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20. Mai 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Enemy (Denis Villeneuve)
Enemy (Denis Villeneuve)
Enemy (Denis Villeneuve)
Bildmaterial: Capelight Pictures
Enemy (Denis Villeneuve)
Enemy (Denis Villeneuve)
Enemy (Denis Villeneuve)


Enemy
(Denis Villeneuve)

Kanada / Spanien 2013, Drehbuch: Javier Gullón, Lit. Vorlage: José Saramago, Kamera: Nicolas Bolduc, Schnitt: Matthew Hannam, Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans, Production Design: Patrice Vermette, Art Direction: Sean Breaugh, Set Decoration: Jim Lambie, mit Jake Gyllenhaal (Adam Bell / Anthony Claire), Mélanie Laurent (Mary), Sarah Gadon (Helen), Isabella Rossellini (Mother), Joshua Peace (Teacher at School), Tim Post (Anthony's Concierge), Misha Highstead, Megan Mann, Alexis Uiga (Ladies in the Dark Room), Kedar Brown (Security Guard), Darryl Dinn (Video Store Clerk), 90 Min., Kinostart: 22. Mai 2014

Auch wenn dieser Film quasi danach schreit, entschlüsselt zu werden (Anfangseinblendung: »Chaos is merely order waiting to be deciphered«), verweigere ich mich den diversen Interpretationsansätzen, weil manche Filme (Mulhulland Drive, 2001 – A Space Odyssey) mindestens genauso interessant sind, wenn man einfach mal zwei von drei Fragen, die sie stellen, offen lässt.

So oder so scheint aber die Einstiegsszene besonders mysteriös und vom weiteren Geschehen losgelöst und somit für etwaige Interpretationsversuche unumgehbar: Jake Gyllenhaal, der in diesem Film zwei Figuren spielt (und wenn man Enemy mehrfach gesehen hat, kann man vielleicht auch entscheiden, welche davon er hier darstellen soll – falls man sich in dieser Frage unbedingt entscheiden muss und überhaupt soll), wandert durch die düsteren Korridore eines Etablissements, das an die sektenmäßige Sexparty in Kubricks Eyes Wide Shut erinnert. Offensichtlich geht es hier um die Befriedigung sexueller Gelüste (auch wenn sich alles auf einer rein voyeuristischen Ebene abzuspielen scheint), und in Anbetracht der folgenden anderthalb Stunden wirkt es besonders bedeutsam, dass eine der Damen, die hier zur Erregung eines männlichen Publikums eine Show abzieht, offenbar hochschwanger ist, und eine gut faustgroße Tarantel eine Rolle spielt, »serviert« in einer silbernen Käseglocke und mit sexuell aufgeladener Energie involviert in reichlich krank wirkende erotische Machtspiele.

Im weiteren Verlauf des Films wird der unsicher wirkende Geschichtsdozent Adam Bell (Jake Gyllenhaal) auf einen mysteriösen Doppelgänger treffen, es gibt einen angedeuteten Machtkampf um die beiden Frauen, wovon die eine (Sarah Gadon) hochschwanger ist, und das alptraumhafte Symbol der Spinne (und einmal auch des unentrinnbaren »Netzes«) taucht diverse Male im Film auf, eigentlich jedes Mal in einer anderen Gestalt, darunter als selbst Godzilla überschattende Silhouette über der Skyline oder als »Spinnenkopf« auf einer nackten Frau (je mehr man bei diesem Film an David Cronenberg denkt, umso mehr Parallelen findet man). Auf die letzten beiden Spinnenbilder (sorry, ich werde da nicht ins Detail gehen) passt vielleicht auch eines der durch die vorherrschende Dialogarmut in seiner Bedeutung überhöhtes Zitat zur Natur der Geschichte: »Everything happens twice: first as tragedy, then as farce«.

Verglichen mit den Traumbildern von Spinnen (ob sie nun für Bedrohungen, Lüste oder die Paarungsdynamik einer »Schwarzen Witwe« stehen) wirkt die restliche Handlung relativ gesehen gar nicht so abstrus: Adam führt eine offenbar emotionslose und gesprächsarme, ganz auf Sex aufgebaute Beziehung mit Mary (Mélanie Laurent), durchlebt ebenso mechanisch, aber mit einer zumindest ansatzweise zu erkennenden Begeisterung seinen Dozentenjob und stößt trotz eines ausgeprägten Desinteresses an Filmen auf einer rätselhaften DVD (vergleiche Lost Highway, auch so ein Film, den ich bevorzugt ganz auf der Traumebene betrachte) auf einen Doppelgänger, den eher erfolglosen Schauspieler Anthony Claire (Künstlername: Daniel St. Claire, in José Saramagos Romanvorlage spielen Namen eine große Rolle, auch wenn der Film eher frei darauf basiert), der hier eine von drei Komparsenrollen als Page spielt.

Der Doppelgänger teilt nicht nur das Gesicht, sondern auch Stimme und Handschrift mit Bell, unterscheidet sich aber im Charakter stark von der Hauptfigur des Films: mit einem dominanten »Bad Boy«-Gehabe rast er auf einem Motorrad durch das sehr in die Atmosphäre des Films involvierte Toronto; wo Adam eher zögerlich das Geheimnis erkunden will, reißt Anthony sehr aktiv die Initiative an sich. Relativ schnell wird auch klar, dass die beiden Frauen sich ebenfalls sehr unterscheiden (auch, wenn sie sich äußerlich vom Typ ähneln), und auch, wenn der Film die von Mélanie Laurent gespielte Mary nicht detailliert untersucht, drängt sich der Eindruck auf, dass ein »Frauentausch« die Paare vielleicht besser zueinander passend umsortieren würde. Auf verschlungenen Pfaden nähert sich der Film diesem Ansatz, wobei die Interaktion Adams mit Sarah Gadon (meines Erachtens vielleicht die Schauspielentdeckung des Jahres, auch wenn sie bei Cronenberg bereits in drei aufeinanderfolgenden Filmen auftrat, also kein kompletter Neuling ist) den romantisch-emotionalen Kern eines Films darstellt, der fast durchgängig eine oppressive Atmosphäre evoziert. Aus den durchgehend grauen und gelben Bildern gibt es nur bei dem »Film im Film« einen kurzen Ausbruch mit einem künstlich wirkenden Rot, das urbane »Gefängnis« wirkt zwar sehr »stylish« (neben Cronenberg und Lynch erinnerte es mich auch an den Oberflächenreiz von Jonathan Glazers Birth), aber man kann dieser Umgebung nicht entkommen, wozu auch das Bild des »Netzes« passt und die umstrittene Schlussszene, die man ähnlich schon bei Hochhäusler (hier schmiegt sich der Name an) und natürlich Antonioni sah.

Enemy ist sicher kein Film für Jedermann (oder -Frau), aber wer sich zurücksehnt an das Kino der 1980er, an die wabernden Abgründe der bereits genannten Regisseure dieser Zeit, wer kafkaeske Desorientierung oder ein leichtes Gruselgefühl bzw. alptraumhafte dunkle Atmosphäre mag, wird den Kinobesuch sicher nicht bereuen. Ich bin mir sicher, dass man Denis Villeneuve spätestens in den 20er Jahren zu den drei bis fünf wichtigsten kanadischen Regisseuren zählen wird. Und nicht etwa James Cameron (schudder!).