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2. August 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Slow West (John Maclean)
Slow West (John Maclean)
Slow West (John Maclean)
Bildmaterial © 2015 PROKINO Filmverleih GmbH
Slow West (John Maclean)
Slow West (John Maclean)
Slow West (John Maclean)


Slow West
(John Maclean)

UK / Neuseeland 2015, Buch: John Maclean, Kamera: Robbie Ryan, Schnitt: Roland Gallois, Jon Gregory, Musik: Jed Kurzel, Production Design: Kim Sinclair, Art Direction: Ken Turner, Sarah Finlay, Kostüme: Kirsty Cameron, mit Kodi Smit-McPhee (Jay Cavendish), Michael Fassbender (Silas Selleck), Ben Mendelsohn (Payne), Caren Pistorius (Rose Ross), Andrew Robertt (Werner), Karl Willets (Johan), Brooke Williams (Marie), Kalani Queypo (Kotori), Alex Macqueen (Rupert Cavendish), Rory McCann (John Ross), Evie Simon (Eva, Swedish Girl), George Simon (Jan, Swedish Boy), Will Maclean (Musician 2), David Maclean (Burly Man 2), 84 Min., Kinostart: 30. Juli 2015

Der Schotte John Maclean erreichte eine gewisse Bekanntheit als Keyboarder bei The Beta Band (und später The Aliens), zeichnete schon während seiner Musikerkarriere mehrfach für Videoclips seiner Bands verantwortlich und liefert nun einen sehr eigentümlichen Debütfilm ab: einen Western, der mehr an Jim Jarmusch als an John Wayne erinnert – und dazu auch noch größtenteils in Neuseeland gedreht wurde.

Der 16jährige Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee, bekannt aus The Road und Let me in) reist seiner über Nacht aus Schottland verschwundenen großen Liebe Rose (Caren Pistorius) hinterher – und der hartgesottene Silas (Michael Fassbender) bietet dem romantisch veranlagten Greenhorn (»a jackrabbit in a den of wolves«) seine Hilfestellung an, um es zumindest lebend bis zu seinem großen Schwarm zu schaffen. Ein winziges Detail lässt er dabei unerwähnt: Rose und ihr Vater werden steckbrieflich gesucht und Silas hat es auf das Kopfgeld abgesehen – und da Jay zu wissen scheint, wo sich die Gesuchte befindet, bietet sich da ja eine Zusammenarbeit an, die sich leider irgendwann als »vorübergehend« erweisen dürfte.

Der Tonfall ist hierbei – wie gesagt – sehr ungewöhnlich, das wird eigentlich von Anbeginn sehr deutlich. »Once upon a time, 1860, to be exact …« – so poetisch märchenhaft – und dabei sehr unterhaltsam und von einem leicht schwarzen Humor getragen – ist mir bisher noch kein Western untergekommen. Selbst Jim Jarmuschs Dead Man, den viele Kollegen ja über den Klee loben, mit dem ich aber nie richtig warm werden konnte, wirkt verglichen mit Slow West fast hölzern in seiner geradlinigen Aussage. John Maclean hat nämlich die liebenswerte Angewohnheit, diverse absurde Ideen in seinen Film einzuarbeiten, ohne das die Diversität und die offene Struktur dem Werk schaden. Und an die Abkehr von diversen Genrekonventionen hat man sich in den letzten Jahren ja zunehmend schon gewöhnt, die Western der letzten fünf bis zehn Jahre zeichnen sich ja vor allem dadurch aus, sich eigenständig jeweils eine individuelle Nische zu erarbeiten – und das macht Filme wie The Proposition, Meek's Cutoff oder Loin des hommes auch so interessant. Selbst, wenn das Experiment Western, auf das man sich aktuell weltweit einlässt, mal nicht so funktioniert: fernab der Big-Budget-Varianten aus Hollywood (The Lone Ranger, Cowboys vs. Aliens) ist der Western heutzutage eines der interessantesten Genres. Gerade, weil hier nicht so inflationär immer wieder dieselben Idee recyclet werden wie zum Beispiel beim Horrorfilm.

Doch zurück zum Film: Neben den hübschen kleinen Vignetten, die man in dieser Urform des Road Movies früher nur selten erlebte, hat Slow West auch ein klares Thema, denn das Buddy-Movie unter schlechtem Stern lebt vom Kontrast seiner beiden Hauptfiguren: dem idealistischen blauäugigen Romantiker und dem zynisch-realistischen Pragmatiker, die auch sonst einiges voneinander unterscheidet, denn nur der Schotte stammt aus gutem Hause: »I'm Jay Cavendish, son of Lady Cavendish!« Die lapidare Antwort: »We're all sons of bitches.«

Und so lernt Jay, dass eine allzeit gut gepflegte Waffe weitaus wertvoller ist als der Reiseführer Ho for the West! Zwischendurch erfährt man in Flashbacks mehr über die »unsterbliche« Liebe Jays zu Rose, wobei ihr Kosebegriff »silly boy« schon schnell vorausnimmt, dass diese Liebe eher einseitig ist.

Wie sehr sich Slow West von anderen Western unterscheidet, sieht man erstmals bei einer Szene in einem heruntergekommenen Lebensmittelladen, der überfallen wird. Bei diesem Shoot-Out werden die Regeln des Genres sehr frei ausgelegt und das Resultat erinnert eher an einen absurden Antikriegsfilm als an die Marlboro-Romantik taffer Westernhelden.

Und diesen Trend behält der Film bei. Man erkennt zwar typische Handlungselemente, hier und da setzt sich die Romantik auch mal gegen den ernüchternden Alltag der ungewaschenen Naturburchen durch – aber vor allem entwickelt der Film einen ungewohnten, sehr erfrischenden Humor, der zwar manchmal auch über Leichen geht, aber im Großen und Ganzen das Coming-of-Age des blauäugigen Jays in den Farbtönen schlammbraun und blutrot färbt.

Macleans Humor unterscheidet sich von dem Jim Jarmuschs insofern deutlich, dass er sich nicht ganz so ernst nimmt und sehr spielerisch wichtige Themen der damaligen Zeit mit Slapstickelementen mischt, etwa bei der Problematik, nasse Wäsche auf der Reise zu trocknen oder einem Fund im Wald, der Darwins Theorie von der Evolution durch natürliche Auslese überdeutlich beweist: einem menschlichen Skelett, das eine Axt in den Händen halt – und unter einem frühzeitig umgestürzten Baum begraben liegt.

Bis zum großangelegten Showdown und der ziemlich ungewöhnlichen Auflösung des Films lässt man sich viel Zeit für tolle kleine Momente, sowohl storymäßig als auch inszenatorisch. Hierbei verdeutlicht zum Beispiel die häufig eingesetzte Tiefenschärfe als prägendes Stilelement die eigentlichen Kontrahenten im wilden Westen: das Individuum und die Umwelt, die aus der unerbittlichen Natur besteht, deren größte Gefahr natürlich die blutrünstigen und halbverhungerten lieben Mitmenschen sind. Darwin hätte das gefallen – aber nur aus sicherem Abstand betrachtet!