglicher als als Kerl, aber man muss schon reichlich betriebsblind sein, um nicht zu kapieren, dass es sich hier um eine Komödie handelt, die nicht immer alles ganz ernst nimmt.

Jessies Marotten um bestimmte Zahlen, die sie als glück- oder unheilsverheißend erachtet, stellen kein konkretes Krankheitsbild dar, sondern sind eine nicht komplett misslungene Drehbucherfindung, die immerhin »durchgezogen« wird. Jessies Idee, ihre schwer lungenkranke ältere Schwester durch ein mittelalterliches Beischlafritual zu retten, sagt mehr über die Verwirrung eines frühpubertären Mädchens aus als über die (womöglich fehlende) »Ernsthaftigkeit« des Films.

Glück ist was für Weicheier (Anca Miruna Lazarescu)

© 2018 Concorde Filmverleih GmbH / Bernd Spauke

Und vor allem sind die unterschiedlichen Schnapsideen des Films fast perfekt aufeinander abgestimmt: Die schüchterne und verlachte Jessie (Spitzname: »Neutrum«) wächst über sich heraus, um ihre Schwester zu retten, die Probleme ihrer Familie lassen sich kaum über den Verführungsversuch von Sophie Rois an Jessies Vater (Martin Wuttke) ergründen, aber selbst diese nicht recht ins Gesamtkonzept des Films passende Szene greift die Themen des Films auf, die sich spiegelnden Traumata von Vater und Tochter. Und wer generell ein Problem hat mit Feelgood-Komödien über verkorkste Familien, der mag vermutlich auch The Graduate oder Harold and Maude nicht, zwei inzwischen durchschnittlich ein halbes Jahrhundert alte Klassiker, die ich immer wieder als Paradebeispiel für gelungene Komödien über Heranwachsende heranziehe, und ohne die es Filme wie Eagle vs. Shark, Coconut Hero, Submarine, Youth in Revolt usw. womöglich nie gegeben hätte. Und ja, ich sehe Glück ist was für Weicheier durchaus in einer Reihe mit diesen schrägen Außenseiterkomödien, für die ich ein besonderes Faible habe. Selbst, wenn die Protagonisten mal nicht mehr Heranwachsende sind, sondern verklemmte Erwachsene, wie in Ganz nah bei Dir oder The Baxter, sind solche Filme näher an meinem Herzen (und meiner Person) als so manche perfekte Kinounterhaltung, die aber doch nur wieder Wunschbilder der Menschheit reproduziert als authentische, aber fragile Persönlichkeiten. Und selbst so ein creepy Psychologe (Betonung auf den ersten zwei Silben), der einer Zwölfjährigen vormacht, wie sie ihren (deutlich älteren) Schwarm lasziv umgarnen soll, hat bei all seiner Talentlosigkeit für seinen gewählten Beruf auch ein wenig etwas Berührendes, wie ein Welpe, dem ein Vorderbein fehlt (bei aller Creepiness wirkt Christian Friedel als Psycho-Doc nämlich nicht bedrohlich oder übergriffig). Jedenfalls spricht mich dieser Film tausendfach stärker an als platte Rassismus-Witze, die noch so viel über die heutige Gesellschaft aussagen können. Dieser Gesellschaft entziehe ich mich dann lieber und eröffne eine kleine Kommune von Freaks, die mit Motorradhelm durch Bibliotheken geistern oder sich im Schwimmbad die anderen Gäste von unten anschauen (übrigens im Kern auch eine gern übernommene Szene aus The Graduate).

Glück ist was für Weicheier (Anca Miruna Lazarescu)

© 2018 Concorde Filmverleih GmbH / Bernd Spauke

Stellvertretend für den Humor dieses Films will ich mal zwei (unbedeutende) Zitate einbringen, die Jessies Schwester Sabrina ihrem (den größten Teil des Films unsichtbaren) Freund Ron (ein junger Feuerwehrmann!) am Telefon zukommen lässt: »Na, solang du deinen Feuerwehrschlauch halten kannst und 'ne Uniform trägst...« bzw. »Ach Ron, nicht jeder ist gut mit Worten, du bist eben gut mit Schläuchen!«

Man mag mich für meine »Hintergedanken« verdammen, aber wie hier über die Wortwahl Bilder von Kalendern gutgebauter Feuerwehrmänner evoziert werden, die vermutlich auch etwas über »weibliche Begierde« aussagen, die Jessie vorerst noch eher peripher tangiert, das hat mich schon sehr erheitert. Und auf diesem Level verbleibt der Film - ungeachtet gewisser dramatischer Spitzen.

Glück ist was für Weicheier (Anca Miruna Lazarescu)

© 2018 Concorde Filmverleih GmbH / Bernd Spauke

Ein skurriler Autounfall, der wie der Psychotherapeut für seinen Job als Sterbehelfer nur eingeschränkt taugliche Vater, eine seltsame Zweckfreundschaft zwischen Jessie und ihrem größten Feind, eine Küchenmaschine als kathartisches Wunderwerkzeug, Aleister Crowley und ein Zwangstagebuch, wer sich dem Charme dieses Films verschließt, ist selbst schuld.

Selbst die etwas überzogenen Zeitlupensequenzen oder der Einsatz des »Milchglas-Effekts«, die man als Kindheitskrankheiten junger FilmemacherInnen abtun könnte, funktionieren hier irgendwie, egal wie abgedroschen sie als Stilmittel daherkommen. Wenn man nur offen ist, kann man selbst im Text von Bonnie Tylers Total Eclipse of the Heart anrührende Wahrheiten entdecken.

Und so ein Film ist Weicheier, für den ich als Kritiker einfach mal Welpenschutz verordne.