Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




17. Dezember 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Serena (Susanne Bier)
Serena (Susanne Bier)
Bildmaterial © 2014 STUDIOCANAL
Serena (Susanne Bier)
Serena (Susanne Bier)
Serena (Susanne Bier)


Serena
(Susanne Bier)

USA / Frankreich / Tschechien 2014, Buch: Christopher Kyle, Lit. Vorlage: Ron Rash, Kamera: Morten Søborg, Schnitt: Pernille Bech Christensen, Musik: Johan Soderqvist, Kostüme: Signe Sejlund, mit Bradley Cooper (George Pemberton), Jennifer Lawrence (Serena Pemberton), Rhys Ifans (Galloway), Ana Ularu (Rachel), Toby Jones (Sheriff McDowell), Sean Harris (Campbell), David Dencik (Buchanan), Sam Reid (Vaughn), Blake Ritson (Lowenstein), Charity Wakefield (Agatha), Ned Dennehy (Ledbetter), Michael Ryan (Coldfield), Christian McKay (Banker in Boston), 110 Min., Kinostart: 18. Dezember 2014

Jane Smileys mit dem Pulitzer Prize ausgezeichneter Roman A Thousand Acres (1991, Verfilmung 1997 mit Jessica Lange und Michelle Pfeiffer) nimmt die Handlung von Shakespeares King Lear, verlegt sie in die zeitgenössischen USA, und macht daraus ein Familiendrama, dessen großartiger Twist es ist, dass die Geschichte von Ginny erzählt wird, einer der »bösen« Schwestern, aus deren Sicht ihr Vorgehen aber beinahe nachvollziehbar klingt.

Als ich Serena das erste Mal sah, dauerte es nicht lange, bis ich in der durch Jennifer Lawrence porträtierten Titelfigur eine Art »Lady Macbeth« sah (die konkrete Handlungs-Parallele zu Shakespeare ist eher frei), die ihren Mann dazu antreibt, durch einen Mord die Analogie zum »Königreich«, ein Holzfäller-Imperium im Jahre 1929, sicherzustellen, wobei schon der Titel natürlich impliziert, dass sie (und nicht ihr Mann, wie es zu Shakespeares Zeiten schier unumgänglich schien) die Hauptfigur ist. Im ersten Hollywood-Ausflug der dänischen Regisseurin Susanne Bier, deren Karriere ich seit Elsker dig for evigt (2002) aufmerksam verfolge und die 2011 für Hævnen den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann, erkannte ich klar die fatalistische Handschrift ihres Standard-Drehbuchautors Anders Thomas Jensen wieder, der aus meiner Sicht in diesem Film sein Faible für hochdramatische, manchmal etwas konstruiert wirkende Handlungen um Menschen, die lebensbedrohliche Grenzerfahrungen erleben und dann mit dem »normalen« Leben so ihre Probleme haben (vgl. Filme wie Brødre, Wilbur wants to kill himself oder zuletzt The Salvation), zur Meisterschaft gebracht hat. Was für eine Überraschung, als ich dann im Abspann erfuhr, dass das Drehbuch vom mir nicht weiter vertrauten Christopher Kyle (Alexander) stammt und eine Romanadaption ist.

Bevor ich jetzt dazu komme, wie ich mir den Roman besorgt und gelesen habe und mir danach den Film ein zweites Mal angeschaut habe (um ihn eingehender mit der Vorlage zu vergleichen), will ich meine ursprünglichen Empfindungen (und einige meiner Kritikerkollegen) zur Sichtung beschreiben. Die Kollegen (darunter ein ausgewiesener JLaw-Fan) hatten so ihre Probleme mit der fehlenden »Chemie« zwischen Everybody's Darling und ihrem Leinwandgatten Bradley Cooper, woran für sie der Film bereits Schiffbruch erlitt. Ich sah diese Schwäche zwar auch, aber begreife als Donaldist Scheitern immer als Chance. Mir ist ein interessanter Film, der aber aufgrund seiner hohen Ansprüche kentert, oft lieber als ein perfekt inszeniertes Stück Kinntopp, das aber nichts riskiert und mir nichts wirklich neues bietet. Und was schert es mich, wenn das inzwischen mehrfach bewährte Hollywood-Traumpaar aus Silver Linings Playbook und American Hustle hier etwas häufig in Bettlaken-Akrobatik verwickelt war, dabei aber nicht wirklich die fast mythische Anziehungskraft zwischen den Eheleuten Pemberton umsetzen kann, wenn ich mich längst in die Handlungskonstruktion verliebt habe und mein besonderes Augenmerk auf Ana Ularu (von der ich noch keinen Schimmer hatte, dass ich sie aus dem rumänischen Film Periferic kennen könnte) gerichtet habe, die hier eine unscheinbar wirkende Frau spielt, die Holzfäller-Magnat Pemberton mal so nebenbei als Bedienstete (ihr Name Rachel kam glaube ich recht spät ins Gespräch) geschwängert hat, bevor er seine Traumfrau Serena überhaupt kennengelernt hat. Serena meint zwar großzügig, dass sie die Vergangenheit nicht interessiert (man bekommt später heraus, dass sich das vor allem auf ihre eigene Vergangenheit bezieht), aber das Baby Jacob spielt im Film noch eine wichtige Rolle, wobei mich das Schicksal der jungen Mutter offenbar ein wenig mehr gepackt hat als die lieben Kollegen, während ich mit dem spektakulären und etwas hochstilisierten Verbleib der Pembertons nicht so große Probleme hatte, weil es aus meiner Sicht – verglichen mit Shakespearedramen wie Macbeth oder Hamlet – eigentlich fast noch harmlos zur Sache ging. Und ich mich, wie bereits gesagt, irgendwie daran erfreute, dass Anders Thomas Jensen hier mit soviel Chuzpe seine jahrelang gehegten Drehbuchideale zur internationalen Veredelung brachte. Nur eben, dass er nichts mit dem Film zu tun hat und Serena auch ganz übel gefloppt ist, weil die wenigen Zuschauer halt etwas anderes von Fräulein Lawrence erwartet haben als eine doch etwas gefühlskalte Lady Macbeth, die sich den Zuschauersympathien schnell entzieht, während ihr zunächst heldenhaft gezeichneter Gatte unter ihrem Einfluss (und seiner eigenen Blödheit) immer versucht, »der Gute« zu bleiben und dann am Schluss ein Schicksal erleidet, wie es in der Fernsehserie Rauchende Colts (oder auch Gunsmoke) immer jene Figuren aufgedrückt bekamen, die irgendwie vom rechten Weg abgekommen sind und sich zum Episoden-Ende dann doch für die gute Sache opfern durften (ich habe das damals fast jeden Sonntag auf ZDF gesehen und dieses wiederkehrende Handlungsgerüst ist mir schon als Heranwachsender aufgefallen).

Was mir auch noch sehr an Serena gefallen hat (und erneut passt dies so dermaßen gut zu Anders Thomas Jensen), war die ambivalent erscheinende Umkehrung heutiger Moralvorstellungen. Serena und George sind Holzfäller, die davon träumen, in Brasilien unberührte Wälder niederzuholzen, und in North Carolina kämpfen sie gegen nicht besonders positiv gezeichnete Widersacher, die auf die wahnwitzige Idee gekommen sind, ein Naturschutzgebiet aufzubauen. Ich fand diese fast perverse Umkehrung heutiger Ideale, wo die Industrialisten und Kapitalisten eigentlich immer die Buhmänner sind (auch wenn dieses Empfinden den Film irgendwie überschattet), durchaus hochinteressant. Und dass aus diesen Startpunkten dann am Schluss nur ein herkömmlicher Kino-Showdown wurde, hat mich nicht so sehr geärgert, weil ich es mir durchaus vorstellen konnte, dass Serena das Baby killt, halb Brasilien rodet und dann auch noch straffrei ausgeht. Und wenn es dann anders läuft, kreide ich das halt dem Hollywoodbetrieb an. Manchmal ist es eben auch die Berufung des Kritikers, ein allgemein zum Prügelknaben abgestempeltes Werk tief ins Herz zu schließen.

Nun kommen wir aber zum Roman, und der funktioniert dann doch dezidiert anders als der Film – und der Film kommt im direkten Vergleich nicht immer gut weg. Einige Drehbuchentscheidungen hängen offensichtlich damit zusammen, Jennifer Lawrence (und insbesondere Bradley Cooper) in ein besseres Licht – und ins Zentrum des Films – zu befördern, was meines Erachtens durchaus zum Scheitern beiträgt (aber ich mag den Film trotzdem, schon weil ich ohne ihn nie von der ganzen Geschichte und dem Roman erfahren hätte).

Eine deutliche Unterscheidung zwischen Roman und Film besteht schon mal darin, dass der Film noch vor dem Kennenlernen von George und Serena ansetzt. Im Roman setzt die Handlung ein mit der Ankunft Pembertons (der Vorname George fällt im Roman nicht ein einziges Mal) und seiner frischvermählten Frau. Der erste Satz lautet ganz konkret:

When Pemberton returned to the North Carolina mountains
after three months in Boston settling his father's estate,
among those waiting on the train platform was
a young woman pregnant with Pemberton's child.

Interessanterweise ist es sogar so, dass Serena, die bei der Ankunft neben Pem-berton im Zugabteil schläft, erst auf der zweiten Seite des Romans erwähnt wird, und das Kennenlernen der Eheleute wird nur in ein paar kurzen Flashback nachgeholt. Im Film taucht Rachel zwar auch vor Serena auf, doch der Fokus liegt nie so auf ihr wie im Roman (wo sich übrigens schon früh ganze Kapitel um ihr Leben drehen).

Noch deutlicher ist aber der Unterschied in der Darstellung Pembertons, der im Film schon durch seinen Vornamen eine Menschlichkeit besitzt, die ihm im Roman fast abgesprochen wird. Im Roman steht neben der schwangeren (und hier »fast 16jährigen«!) Rachel ihr angetrunkener Vater, der nach einem überraschenden Gespräch mit Serena (»You'll not find a better sire to breed her with. The size of her belly attests to that.«) mit einem Messer die Ehre der Tochter wiederherstellen will, und obwohl Rachel ihn bittet, nach Hause zu gehen und die Umstehenden den Sheriff rufen wollen, sagt Vater Harmon »We're settling this now.« zum in dieser Szene kaum einmal erwähnten Pemberton, und Serena entgegnet »He's right. Get your knife and settle this now, Pemberton.« Womit sie schon sehr früh sehr entscheidend ins Leben ihres Mannes eingreift, der dann quasi »in Notwehr« den alten angetrunken Mann beinahe »ausweidet«, während diese Szene im Film komplett fehlt und es stattdessen (aber an einer anderen Stelle) eine heldenhafte Rettung eines Arbeiters gibt, für die George (die Unterscheidung zwischen »George« und »Pemberton« kann ich gar nicht oft genug betonen) festentschlossen und unter einigen Gefahren auf einen fahrenden Zug springt. Während der Umgang mit den Arbeitern im Roman immer eine zielgerichtete Strategie zur Gewinnmaximierung ist (die Pembertons sind quasi bessere Sklaventreiber, die sich ab und zu vom Vorarbeiter zu milden Gesten überreden lassen, sich aber nur für das Schicksal der Arbeiter interessieren, wenn es ihnen im politischen Kampf gegen das Naturschutzgebiet dienlich ist, etwa im hübschen Slogan »Jobs or a pretty view«), wird George im Film deutlicher als Kumpeltyp inszeniert, der auch mal mit zugreift. Diese Tendenzen gibt es zwar auch im Roman, doch hier wird dabei fast immer betont, dass es ihm darum geht, wie die Arbeiter ihn wahrnehmen und wie man durch psychologische Tricks mehr aus ihnen herausholen kann. Serena hat dieses Verhalten schon als Kind zum Lebensinhalt gemacht: Wenn die Holzfäller ihres Vaters nicht arbeiten wollten, weil es zu kalt sei, spazierte sie leichtbekleidet durch die Straßen und brachte die Arbeiter dazu, schon aus Scham zum Job anzutreten. Die Ausbeutung der Massen wird somit unter den Großgutbesitzern von Generation zu Generation perfektioniert.

Selbst noch der eigentliche Mord auf Geheiß von »Lady Macbeth« hin wird im Film als »Quasi-Notwehr« inszeniert: Wenn George von seinem Vorhaben zu spät zurückgeschreckt wäre, hätte ihn das Opfer seines »Jagdunfalls«, das plötzlich begreift, was ihm bevorsteht, selbst erschossen. Im Roman fragt er ihn kurz vor der Bluttat noch nach Verwandten aus (man weiß ja nie, wer das Erbe antritt und Scherereien machen könnte) und wiegt ihn in Sicherheit, indem er dem Todgeweihten noch ein linguistisches Detail offenbart, worüber dieser Buch führt (natürlich geht es bei der semantischen Herkunft von »to feather s.o. down« passenderweise auch ums Töten).

Und ungefähr ab dort entfernt sich der Film immer mehr von der Romanvorlage, wobei es aber nur selten zu positiven Veränderungen kommt. Buchanan hat im Film nicht nur einen Vornamen (Albert), sondern wird durch seine unterschwellig homoerotische Zuneigung zu seinem »Partner« auch eine etwas interessantere Figur (zu dumm, dass er dann als erster ins Gras beißt). Visuell und thematisch ganz hübsch war das aus Holz gefertigte Geschenk, dass dann (als erster deutlicher Hinweis, dass Serena durchdreht) passenderweise auch mit einer Axt zerdeppert wird. Und das zwei »Schicksale« von »Hauptfiguren« (ich will ja nicht alles ausplaudern) sich zwar komplett anders (und schlechter) als im Buch ereignen, wird immerhin noch dadurch halbwegs gerettet, dass in beiden Fällen eine biographische Klammer geschlossen wird. Wer allerdings das Buch liest, wird feststellen, dass die entsprechenden Passagen dort mindestens fünf Mal besser zur »closure« beitragen.

Im Buch ist Serena eine viel gefährlichere und aktivere Figur, und diese Gefährlichkeit wird auch dadurch unterstrichen, dass sie – obwohl der Roman ihren Namen trägt! – immer nur durch die Augen der anderen Figuren gesehen wird. Denn im Buch gibt es drei Arten von Kapiteln. Pemberton-Kapitel, Rachel-Kapitel und »Arbeiter«-Kapitel. Es gibt nirgends eine Szene, die Serena alleine zeigt oder gar ihre Gedankengänge zu illustrieren versucht. Sie agiert in Pembertons Beisein und man weiß nur, was sie sagt oder tut und wie Pemberton dies auffasst. Oft agiert sie aber auch ohne sein Wissen und Pemberton ist sich nie wirklich sicher, ob er vielleicht selbst zu ihrem Opfer werden könnte – im Film gibt es stattdessen die Szene, wo George Serena würgt und danach quasi fallenlässt wie ein benutztes Kondom. Ganz zugeschnitten auf die beiden Stars, die mal so richtig ihr Talent zeigen können – aber nirgends auch nur ansatzweise so im Buch.

Pemberton und Rachel reagieren im Buch oft nur, sie sind von der mörderischen Naturgewalt namens Serena unterschiedlich stark überfordert. Und die Arbeiter freuen sich, wenn sie überleben (im Buch gibt es eine Menge Unfälle aufgrund der gefährlichen Tätigkeit Holzfällen), beobachten um sich herum die Vorgänge und mutmaßen viel über die Geschehnisse, ein wenig wie ein griechischer Chor. Was im Film komplett verloren geht, ist die Ungewissheit. Im Film gibt es etwa eine etwas unglaubwürdige Szene, in der Serena »erkennt«, wie der »Film-George« (bloß nicht mit dem Roman-Pemberton verwechseln!) so »tickt«. Im Roman weiß man oft nicht, wie durchgedreht Serena ist, wer ermordet wird oder nur einen »Unfall« hat – was dann auch aus den Bemühungen des Sheriffs (im Film mit dem eigentlich tollen Toby Jones, der auch noch als durchtriebener Nationalpark-Befürworter herhalten muss, ziemlich fehlbesetzt) tatsächlich eine Art Krimi macht. Es müssen Beweise gefunden werden, Personen geschützt und das Gesetz selbst in die Hand genommen werden. Im Film hat man dafür Bradley Cooper, der die zwei heldenhaftesten Figuren des Romans (Sheriff McDowell und Vaughn) durch seine späte Wendung zum Guten einfach überflüssig macht (und deshalb spielt Vaughn auch keine Rolle und der Sheriff sieht aus wie Toby Jones).

Wer Serena als Film sieht und wie ich das Potential entdeckt, sollte sich ruhig mal den Roman beschaffen, der ein wenig wie eine Mischung aus Sheakespeare, Stephen King und T.C. Boyle oder Cormac McCarthy ist. Wer das Glück hat, den Roman tatsächlich schon zu kennen, sollte sich den Film indes lieber schenken. Harte Worte für einen »Film des Monats«, aber dies wird vermutlich nur die allerwenigsten Leser betreffen. Ohne den Film hätte ich nie vom Buch erfahren und hätte auch nicht miterleben können, wie schlimm man die Romanhandlung zusammenstutzen kann – und dennoch nicht ganz das Potential dabei verliert.