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26. Juli 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Party (Sally Potter)


The Party
(Sally Potter)

UK 2017, Buch: Sally Potter, Kamera: Aleksei Rodionov, Schnitt: Emilie Orsini, Anders Refn, Kostüme: Jane Petrie, Production Design: Carlos Conti, Art Direction: Rebecca Alleway, Set Decoration: Alice Felton, mit Timothy Spall (Bill), Kristin Scott Thomas (Janet), Patricia Clarkson (April), Cillian Murphy (Tom), Cherry Jones (Martha), Emily Mortimer (Jinny), Bruno Ganz (Gottfried), 71 Min., Kinostart: 27. Juli 2017

The Party ist ein Film, der vordergründig sehr unterhaltsam ist, mit geschliffenen Dialogen, anspruchsvoller Schwarzweiß-Fotografie und einem tollen Schauspielensemble verwöhnt, aber dennoch im Betrachter eine gewisse Unausgewogenheit sät. Nach der Pressevorführung gab es jedenfalls überdurchschnittlich viele Diskussionen, wobei gerade der Umstand, dass der Film ein wenig wie ein whodunit funktioniert, also ein Krimi wie bei Agatha Christie, wo man den Mörder erst am Schluss erfährt - aber es im Film keinen Mord gibt und man den Mörder (welchen Mörder überhaupt? Widerspreche ich mir hier gerade selbst?) auch nicht sieht. Aber der Zuschauer durchaus Grund zur Annahme hat, exakte Hinweise präsentiert bekommen zu haben.

Lassen wir das mit dem ungeschehenen Mord mal außen vor. Intrigen und Affären gibt es auch so genügend in dem Film, der mit seinen 71 Minuten Lauflänge quasi vollgestopft wirkt mit Lügen, Geheimnissen und Lebensbeichten, die meist etwas spät kommen.

The Party (Sally Potter)

© Adventure Pictures Ltd.

Auf eine wie auch immer gestaltete Inhaltsangabe oder Vorstellung der Figuren verzichte ich hier mal, allein die Riege prominenter Schauspieler spricht schon für sich. Die Handlung besteht vor allem aus den nach und nach eintrudelnden Teilnehmern der titelgebenden Party und den damit einhergehenden Entwicklungen zwischen den Figuren, die man als Betrachter entdeckt und in Beziehung setzt. Wobei es halt durchaus überraschende Wendungen gibt, nur dass diese eher in der Summe den Film ausmachen.

Für mich war das Interessanteste am Film, als ich entdeckte, wie die Anordnung der Personen im Raum Aussagen über die Kräfteverhältnisse zwischen den Figuren untermauerte. Insbesondere, was die Höhe des jeweiligen Kopfes angeht. Nachdem ich dies bemerkt hatte, konnte ich mich kaum mehr auf etwas anderes konzentrieren.

The Party (Sally Potter)

Foto: Nicola Dove © Adventure Pictures Ltd.

Hier und da gibt es Leute, die im Zusammenhang mit diesem Film vom Theater sprechen. Die gesamte Handlung findet in einem Haus statt, ein bisschen Garten mal mitgerechnet. Aber ganz anders als im Theater sitzt hier nicht das Publikum vor der Bühne und die Figuren agieren gleichberechtigt auf der Leinwand. Nein, die Kameraposition und die Kadrierung wechselt ständig, abgesehen davon, dass man das Haus nicht verlässt, könnte der Film kaum filmischer sein. Das ist dann natürlich schade, wenn ausgerechnet Filmkritiker das nicht erkennen.

Und dann ist es auffällig, wie sehr sich die Figuren hier bewegen. Man setzt sich hin und steht wieder auf, einmal klettert sogar jemand auf einen Tisch. Und dann halt diese Power-Tableaus. Wer stellt sich über wen, wer schaut zu wem hinauf? Wer stützt jemanden oder versucht ihn niederzudrücken (nicht durch Muskelkraft, einfach durch Präsenz)? Wer ordnet sich unter, wer beobachtet aus sicherer Distanz und wartet auf seinen Moment?

The Party (Sally Potter)

© Adventure Pictures Ltd.

Ich kenne nur einen anderen Film von Sally Potter, Ginger & Rosa, und der ist bis auf das ebenfalls überschaubare Ensemble komplett anders. Man hat bei The Party wirklich das Gefühl, dass zwar die Dialoge von langer Hand durchgetaktet sind, aber dass die Raumpositionen der einzelnen Figuren (und oft genug sieht man vier Leute im Raum, die man exakt nach der Augenhöhe durchzählen kann) mindestens genau so filigran ausbaldowert wurden. Dadurch wird aus dem Ganzen natürlich nicht automatisch ein guter Film, aber es ist so ungeheuer faszinierend, dass ich hin und weg war.

Wobei jemand, der sich nur auf die Dialoge fokussiert und mein Hauptfaszinosum allenfalls unterschwellig wahrnimmt, genau so auf seine Kosten kommen kann.

The Party (Sally Potter)

© Adventure Pictures Ltd.

Die eigentliche Story, die hier erzählt wird (oder eigentlich geht es um so viele Geschichten, wie Personen im Raum sind), hat mich persönlich jetzt zwar vordergründig unterhalten und auf einem Level von Spannung gehalten, aber sie hat mich, abgesehen von den erwähnten Diskussionen über die zweideutigen Momente, wo man quasi "zwischen den Zeilen" lesen muss oder kann, nicht auf Dauer "gepackt", was zu gewissen Abstrichen führt. Aber allein zu beobachten, wie sich das Drunter und Drüber und Auf und Ab vermutlich auch ohne Ton und Dialoge (so wichtig die auch waren) entwickelt hätten, das war echt toll. Und das reicht diesmal auch für den "Film des Monats". Am Schauspiel (Bruno Ganz nervt etwas), dem innerdiegetischen (und sehr abwechslungsreichen) Soundtrack, der wandernden Mordwaffe und anderem kann man sich nebenbei auch laben, auf 71 Minuten konzentriert, bietet der Film einem breitgefächerten Publikum etwas, und solange man sich nicht unnötig an der räumlichen Begrenzung stört (oder gar an den Schwarzweißbildern und dem größtenteils gesetzten Alter der Darsteller, für 12jährige ist The Party vermutlich nichts), kann ich mir eigentlich kaum jemanden vorstellen, der den Film so gar nicht mag.

Und meistens kommt mehr heraus als nur eine vage Zugeneigtheit.