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13. Juni 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Jasmin (Jan Fehse)
Jasmin (Jan Fehse)
Bildmaterial © Camino Filmverleih
Jasmin (Jan Fehse)
Jasmin (Jan Fehse)


Jasmin
(Jan Fehse)

Deutschland 2011, Buch: Christian Lyra, Kamera: Jan Fehse, Schnitt: Ulrike Tortora, Musik: Andreas Helmle, Production Design: Anette Ingerl, mit Anne Schäfer (Jasmin), Wiebke Puls (Dr. Feldt), 120 Min., Kinostart: 14. Juni 2012

Als Mutter dein Kind zu töten, ist kulturell anerkannt eines der schlimmsten überhaupt denkbaren Verbrechen. Und deshalb gibt es auch immer wieder Filme, die versuchen, diesen psychischen Abgrund auszuloten. In Jasmin geht es um so einen Fall, und trotz der Behandlung dieses Themas in Spielfilmform lässt man es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass Jasmin auf »wahren Tatsachen« beruht (auch ein schöner Pleonasmus), denn die Geschichte wurde umfassend aus »realen, existierenden Fällen« recherchiert. Manchmal ist das unerbittliche Pochen auf ein Detail die schönste Sabotage überhaupt, und wenn man mehrere Fälle zusammenfasst, was hat das dann noch mit der »Wahrheit« zu tun? Jeder Fall sollte doch für sich stehen.

Interessant an Jasmin ist die Form des Films, der größtenteils in einem »Sprechzimmer« in einem Gefängnis spielt, wo eine Psychiaterin auf die Mitarbeit der Angeklagten hofft, und - um das Ganze zu verschärfen - diese Psychiaterin durch eine begonnene Schwangerschaft noch eine besondere Beziehung zum Fall hat (auch, wenn sie Wert darauf legt, sich neutral und unvoreingenommen anzunähern).

So ein Film braucht ein überzeugendes Drehbuch und überzeugende Darsteller, und hin und wieder eine gute inszenatorische Idee schadet auch nicht. Ziemlich großartig war etwa Götz George als Der Totmacher. Drehbuchautor und Darstellerinnen in Jasmin geben sich redlich Mühe (ich finde, es wird zu oft gelächelt, aber das macht psychologisch wahrscheinlich Sinn), und der Film hat auch durchaus einen gewissen Sympathiebonus, der lange anhält. Aber nicht ewig. Es sind vor allem Kleinigkeiten, die stören. Die schwer nachzuvollziehende Beleuchtung, bei der man manchmal nicht weiß, warum eben noch Nacht und jetzt Tag draußen ist. Das (sicher psychologisch fundierte) quälend langsame Einsteigen ins Gespräch (»Das kann ich ihnen nicht erzählen, weil sie sonst denken, ich bin verrückt!«), das sich lange Zeit immer wieder darum dreht, ob Jasmin ihre Anti-Depressiva nimmt und sie immer wieder verspricht, dies und jenes zu tun - und man als Zuschauer gänzlich an den Gesichtern der Darsteller (die natürlich als Figur Grund zu lügen haben) ablesen soll, was jetzt »Sache« ist - obwohl es dann letztendlich auch keine große Rolle spielt.

Jasmin (das die Täterin so heißt, erfährt man nirgends im Film, aber Presseheft und Plakat sind sich da ziemlich sicher) erzählt quasi ihr gesamtes Leben, und die Informationsvergabe ist mitunter relativ deutlich. »Bis ich sechs war, habe ich im Bett meiner Eltern geschlafen.« »Vater starb, als ich sechs war.«

Das geht dann bei den beiden Freunden so weiter. Geringfügig paraphrasiert: »Tom erinnerte mich an Papa.« »Und er war krank.« »Benno erinnerte mich an Papa.« »Und er war krank.« Wer jetzt auf einen psychoanalytischen Durchbruch lauert, bei dem sich die Misshandlung durch den Vater herausstellt, wird glücklicherweise enttäuscht. Denn die Macher von Jasmin waren immerhin clever genug, der Geschichte ihre Ambiguität zu belassen.

Das Spannendste an Jasmin waren für mich weitere Details. Tom ist Sänger der Band »Lady Godiva«, und laut Wikipedia gab es tatsächlich eine deutsche Band (bis 2006), die so hieß (aber vermutlich nie auf Tour in Frankreich war), und in der tatsächlich ein Thomas Rünker gesungen hat.

Scheinen aber alles Zufälle zu sein. Mich würde auch interessieren, warum der Film einen Musik-Credit hat (siehe Stabangaben), ich mir aber erstaunlich sicher bin, dass man nie im Film Musik hört (es gibt mal eine Straßenszene, aber selbst da war meines Erachtens nix, und wenn doch, würde ja eher diegetische Musik sinnvoll sein, also irgendein Gedudel aus einem Autoradio oder so).

Wer Jasmin sieht, wird danach nicht wirklich mehr über Kindsmörderinnen wissen. Vielleicht etwas mehr über Psychoanalyse oder Kaffeesucht. Aber trotz der guten Absichten des Films und des Wagnis der Filmemacher wirkt der Streifen auf mich irgendwie ein bisschen überflüssig. Da ist die Doku Die Kinder sind tot (die auch keine wirklichen Antworten liefern kann) immerhin wirklich »echt«, »real«, »tatsächlich«, »wahr« oder wie das heißt. Ich bin übrigens ganz sicher nicht der einzige Kinobesucher Deutschlands, der beim Spielfilm-Hinweis »beruht auf wahren Begebenheiten« die Erwartungen bereits zweieinhalb Drehungen herunterschraubt.