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13. April 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  A War (Tobias Lindholm)


A War
(Tobias Lindholm)

Dänemark 2015, Originaltitel: Krigen, Buch: Tobias Lindholm, Kamera: Magnus Nordenhof Jønck, Schnitt: Adam Nielsen, Musik: Sune Wagner, mit Pilou Asbæk (Claus Michael Pedersen), Tuva Novotny (Maria Pedersen), Dar Salim (Najib Bisma), Søren Malling (Martin R. Olsen), Charlotte Munck (Lisbeth Danning), Alex Høgh Andersen (Anders), Dulfi Al-Jabouri (Lutfi Hassan), Phillip Sem Dambæk (Brian Brask), Jakob Frølund (Terkel Sand), 115 Min., Kinostart: 14. April 2016

Ich kenne mich in der dänischen Außenpolitik nicht aus, aber wenn man nur mal die dänische Filmproduktion mit der deutschen vergleicht, scheint es offensichtlich, dass Krieg und Kriegsheimkehrer dort eine weitaus größere Rolle spielen als hierzulande. Man denke nur an Susanne Biers Brødre (bekam sogar ein US-Remake mit Jake Gyllenhaal) oder Hævnen (hier betreut der Papa-Soldat zwar nur ein Flüchtlingscamp im Sudan, aber immerhin) bzw. Annette K. Olesens Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Lille soldat (auch interessant, dass sich gerade die Regisseurinnen dieses Themas annehmen). Die Auslandseinsätze der Bundeswehr spielen im deutschen Kino eher in Dokumentarfilmen eine Rolle als in Spielfilmproduktionen (Feo Aladags Zwischen Welten habe ich verpasst), vermutlich ist es sogar so, dass ein deutscher Filmemacher auf der Suche nach Produktionsgeldern beim Pitch eines Kriegsfilms als erstes klarstellen muss, dass dieser Film nicht im dritten Reich spielen soll, sondern sich mit zeitgenössischen Problemen befasst. (»Ach schade, wir hätten noch ein stattliches Konvolut an Nazi-Uniformen zur Verfügung gehabt...«)

A War (Tobias Lindholm)

Bildmaterial © 2016 Studiocanal GmbH

Kleine Statistik am Rande: von 17 deutschen Filmen, die während der Oscar-Geschichte eine Nominierung als bester nicht-englischsprachiger Film erhielten (der Bezug zu Krigen wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen, aber wenn man so was schon mal recherchiert, will man es nicht ohne weiteres unter den Tisch fallen lassen) hat mehr als die Hälfte einen klaren Bezug zum Dritten Reich, nämlich (chronologisch) Nachts, wenn der Teufel kam, Die Brücke, Der Fußgänger, Jakob, der Lügner (als einziger DDR-Film), Die Blechtrommel, Bittere Ernte, Schtonk! (spielt immerhin fast in der Gegenwart), Der Untergang und Sophie Scholl - Die letzten Tage - und um mal wieder die natürliche Überlegenheit des Dezimalsystems vorzuführen, nenne ich als zehnten noch Das weiße Band, der zwar einige Zeit davor spielt, aber als Hitler-Prequel konzipiert wurde. Bei dieser Statistik sollte man nicht den Fehler machen, sie komplett als Interessebekundung der Mitglieder der »Academy of Motion Picture Arts and Sciences« (oder kurz: der Amis) einzustufen, denn letztlich entscheidet ja ein deutsches Gremium, was der Academy »angeboten« wird...

Dass man in den USA aber den weit entfernten Krieg (mit größtenteils klarer Schwarz-Weiß-Einordnung) immer noch spannender findet als die graustufenreiche Gegenwart, zeigt sich wiederum dadurch, dass Krigen letztlich doch gegen Saul fia verlor. Der ist zwar aus Ungarn, aber es wird fast mehr deutsch und jiddisch dort gesprochen ... und natürlich spielt er mal wieder in einem KZ.

Rein künstlerisch geht das übrigens voll und ganz in Ordnung, auch wenn ich die reine Story von Krigen ansprechender finde.

An dieser Stelle mal ein kurzer Hinweis darauf, dass (insofern vertraue ich mal meinen rudimentären Kenntnissen der dänischen Sprache) Krigen im Originaltitel nicht wie der internationale (und aus irgendwelchen Gründen auch in Deutschland verwendete) Titel A War einen unbestimmten Artikel mit sich führt, was auch eine gewisse Zählweise mit sich bringt (ein Krieg sind eben nicht viele Kriege). Im eigentlichen Film ist es indes so, dass die lange Parallelmontage zwischen Szenen, die in Afghanistan spielen, und solchen, die Ehefrau und Kinder des dänischen Soldaten Claus Michael Pedersen (Pilou Asbæk) »Zuhause« (also in Dänemark) zeigen, klar zum Vergleich aufrufen. Den nicht eben leichten Kampf der Mutter Maria (Tuva Novotny) würde man zwar nicht ohne weiteres als »Krieg« bezeichnen, aber man kann durchaus nachvollziehen, dass sich Maria mehr als nur finanzielle Unterstützung (und regelmäßige Telefonanrufe) von ihrem Gatten erhofft.

A War (Tobias Lindholm)

Bildmaterial © 2016 Studiocanal GmbH

Ohne hier zu sehr auf die Vorgänge in Afghanistan eingehen zu wollen, ist dann der Schlussteil des Films, der die Familie wieder zusammenführt, irgendwie auch ein »Krieg«, nur diesmal vor Gericht. Am interessantesten an der hier verhandelten moralischen Frage ist in meinen Augen, dass Pedersen als überforderter Anführer im Kriegsgebiet eigentlich zwei krasse (und folgenschwere) Fehlentscheidungen trifft. Bei der einen bewegt er sich klar innerhalb seiner Regelvorgaben, aber man ahnt, dass dies für andere Konsequenzen haben wird. Ich kann nicht für alle Zuschauer sprechen, aber diesen Fehler verzeiht man ihm nur schwer. Im anderen Fall steht er unter hohem Druck und rettet einem anderen Soldaten das Leben, wird aber später darauf festgenagelt, dass er eben nicht nach dem Regelbuch vorging. Und nur für diesen Fall muss er sich vor Gericht verantworten, obwohl es mehrfach (unterschiedlich subtil) angedeutet wird, dass der andere Fall viel schwerer auf seinem Gewissen lastet. Und als wäre dies noch nicht knifflig genug im Bestreben, Recht gegen Unrecht aufzuwiegen, folgt nun auch noch eine weitere zweifache »Verschiebung« dieser Schuldfrage. Zum einen ist da seine Frau, die ihn erinnert, an die Folgen für die Familie zu denken (einige Kritikerkollegen erinnerte dies an die biblische Eva, die den rechtschaffenen Adam vom echten Weg ablenkt, aber ich finde, ihre Einmischung ist durchaus gerechtfertigt und führt auch nicht zwangsläufig dazu, den Film als frauenfeindlich einzustufen - immerhin gibt es neben der verhassten Staatsanwältin auch noch eine durchaus positiv gezeichnete Frau in Afghanistan, die als »Stimme des Gewissens« aber ignoriert wird). Und zum anderen spielen auch seine Untergebenen, die wie er am eigenen Leib erfahren haben, unter welchem Druck man im Krieg Entscheidungen treffen muss, die eben auch ihre Zeugenaussage machen müssen. Und dadurch kommt es hier zu ziemlich vielen Grauschattierungen, aber hier und da verläuft es letztendlich auch so, dass »minus mal minus plus ergibt«.

Regisseur Tobias Lindholm (der übrigens auch am Drehbuch zum bald anlaufenden Kollektivet beteiligt war) arbeitet schon zum dritten Mal mit Hauptdarsteller Pilou Asbæk (wer sich von dessen Bandbreite überzeugen lassen will, sollte seinen »Dennis« in Stille hjerte zum Vergleich heranziehen). Und das eingespielte Team (auch hinter der Kamera) liefert einen weiteren Beweis dafür, dass die Dänen (siehe Vergleichsfilme oben) mittlerweile das Genre der traumatisierten Kriegheimkehrer besser variieren und letztlich auch beherrschen als irgendwer sonst. Tobias Lindholm im Presseheft: »Seit 14 Jahren ist Dänemark eine Nation, die sich im Krieg befindet. Es hat meine Generation mehr als alles andere geprägt, dass wir junge Männer in Kriege schicken, in denen es nicht darum geht, die Grenzen Dänemarks zu verteidigen, sondern deren Beweggründe auf abstrakteren, politischen Entscheidungen basieren.« Damit haben die Dänen als Filmnation ein vergleichbares Thema wie die USA einst mit ihren Vietnamfilmen, die aber größtenteils erst mit reichlich Verspätung in die Kinos kamen. Am positivsten an der dänischen Kriegstraumaverarbeitung ist, dass die Afghanistanszenen hier zwar spannend, aber nie reißerisch aufgezogen werden. Und es trotz allem mehr um die Menschen geht als um die Ballerei. Die Dänen drehen eben keine Filme wie Apocalypse Now, The Deer Hunter oder Platoon, sondern eher etwas im (auch thematischen) Gefolge von »Coming Home«. Und das liegt dem dänischen Kino mit seiner Tendenz zur Problematisierung, die aber nicht wie im Deutschen Kino so häufig zum Selbstmord in den letzten fünf Minuten führt. Egal, wie finster es oft in dänischen Filmen zugeht, irgendwo gibt es immer noch ein paar Sonnenstrahlen, etwas Hoffnung. Und dafür mag ich das dänische Kino.