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24. Oktober 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Der Affront (Ziad Doueiri)


Der Affront
(Ziad Doueiri)

Intern. Titel: The Insult, Libanon / Belgien / Zypern / Frankreich / USA 2017, Buch: Ziad Doueiri, Joëlle Touma, Kamera: Tommaso Fiorilli, Schnitt: Dominique Marcombe, Musik: Éric Neveux, Kostüme: Lara May Khamis, Szenenbild: Hussein Baydoun, mit Adel Karam (Toni Hanna), Kamel el Basha (Yasser Salameh), Camille Salameh (Wajdi Wehbe), Rita Hayek (Shirine Hanna), Diamand Abou Abboud (Nadine), Christine Choueiri (Manal Salameh), Carlos Chahine (Richter Chahine), Julia Kassar (Richterin Colette Mansour), Talal el Jurdi (Talal), Rifaat Torbey (Samir Geagea), Walid Abboud (Fernsehmoderator), Georges Daou (Georges Hanna), Elie Njeim (Elie), Tony Mehanna (Präsident), Nabil Koni (Mohammad Ghandour), Kinostart: 25. Oktober 2018

Im Verlauf dieses Jahres habe ich mich mehrfach stark darüber gewundert, was verschiedene Länder so als offiziellen Beitrag für die Nominierung zum »besten nicht-englischsprachigen Film« ins Rennen geschickt haben. Wenn bereits diese Vorauswahl der Vorauswahl der Vorauswahl derart weit davon abweicht, was die jeweils besten Filme eines Landes angeht (weil man unter anderem auch viel eher davon ausgeht, was wohl der Academy am besten gefallen könnte), dann muss es einen auch nicht wundern, was dann am Schluss, nach mehrmaligen Sieben durch Gremien, die mit dem metaphorischen Haushaltsgerät nur noch sehr wenig gemeinsam haben, so herauskommt.

Auch The Insult, hierzulande mit dem etwas sperrigen Begriff Der Affront übersetzt, hatte es in die letzten fünf geschafft, war bei der Oscar-Nominierung zu Beginn des Jahres einer der Nominierten - und hat nicht zuletzt deshalb mit etwas Verspätung noch einen deutschen Kinostart bekommen.

Ich gebe zu, dass ich kein Experte bin, was die Geschichte des Libanons, der PLO oder der Forces Libanaises angeht. Glücklicherweise kann man der Handlung aber auch ohne Fachwissen gut folgen, weil Rassismus und politische Verbohrtheit ohne Probleme in unterschiedlichsten Verkleidungen wiedererkennbar sind.

Der Affront (Ziad Doueiri)

© Alpenrepublik

Toni (Adel Karam, normalerweise übrigens ein Komödiant) ist sehr ergriffen von den Ansprachen eines offenbar populistischen Politikers, dessen Bild er auch im Kinderzimmer seines noch ungeborenen Kindes an die Wand genagelt hat. Mit einem Patriarchismus light funktioniert die Ehe mit der deutlich schwangeren Shirine (Rita Hayek) zu Beginn des Films ganz gut, auch, wenn man schnell erkennt, dass sie längst nicht alle seine Standpunkte teilt. Die beiden sind übrigens Christen, falls ich nicht irgendetwas komplett missverstanden habe.

Zur titelgebenden Beleidigung kommt es, als aus Tonis »illegal« montiertem Abflussrohr vom Balkon (für Regenwasser etc.) ein braver Vorarbeiter namens Yasser (Theaterschauspieler Kamel el Basha) bespritzt wird und dieser nach eher gleichgültiger Reaktion Tonis das Rohr in Eigenregie anpasst, Toni aber die Konstruktion zerschlägt und die beiden zunehmend aneinandergeraten.

Der Affront (Ziad Doueiri)

© Alpenrepublik

Um das Rohr geht es kein Stück, Yasser ist ein palästinensischer Flüchtling, was nicht zu Tonis politischen Überzeugungen passt, und so spult er im Grunde seinen Hass ab, ohne den ihm einen Gefallen tuenden Fremden zu kennen. Dummerweise lässt sich nun aber Yasser nach einigen Schmähungen dazu hinreißen, Toni einen »Scheißkerl« zu nennen, weshalb dieser sich wiederum bei Yassers Chef beschwert.

Aus dieser Pille-Palle-Lapalie wird im Verlauf des Films ein Politikum mit Gerichtsverhandlung, mittelmäßigem Volksaufstand und mehreren Verletzten, darunter das zu früh geborene Baby von Toni und Shirine (weil im Grunde Toni sich nicht einsichtig zeigt, was die Ratschläge seines Arztes angeht, aber vor Gericht kann man daraus auch etwas anderes machen).

Der Affront (Ziad Doueiri)

© Alpenrepublik

Die eigentliche Geschichte des Films ist für den (westlichen?) Zuschauer nicht uneingeschränkt nachvollziehbar, der Kern der Geschichte entstammt aber einem Erlebnis des Regisseurs Ziad Doueiri, bei dem er im Grunde der uneinsichtige, aufbrausende Toni war, und gemeinsam mit Joëlle Touma (inzwischen seine Exfrau) schuf er daraus ein Drehbuch. Dieses bisschen Background-Wissen macht das Ganze gleich viel authentischer.

Wie Toni in die Machenschaften eines politisch fragwürdigen Verteidigers gezogen wird, ist für sich genommen schon ganz interessant, ganz wie die Eskalation des Falls (auch, wenn man mehrfach über die Stumpfsinnigkeit verschiedener Figuren den Kopf schütteln muss). Der Film funktioniert aber wie eine Drei-Stufen-Rakete. Wenn sich alles in Richtung Gerichtsdrama entwickelt, gibt es eine unerwartete Wendung (darin verwickelt: Yassers Verteidigerin Nadine, gespielt von Diamand Abou Abboud, die mir schon in InSyriated positiv auffiel).

Der Affront (Ziad Doueiri)

© Alpenrepublik

Und eine ganze Zeit später bekommen Yasser und Toni nicht nur die Möglichkeit, sich als normale Menschen kennenzulernen (Mechaniker Toni bringt Yassers Auto wieder zum Laufen), man erfährt auch über die traumatischen Erlebnisse der beiden, die sich auf gewisse Weise ähneln.

Das alles ist natürlich klar Oscar-Material und auch global politisch relevant, die Story ist mir nur einen Deut zu sehr aufgebauscht. Aus einem Wasserfleck wird durch teilweise an den Haaren herbeigezogenen Umständen eine lebensbedrohende Frühgeburt, unter der natürlich ein gänzlich unschuldiges Kind leiden muss. Da hätte man auch zwei Gänge runterschalten können und man hätte sich als Zuschauer weniger emotional manipuliert gefunden. Trotzdem ungeachtet meiner Eingangsworte ein Filmwerk, das durchaus (vermutlich!, kenne mich im libanesischen Kino wenig aus) stellvertretend für die nationale Kinoproduktion stehen kann. Daraus könnte man sogar ein deutsches Remake basteln, das bei dieser inszenatorischen und darstellerischen Güte auch hierzulande klar überdurchschnittlich ausfallen würde (auch, wenn ich bezweifle, ob es ohne Adlung durch die Academy wirklich eine Chance an der Kinokasse hätte).