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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




14. Juli 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Männer al dente (R: Ferzan Ozpetek)
Männer al dente (R: Ferzan Ozpetek)
Männer al dente (R: Ferzan Ozpetek)
Bildmaterial © 2010 PROKINO Filmverleih GmbH
Männer al dente (R: Ferzan Ozpetek)
Männer al dente (R: Ferzan Ozpetek)
Männer al dente (R: Ferzan Ozpetek)


Männer al dente
(R: Ferzan Ozpetek)

Originaltitel: Mine vaganti, Italien 2010, Buch: Ivan Cotroneo, Ferzan Ozpetek, Kamera: Maurizio Calvesi, Schnitt: Patrizio Marone, Musik: Pasquale Catalano, mit Riccardo Scarmacio (Tommaso Cantone), Nicole Grimaudo (Alba Brunetti), Alessandro Preziosi (Antonio Cantone), Ennio Fantastichini (Vincenzo Cantone), Lunetta Savino (Stefania Cantone), Elena Sovia Ricci (Tante Luciana), Ilaria Occhini (Großmutter), Carolina Crescentini (junge Großmutter), Bianca Nappi (Elena - die Schwester), Massimiliano Gallo (Salvatore, Elenas Mann), Gea Martire (Patrizia, Vincenzos Geliebte), Carmine Recano (Marco), Daniele Pecci (Andrea), Gianluca De Marchi (Davide), Mauro Bonaffini (Massimiliano), 116 Min., Kinostart: 15. Juli 2010

Die Grundidee ist vielversprechend. Der Sohn eines Nudelfabrikanten hat seine Lebenslüge(n) satt. Er studiert gar nicht BWL, sondern Literatur, will die Familienfirma nicht übernehmen, und sein Coming-Out will er auch gleich noch bei einem großen Familien-/Geschäftsessen an den Mann bringen. Stolz erzählt er seinem großen Bruder von diesem Plan, der ihm dann bei der Gelegenheit mit dessen eigenem Coming-Out zuvor kommt, und um nicht das Leben des aufgebrachten Patriarchen zu riskieren, der Antonio umgehend aus der Familie verstieß und einen Infarkt erleidete, muss Tommaso weiterhin den artigen Hetero-Sohn spielen.

Was er dabei im Vorlauf des Films über seine verlogene Familie und dem ihm selbst (vorerst?) ersparten Schicksal erfahren muss, ist auch durchaus interessant, aber der Film hat einige Schwächen, die gerade angesichts des Themas einiges zunichte machen.

Im ersten Drittel des Films stellt sich so etwa der Eindruck ein, dass die thematisierte Homosexualität gänzlich nur »behauptet« ist, und in der Inszenierung des Films keinerlei Platz einnimmt. Beide Brüder bewegen sich eher asexuell als schwul durch den Film, selbst das verkniffenste viktorianische Theaterstück eines Oscar Wilde, das solche Themen nicht direkt aussprechen würde, ist verglichen mit Mine vaganti risikobereit und innovativ.

In den anderen zwei Dritteln des Films ändert sich dies glücklicherweise, doch dies in einer Bewegung, die von einem Extrem zum anderen prescht. Wenn Tommasos überdeutlich schwule Freunde die Familie besuchen, entwickelt sich der Film zu einer grellen Burleske, die vor allem vorführt, wie blind die Familie offensichtlichen Anzeichen gegenübersteht. Dies hat zwar erneut eine durchaus ernstzunehmende Aussage, doch wenn man eine halbe Stunde Homosexualität quasi als Ellipse kultiviert, und diese Lücke dann mit bunten Paradiesvögeln auffüllt, so ist das zumindest eine sehr eigentümliche und nicht unbedingt durchdacht wirkende Inszenierungsstrategie.

Vor allem, wenn man dann noch den gutaussehenden Hauptdarsteller mit einer ebenso attraktiven Darstellerin quasi wie ein Traumpaar inszeniert, das trotz aller eindeutigen Anzeichen und dem interpersonellen Verständnis um die sexuelle Orientierung die Rezeption als »heilende« heterosexuelle Liebe jederzeit denkbar erscheinen lässt und für ein weniger progressives Publikum die Flucht in die heile Hetero-Welt fast durchgehend ermöglicht.

Und je seltsamer das vermeintliche Thema des Films behandelt wird, umso weniger überrascht es dann, wenn der Film sich gegen Ende plötzlich um ein zuvor nur am Rande ins Spiel gekommenes früheres Familiengeheimnis kümmert (übrigens streng heterosexuell), und für ein hierfür zumindest angedeutetes Happy End des »Seelenzustands« die Inszenierung wie bei einer Zeitreise sehr wohl in den Griff bekommt.

Mine vaganti hat viele gute und begrüßenswerte Ansätze, aber als Ganzes kann der Film nicht überzeugen. Weder als Psychogramm einer Familie (heutzutage bedienen sich einfach zu viele Filme am narrativen Kniff von Thomas Vinterbergs Festen), noch als traditioneller / quasi historischer Ensemblefilm (zu sehr bleiben die einzelnen Figuren Abziehbilder) - und schon gar nicht als Komödie (wie sagt doch Griffin Dunne im Pornokino in An American Werewolf in London? »Ich hab’ schon mehr gelacht.«). Weniger und gezielter wäre hier mehr gewesen.