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7. Mai 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Labor Day (Jason Reitman)
Labor Day (Jason Reitman)
Labor Day (Jason Reitman)
Bildmaterial © Paramount Pictures
Labor Day (Jason Reitman)
Labor Day (Jason Reitman)
Labor Day (Jason Reitman)


Labor Day
(Jason Reitman)

USA 2013, Buch: Jason Reitman, Lit. Vorlage: Joyce Maynard, Kamera: Eric Steelberg, Schnitt: Dana E. Glauberman, Musik: Rolfe Kent, mit Kate Winslet (Adele), Josh Brolin (Frank), Gattlin Griffith (Henry), Clark Gregg (Gerald), Tom Lipinski (Young Frank), Brooke Smith (Evelyn), James Van Der Beek (Officer Treadwell), Maika Monroe (Mandy), Micah Fowler (Barry), Tobey Maguire (Adult Henry), J.K. Simmons (Mr. Jervis), Alexie Gilmore (Marjorie), Chandra Thomas (Bank Teller), Matthew Rauch (Bank Manager), Doug Trapp (Grocer), Dylan Minnette (High School Henry), Elena Kampouris (Young Rachel McCann), Lauren Kelly (Teenage Rachel McCann), Dakota Shepard (Wife of Older Henry), Sarah Fischer (Budweiser 80's Girl), 111 Min., Kinostart: 8. Mai 2014

Jason Reitman, der Sohn des Ghostbusters-Regisseurs Ivan, hatte zwei große Erfolge mit Originaldrehbüchern von Diablo Cody (Juno, Young Adult), die sich jeweils dezidiert um weibliche Schicksale drehten. Doch abgesehen von dieser glücklichen Verbindung schreibt er seine Drehbücher selbst, nach Buchvorlagen. Diesmal stammt auch die Literaturvorlage von einer Autorin, doch die Erzählerfigur ist ein etwa 12jähriger Junge, und dies führt zu einer erzählerischen wie inszenatorischen Zerreißprobe zwischen der Perspektive eines pubertierenden Jungen, die angesichts des Zeitpunkts der Geschichte auch von der nostalgischen Verklärung des exemplarischen Jahres 1987 in der Biographie des Regisseurs erzählt, und der allzu typischen Frauenfantasie, mit der Joyce Maynards Roman sich offenbar bei vielen Leserinnen anbiedert.

Henry (Gattlin Griffith, der schon den Sohn von Angelina Jolie in Changeling und den jungen Hal Jordan in Green Lantern spielte) lebt zusammen mit seiner geschiedenen Mutter Adele (Kate Winslet), die offensichtlich psychische Probleme hat. Seit der Trennung vom inzwischen neu verheirateten Familienvaters Gerald (Clark Gregg, bekannt als »Philip, son of Coul« aus Marvel-Werken wie The Avengers und Agents of S.H.I.E.L.D.) lebt sie zurückgezogen, zu Beginn des Labor-Day-Wochenendes sieht man Henry exemplarisch einen Scheck einlösen (die Bankangestellte erkundigt sich vermutlich gewohnheitsmäßig, wie es der Kontoinhaberin geht), und nur einmal im Monat zwingt sich Adele, mit dem unzuverlässigen Auto zum Supermarkt zu fahren, um Vorräte anzuhäufen. Als Henry mal kurz zum Zeitschriftenstand will, um nach Comics zu schauen (und auf dem Weg mit großen Augen auf einige Hochglanzmagazine zu starren), ist für Mutter wie Sohn klar, dass dies auch eine Art Therapie für die von der Welt überforderte Mutter ist, und Adele bittet ihren Sohn, nicht zu weit wegzugehen (der Film erklärt später ausführlich, warum Adele es nicht mehr ertragen kann, mit bestimmten Aspekten des normalen Lebens konfrontiert zu werden, und im Nachhinein macht ihre Absonderlichkeit durchaus Sinn und ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte).

Nun kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung, denn Harry wird von dem aus dem Gefängnis (bzw. einem Krankenhaus wegen Blinddarmvorfall) ausgebrochenen Frank (Josh Brolin, wie geschaffen für diese Rolle) mit sanftem Druck dazu gebracht, seine Mutter als »Mitfahrgelegenheit« klarzumachen. Im subtilen Zusammenspiel der Blicke zeigt der Film seine größte Stärke, in angedeuteten Drohungen, die aber immer zweideutig bleiben, in Augen, die Sachverhalte erkennen oder zu kommunizieren versuchen.

Um es kurz zu machen: Frank verbringt ein Wochenende als der sanfteste Kidnapper der Welt mit Adele und Henry, und darf dabei unter anderem demonstrieren, das er alle Charakteristika eines echten Traummanns mit sich bringt. Er kann tanzen, er kann kochen und er versteht es, mit Kindern umzugehen (neben Henry wird auch mal für einige Stunden der behinderte Barry »abgegeben«, ein absolutes Kernstück des Films, die besten zehn bis 15 Minuten). Aus der Sicht von Henry, dessen Welt zuvor vor allem aus Mad, Cracked, Captain Atom, The Empire Strikes Back und Außerirdischen von Steven Spielberg bestand, wirft der Blick auf eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die sich neben den vorsorglich unterdrückten, aber noch wahrnehmbaren Sexgeräuschen in der Nacht (»as their evening discussion dissipated ...«) vor allem über klischeehafte, sinnliche Momente erzählt. Zärtliche Hände fesseln Adele und anfänglich füttert Frank Adele noch mit (selbst zubereitetem) Chili con carne (selbst die Menüauswahl trieft nur so von Anspielungen). Direkt von der »Löffelchen«-Szene folgt eine Schnittkante zu einem »Aufklärungsgespräch« zwischen Mutter und Sohn (»I was hoping your father would tell you everything about sex ...«), infolge dessen Adele auch noch kulinarische Metaphern benutzt: »There's another kind of hunger. The hunger for human touch.« Und der Film bleibt auf dieser Schiene. Früchte werden geschält / »entblättert«, man bestäubt sich mit Mehl oder knetet den Teig mal so richtig durch. Und wenn die »überreifen« Pfirsiche dem Kuchenteig überantwortet wurden, verkommt selbst noch das Anbringen der notwendigen Luftlöcher für den Backvorgang zu einer allegorischen Penetration &hellip:

(Und ich bin mir durchaus dessen bewusst, dass es – in Unkenntnis der Buchvorlage – unfair ist, diesen Einfluss automatisch auf die Buchautorin zu schieben, wo ja Drehbuchautor und Regisseur Reitman da noch einiges hätte ändern können. Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass ein Zaunpfahl ein eher phallisches Instrument ist, und Joyce Maynard trifft nur eine Mitschuld.)

Weitaus interessanter als die ganze Knutschi-Schmusi-Kiste (übrigens auch umgesetzt wie eine Nicholas-Sparks-Verfilmung, mit Sonnenstrahlen und »Flares« wie in der Werbung, und mit einem reichlich penetranten und immer überdeutlichen Soundtrack von Rolfe Kent versehen) erscheint aus meiner Sicht übrigens Franks Vergangenheit. Wie man recht früh erfährt, war er immerhin zu 18 Jahren wegen Mordes verurteilt, und das scheint sich zu beißen mit seiner Versicherung »I've never intentionally hit anyone in my life«. So wie Adeles Vorgeschichte wird auch Franks erst nach und nach (in Flashbacks) geliefert, und die Informationsvergabe sowie die Spannungsdramaturgie und auch der Einsatz mancher cleverer Parallelmontage zeugen durchaus davon, dass Reitman und / oder Maynard ihr Handwerk verstehen.

Es folgt ein Absatz mit Spoiler-Alarm. Ich will es mal so sagen: Wenn ich nicht beim Vorspann gesehen hätte, dass der Film nach dem Roman einer Frau entstand, und die Szenen, bei denen eigentlich nur das gemeinsame Töpfern aus Ghost fehlte, nicht alle meine Vorurteile aufs Kräftigste untermauerten, hätten einige spannende Konfliktmomente später im Film durchaus das Potential gehabt, dass aus dem Film eine erbarmungslose Tragödie hätte werden können. Insbesondere zwei Szenen, in denen ein männlicher Protagonist jeweils allein ist mit einer potentiellen »Verräterin«. Aber stattdessen vertraut man trotz eines gewissen Kribbeln doch auf ein zumindest ansatzweises Happy End.

Labor Day bleibt leider hinter seinem Potential zurück. Es gibt tolle subtile Momente, und eine nicht beantwortete offensichtliche Frage, die am Schluss zurückbleibt, ist die größte Stärke der Geschichte, aber zumeist ist wirklich alles über-über-überdeutlich ausformuliert. Als Henry noch seine Bemühungen schildert, seine Mutter zu unterstützen, bastelt er etwa ein Gutscheinheft, »Husband for a Day« betitelt, mit dem er seiner Mutter als »Handyman« (huch, ich hatte oben gar nicht erwähnt, dass Frank natürlich auch noch ein Bilderbuch-Handwerker und versierter Automechaniker ist) zur Seite stehen will oder sie gar mal »auf ein Date« (Kinobesuch zu D.A.R.Y.L.) einlädt. Doch selbst hier wird dann unmissverständlich ausgesprochen, dass Henry (zumindest retrospektiv) den Umstand seiner »terrible inedequacy« begreift. Und leider versetzt der Film seine Zuschauer durch diese Behandlung nicht nur in die Situation von Zwölfjährigen, die über die Dinge zwischen Männern und Frauen noch einiges zu lernen haben, sondern stuft das Verständnis-Niveau der Kinogänger eigentlich noch unterhalb an. Wer kein Problem damit hat, mehrfach behandelt zu werden wie ein Grundschüler, dem (oder wahrscheinlicher: der) sei dieser Film empfohlen, doch für mich bleibt Labor Day nur ein interessanter Ansatz, dessen Potential aber nur zu etwa 60% ausgeschöpft wird. Zugunsten der romantisch-sinnlichen Idealvorstellung eines typischen »chick flick«.


Extra recherchiert:

In den USA ist der »Labor Day« immer der erste Montag im September (somit ist es auch kein riesiges Versäumnis, dass der Film in den deutschen Kinos am 8. Mai, also exakt eine Woche nach dem deutschen »Tag der Arbeit«, anläuft).

Jason Reitman ist Jahrgang 1977, war also zum entsprechenden Zeitpunkt im Film 10, während Henry zumindest im Buch gerade 13 geworden ist (im Film erfährt man nur, dass er in der siebten Klasse ist, aber auf die sechste geschätzt wird). So oder so wirkt er eher früh- bis präpubertär. Die Darstellerin von Mandy (das erste Mädchen, das ihn küsst) war bei den Dreharbeiten etwa 19, bei Gattlin Griffith gibt es auf imdb keine konkreten biographischen Daten, aber vermutlich war er auch schon volljährig.

Ob es möglich war, Close Encounters of the Third Kind schon 1987 im US-Fernsehen zu sehen, und ob man seinerzeit schon regionale Nachrichtensendungen auf einer Bildhälfte laufen ließ, während noch der Nachspann zu sehen war, habe ich nicht gecheckt, halte es aber für fragwürdig.