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16. Juli 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)
Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)
Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)

Hinweis: »Studio Ghibli Film Festival«

Passend zum Kinostart von bringt Universum Film ein »Festival« genanntes Paket mit Ghibli-Filmen in ausgewählte Kinos (zum Beispiel im Berliner Moviemento). Abgesehen von Meine Nachbarn, die Yamadas allesamt Regiearbeiten von Hayao Miyazaki, und zwar Mein Freund Totoro, Porco Rosso, Chihiros Reise ins Zauberland, Das wandelnde Schloss, Ponyo, und natürlich auch den neuen Film. Leider bis auf Wie der Wind sich hebt alle nur in der Synchronfassung, aber es soll ja auch viele Zuschauer geben, denen das (unverständlicherweise) sogar lieber ist …


Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)
Bildmaterial © Universum Film
Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)
Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)



Wie der Wind sich hebt (Hayao Miyazaki)


Wie der Wind sich hebt
(Hayao Miyazaki)

Originaltitel: Kaze tachinu, Intern. Titel: The Wind Rises, Japan 2013, Buch, Manga-Vorlage: Hayao Miyazaki, Musik: Joe Hisaishi, Song: Arai Yumi, mit den Original- / englischen Stimmen von Hideaki Anno / Joseph Gordon-Levitt (Jirô Horikoshi), Miori Takimoto / Emily Blunt (Nahoko Satomi), Hidetoshi Nishijima / John Krasinski (Honjô), Masahiko Nishimura / Martin Short (Kurokawa), Mansai Nomura / Stanley Tucci (Caproni), Jun Kunimura / Mandy Patinkin (Hattori), Mirai Shida / Mae Whitman (Kayo Horikoshi / Kinu), Shinobu take / Jennifer Grey (Mrs. Kurokawa), Morio Kazama / William H. Macy (Mr. Satomi), Keiko Takeshita / Edie Mirman (Jirô's Mother), Steve Alpert / Werner Herzog (Castorp), ? / Elijah Wood (Sone), 127 Min., Kinostart: 17. Juli 2014

Der japanische Animationsfilm zeichnet sich mitunter durch eine gewisse pädophile Ader aus, insbesondere junge Mädchen, die einem in den kurzen Röcken ihrer fetischisierten Schuluniformen einen Blick auf ihre Schlüpfer offenbaren, gehören auch in nichtpornographischen Animes zum Standardrepertoire.

Hayao Miyazaki, der mehrfach preisgekrönte Großmeister des Zeichentrickfilms, entsagt solcher »verbotener Blicke« zwar meistens, aber auch in seinem Werk fällt auf, wie oft junge Mädchen, deren Alter man angesichts des vorherrschenden Kindchenschemas nicht genau festlegen kann, sich auf »unschuldige« Weise in junge Männer verlieben, die im Gegensatz zu ihnen aber schon volljährig wirken. Unterschiedlich deutlich findet man das auch in universell anerkannten Meisterwerken wie Chihiros Reise ins Zauberland oder Das wandelnde Schloss. Da ich Miyazaki eher zum Auteur als zum Konformisten erklären würde (abgesehen von der standardmäßigen vermeintlich »idealisierten« Physiognomie, die an die Fernsehserie Heidi erinnert, und die manchmal in seinen Filmen durchscheint, wenn die Figurendesign nicht wie bei Chihiro oder Prinzessin Mononoke durchdacht und eigenständig wirkt), interpretiere diese Figurenkonstellationen als persönliche Vorlieben (wohlgemerkt, sehr harmlos und komplett kindertauglich umgesetzt), und so könnte die beinahe zelebrierte Auslebung einer »unschuldigen« Liebe auf den ersten Blick zwischen dem vermutlich zwanzigjährigen Jirô und der höchstens 12jährigen Nahoko in Miyazakis letzter Regiearbeit von einer Chuzpe zeugen, die ich durchaus bewundere, denn in ihrer Deutlichkeit kommt das fast einem Coming-Out gleich. Der Trick hierbei ist, dass die beiden sich bei diesem kurzen Treffen nicht im entferntesten nahe kommen, und dass der »magische Moment« zwischen ihnen erst ein Jahrzehnt später (wenn sie also auch volljährig ist) zu einer zarten Umwerbung und einer Ehe jenseits sämtlicher Intimität führt. Es bleibt aber dabei, dass Jirôs späte Liebesgeständnis trotz aller Unschuld das pädophile Moment im Kern trägt: »Ich liebe dich. Seit dem Tag, als du meinen Hut gefangen hast.« Die Anrüchigkeit des Fetischs wird hier zwar bis zur Kitschgrenze verharmlost und romantisiert, doch so ein Bekenntnis ist immer ehrlicher als eine verhuschte Ausrede.

Interessant am neuen Miyazaki ist, dass sich angesichts so einer sexualisierten Interpretation kaum jemand aufregen wird, denn der eigentliche Tabubruch ist ein politischer, und der ist vom Regisseur ebenso gewollt und von einem seltsamen Stolz durchzogen. Denn Jirô ist keine komplette Fantasiefigur, sondern er ist dem Flugzeugkonstrukteur Jirô Horikoshi nachempfunden, dessen bekanntestes Design die Mitsubishi Zero ist, ein eleganter und pragmatischer Flieger, der für seine innovative Reichweite bekannt ist. Damit konnte man es von Japan bis nach Pearl Harbor schaffen. Im Film geht es nur am Rande um den Krieg und die historischen Bezüge, aber es fällt schon auf, dass Jirô auf dem Weg zu seinem »Meisterstück« von den fortschrittlichen Leichtmetalllegierungen der deutschen Junkers-Werke profitiert und er »im Traum« einem italienischen Flugzeugkonstrukteur begegnet. Das unschöne Kriegsbündis, das den zweiten Weltkrieg anzettelte, wird hier dargestellt wie ein paar Pazifisten, die innerhalb ihrer Ingenieurstätigkeit nach Qualität trachten. Dass die Flugzeuge später zum Kriegseinsatz kommen, ist bedauernswert und nicht explizit gewünscht, dass sie von koreanischen Zwangsarbeitern erstellt werden, wird komplett ausgespart. Und Miyazaki ist sich dieser Verharmlosung sehr bewusst, in Interviews verteidigt er seinen Standpunkt und seinen nostalgischen Blick auf das Japan seiner Jugend sogar. Das ist dann keine Chuzpe mehr (angesichts der Begleitumstände passt auch die etymologische Herkunft dieses Wortes nicht recht), sondern ein Affront. Man fragt sich auch, warum Miyazaki nicht wie in unzähligen seiner Filme einfach Fantasieländer erfand, sondern konkret Deutschland und Italien benennt, die Einwohner dieser Länder aber vor allem durch Akkuratesse, Kreativität oder Kinderfreundlichkeit charakterisiert. Fakt ist: Miyazaki scheut die Konfrontation nicht, er sucht sie. Und perfiderweise fällt die Grenzwertigkeit seiner verharmlosten Geschichte kaum ins Gewicht angesichts seines vermutlich reifsten und literarischsten Films, der im Erzähltempo und Zielpublikum seine persönliche Note offenbart.

Statt mythischer Analogien auf die Umweltverschmutzung schwelgt der alte Mann hier in Erinnerungen an seine Jugend, an ein Japan, das sich durch einen klaren blauen Himmel mit blütenweißen Wolken auszeichnet, und an dieser Stelle schweife ich ab zum zweiten Teil meiner Trilogie über Farbdramaturgie am Beispiel der Farbe Hellblau. (Teil 1 war zu The Fault in Our Stars, Teil 3 folgt demnächst zu Walking on Sunshine. Alle drei Filme wurden von mir in einem Zeitraum von weniger als drei Wochen gesichtet. Vom 23. Mai bis 10. Juni war ich elf mal im Kino, darunter zu vier Schwarzweiß-Filmen. In dreien der verbleibenden sieben Filme fiel mir auf, wie man die Farbe Hellblau eingesetzt hat …)

Das erste Mal in Wie der Wind sich hebt, als mir die Konstellation blau / weiß auffiel, trägt Jirô zu Schulzeiten neben einer seltsamen Kapitänsmütze (Teil der Schuluniform) ein weißes Hemd mit blauen Kreuzen. Und kurz darauf steht er einem kleineren Schüler zur Seite, der von ein paar Bullies drangsaliert wird. Der Kleine trägt ein blaues Hemd mit weißen Kreuzen. Der Komplementäraspekt ist schon sehr auffällig, auch wenn der kleine Junge im weiteren Verlauf des Films keine Rolle spielt. Aber ich war auf die Farbkombination sensibilisiert. Das spielt jeweils eine Rolle, denn ich gehe ja nicht mit dem Vorsatz ins Kino, auf die eine oder andere Farbe zu achten.

Der von Miyazaki idealisierte blaue Himmel mit den weißen Wolken spielt vor allem in Jirôs Träumen eine Rolle, aber natürlich auch bei diversen Flugzeugstarts. Dass ich mir die Bedeutung dieser Farben nicht einfach einbilde, erkennt man auch am Plakatmotiv, in diesem Fall finde ich das japanische Original aussagekräftiger als die deutsche Fassung. Lässt man das Gras mal außen vor, beherrschen Blau und Weiß das Bild. Das Kleid von Nahoko ist in seiner unaufdringlichen Farbwahl bemerkenswert. Der Filmtitel ist in einem Rot-Ton (hier ein beinahe freundliches Rosa) gehalten, wenn man genau hinsieht, stellt man fest, dass man diesen Farbton auch im Hutband der jungen Frau wiederfindet. Das ist meines Erachtens alles gut durchdacht.

Blau und Weiß als Farbpaar stehen hier für eine idealisierte Harmonie. Jirô steht nicht nur dem kleinen Jungen bei (mögliche Analogie auf das »kleine« Land Japan, das in der globalen Konkurrenz Beistand benötigt), auch Nahoko trägt öfters mal weiß-blau, am auffälligsten in der Szene, die mit Papierfliegern das kindlich wirkende Liebesspiel, die »Werbung« umsetzt. Hier trägt sie weiß, nicht mit Kreuzen, sondern mit hellblauen Mustern, die aussehen wie zwei sich leicht kreuzende Buchstaben V, quasi zwei Möwen (oder Papierflieger), die als Paar unterwegs sind. Wie im Himmel sind Blau und Weiß das Yin und Yang, das zusammengehört.

Dann kommt die Szene, in der Nahokos Krankheit graphisch umgesetzt wird. Wegen eine »Lungenblutung« bespritzt sie die Leinwand ihrer Staffelei mit Blutflecken. Und fortan kann man anhand der Einsätze der Farbe Rot das fortschreitende Stadium der Tuberkulose verfolgen. Auf ihrer hellblau-weißen Mütze sind rote Aspekte, dann trägt sie einen blauen Mantel und einen rötlichen Hut, auch Jirô übernimmt Rosa und Purpur als Farben seines Outfits, dann wieder ein blauer Schlips, sie liegt im Bett und die Kopfkissenauflage ordnet sich dem Farbschema unter – wenn man erst mal drauf achtet, ist es recht auffällig. Mein Vertrauen in ein dezidiertes Farbkonzept ging während der Sichtung so weit, dass ich an einer Stelle meinem Sitznachbarn zuraunte, dass ich mir sicher bin, Nahoko werde in diesem Sanatorium nicht sterben – so knallblau und damit positiv konnotiert war das Dach des Gebäudes. Ob ich mit dieser Vermutung richtig lag, werde ich an dieser Stelle nicht verraten, aber zum Abspann gab es einen japanischen Song, dessen Titel in den Untertiteln mit »Kondensstreifen« übersetzt wurde und der die Zeile »Voller Sehnsucht nach den Wolken« beinhaltet. Ich muss dabei an ein Gedicht von Erika Fuchs denken, das mit »Die Wolken zieh'n dahin, sie zieh'n auch wieder her« beginnt.

'Nuff said.