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18. November 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Mia madre (Nanni Moretti)
Mia madre (Nanni Moretti)
Fotos © Alberto Novelli
Mia madre (Nanni Moretti)
Mia madre (Nanni Moretti)
Mia madre (Nanni Moretti)


Mia madre
(Nanni Moretti)

Italien / Frankreich 2015, Buch: Nanni Moretti, Francesco Piccolo, Valia Santella, Kamera: Arnaldo Catinari, Schnitt: Clelio Benevento, mit Margherita Buy (Margherita), John Turturro (Barry Huggins), Giulia Lazzarini (Ada), Nanni Moretti (Giovanni), Beatrice Mancini (Livia), Stefano Abbati (Federico), Enrico Ianniello (Vittorio), Anna Bellato (Schauspielerin), Toni Laudadio (Produzent), Lorenzo Gioielli (Dolmetscher), Pietro Ragusa (Bruno), Tatiana Lepore (Segretaria di edizione), Monica Samassa (Ärztin), Vanessa Scalera (Krankenschwester), 106 Min., Kinostart: 19. November 2015

Nanni Moretti, der international vermutlich bekannteste aktuell tätige Filmregisseur, hat in seinem Werk neben politischen Stoffen (Il caimano, Habemus papem) auch schon oft mit offenkundig autobiographisch gefärbtem Material gearbeitet, etwa in Caro diario oder La stanza del figlio.

In diesem Fall ist es wieder so, es geht um den bevorstehenden Tod einer ehemaligen Lehrerin, der Mutter der Hauptfigur (Morettis Mutter war ebenfalls Lehrerin), wobei dieses familiäre Dilemma durch die Regie-Tätigkeit der Hauptfigur in ein ganz persönliches und vermutlich nur wenige Zuschauer in dieser Weise betreffendes Licht gestellt wird. Moretti spielt auch selbst den Sohn der todkranken Ada (Giulia Lazzarini), doch durch einen kleinen Kniff distanziert er sich davon, direkt seine eigene Geschichte zu erzählen. Denn der von ihm gespielte Giovanni ist weder Regisseur noch die Hauptfigur des Films. Diese wird von Margherita Buy gespielt – Giovannis Schwester Margherita ist die Regisseurin, um die sich alles dreht und die der Film durchaus auch kritisch sieht.

Durchaus interessant ist dabei auch das Detail, dass die Regisseurin Margherita zum Zeitpunkt der Filmhandlung noch keinerlei Interesse an autobiographischen Filmen gezeigt hat, sondern sich vor allem auf politische Filme zu beschränken scheint. Quasi durch die Filmhandlung bewirkt nähert sich die weibliche Filmfigur ihrem realen Vorbild Moretti an, die Zweiteilung zwischen Filmfigur und persönlichem Hintergrund wird also auf mehreren Ebenen umgesetzt – und Moretti spielt auch mit den feinen Unterschieden.

Am überraschendsten wirkt aber das Detail, das der Film um Tod (Familie) und Politik (Schaffen) trotz der ernsthaften Befassung mit diesen Themen durchaus die Elemente einer Komödie hat. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, dass sich Regisseurin Margherita mit einem extra aus Amerika eingeflogenem Star (John Turturro als »Barry Huggins«) herumärgern muss, der nicht nur reichlich kapriziös und von sich selbst eingenommen wirkt, sondern sich im Verlauf des Films (und der Dreharbeiten des Films-im-Film) immer deutlicher als Fehlbesetzung erweist. Fast wirkt es so, als sei auch Margheritas Film »todkrank« – doch dieses Gebrechen ist keineswegs tragisch, sondern komisch. (Obwohl sich auch hier noch zum Schluss ein quasi-tragischer Hintergrund abzeichnet) Und die Parallelität gibt der Filmfigur die Möglichkeit, neu über Prioritäten nachzudenken.

Das Drehbuch profitiert durchaus davon, das Moretti das Treatment gemeinsam mit drei Frauen ausarbeitete. Gerade die drei Generationen von Frauen (Ada, Margherita und die pubertierende Tochter Livia) werden im Miteinander gut eingefangen. Wenn auch einige Elemente wie die Latein-Nachhilfe durch die der Tochter nahestehende Oma etwas plakativ wirken.

Mit den subtilen Nuancen hat der Film hier und da kleine Probleme, vielleicht auch, weil hier vieles ganz deutlich formuliert werden soll, wo es an anderen Stellen eine deutliche Ambivalenz gibt. Denn der Film spielt von Beginn an mit vielen Realitätsebenen. Es beginnt etwa mit Dreharbeiten, die sich erst im Nachhinein als solche offenbaren (obwohl man sich als Zuschauer schon fragt, warum Moretti da Details nicht besser inszeniert hat – aber Film-im-Film wird fast immer als qualitativ minderwertiger markiert – ein Makel, der sich durch die gesamte Filmgeschichte zieht, um die Regisseure irgendwie »besser« dastehen zu lassen). Eine der Szenen von Mia madre, die in Erinnerung bleibt, wird zunächst komplett gleichgewichtig eingeführt, scheint sich dann als Flashback zu outen, um letztendlich dann eine Traumsequenz zu sein. Und man könnte allein über das hier rekonstruierte Kino oder den von einer langen Schlange an Kinogängern reich beschenkten gezeigten Film (Wim Wenders' Der Himmel über Berlin) halbstündige Interviews mit Moretti führen.

Doch so clever, wie hier vieles ausgearbeitet wurde und wie nebenbei die Geschichte vorantreibt, gibt es auch einige Momente, die naiv oder fast hilflos wirken. So wundert man sich in nicht geringem Maße, warum die durch die kranke Mutter, kürzliche Trennung und Teenager-Tochter reichlich belastete Regisseurin ihren US-Star höchstpersönlich mit dem Auto vom Flughafen abholt. Im Filmbusiness eines gewissen Niveaus (und die Dreharbeiten vom Streik sehen nicht nach Low Budget aus) hat ja zumindest in der Entscheidungsebene fast jeder einen Fahrer, um etwa dem Regisseur auch mal die Chance zu geben, über gewisse Dinge nachzudenken, statt sich auf den Verkehr konzentrieren zu müssen. Aber hier hat Moretti dann halt entschieden, dass die etwas absurde Kennenlern-Situation für den Film wichtiger ist als die reale Abbildung des Arbeitsalltags eines Regisseurs. Und solche Details (oder manche allzu übertriebene Komikeinschübe) lenken von der eigentlichen Geschichte etwas ab, was man aber bei Moretti, der seine Filme gern etwas überlädt, auch kennt.

Im Presseheft wird mehrfach betont, dass Mia madre Morettis persönlichster Film sein könnte, doch die gewollte wie ungewollte Distanz und der manchmal zu konstruiert wirkende Überbau stehen einer persönlichen Einbindung des Zuschauers manchmal etwas im Wege. Man erkennt, was hier alles Tolles versucht wurde, aber es funktioniert nicht alles so richtig.

Ich muss aber zugeben, dass ich John Turturro bei seinem wirren Gefasel über seine Zusammenarbeit mit Kubrick gerne zugeschaut habe und insbesondere die Beziehung zwischen Oma und Enkelin durchaus etwas von dieser »Persönlichkeit« hatte, die ich an anderen Stellen vermisst habe.