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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




1. Juni 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Castle – die komplette erste Staffel
Castle – die komplette erste Staffel
Castle – die komplette erste Staffel
Bildmaterial © 2010 ABC Studios
Castle – die komplette erste Staffel
Castle – die komplette erste Staffel
Castle – die komplette erste Staffel
Castle – die komplette erste Staffel


* Das Autorenteam von Castle scheint von Dennis Lehane insbesondere beeinflusst zu sein. In Episode 8 wird ein Laden namens “Lehane’s” erwähnt, und nicht geringe Teile von Episode 5 (Gespräch im Auto gegen Ende) und 9 (komplette Ausgangsposition und Teile der Auflösung) scheinen klar von Gone Baby Gone “inspiriert”.


Castle
Die komplette erste Staffel

USA 2009, Series Creator: Andrew W. Marlowe, Regie: Rob Bowman (Episode 1, 3, 4), Bryan Spicer (5, 8, 10), John Terlesky (2, 9) u. a., Kamera: Bill Roe u. a., Schnitt: Marta Evry, Warren Bowman u. a., Musik: Robert Duncan, mit Nathan Fillion (Richard Castle), Stana Katic (Detective Kate Beckett), Molly Quinn (Alexis Castle), Susan Sullivan (Martha Rodgers), Jon Huertas (Javier Esposito), Seamus Dever (Kevin Ryan), Ruben Santiago-Hudson (Captain Roy Montgomery), Tamala Jones (Lanie Parish), Bailey Chase (Will Sorenson: 9, 10), weitere Gaststars: Dan Castellaneta (Judge Markway: 1, 8), Joseph C. Phillips (Mayor: 8), Stephen J. Cannell (1), Keir Dullea (1), James Patterson (1), Robert Picardo (10), Episodenlänge: ca. 40 Min. (60 Min. mit Werbung im TV), Gesamtlänge: 456 Min.

Die Idee eines gemischtgeschlechtlichen Ermittlerpaars ist nicht eben brandneu. Aus Dashiell Hammetts The Thin Man wurde eine (im Vergleich zur Romanvorlage erstaunlich harmlose) Serie von Spielfilmen, das ermittelnde Ehepaar fand dann sogar eine Serie, deren deutscher Titel die zwei Seiten des Subgenres sehr gut zusammenfasst: Hart aber herzlich (Originaltitel: Hart to Hart).

Auch bei The Avengers (dt.: Mit Schirm, Charme und Melone) wurde die Möglichkeit eines Abgleiten der Paarbeziehung ins (unlautere) Horizontale ganz einfach dadurch umgangen, dass der Familienstand von “Mrs. Peel” gefühlt mindestens einmal pro Episode erwähnt wurde. Dass die scharfen Lackkostüme und geschmeidigen Kampfsportbewegungen von Emma Peel die Fantasie der Zuschauer (und Steeds) dennoch beflügeln, war nach dieser Vorsichtsmaßnahme dann sozusagen sanktioniert.

Später stellte die Andeutung von vorehelichem Sex kein großes Problem mehr da, und es knisterte gewaltig bei Remington Steele, Moonlighting (dt.: Das Model und der Schnüffler) oder The X-Files (abgesehen von einigen thematischen Story-Arcs auch sehr krimiähnlich). Durch die immer im Raum stehende Frage “Wann tun sie es endlich?” wurde diesen Serien über das Episodenziel, den Verbrecher oder Außerirdischen zu stellen, hinaus eine Spannung verliehen, die nicht nur das traditionelle Krimipublikum an den Fernseher fesselte. Das große Problem eines solchen Soap-Opera-Effekts war jedoch seit Anfang an, wie man entweder a) die Spannung (oder Ungewissheit) des ungezeigten Aktes aufrecht erhält oder b) nach dem Beischlaf nicht plötzlich einen Großteil des Publikums verliert. Im Grunde also eine Variation der Status-Quo-Frage, die fast jede Serie bewegt oder in Stasis verharren lässt.

Nicht nur das Geplänkel zwischen (verheirateten wie unverheirateten) gemischtgeschlechtlichen Ermittlerpaaren verweist natürlich auf die klassische Screwball-Comedy und somit im Bereich Film eine Urform der Romantic Comedy, auch die sich über diverse Staffeln hinzuziehende erotische Spannung, die in den wenigsten Fällen durch eine Heirat aufgehoben (oder fortentwickelt) wird, zeigt die Verwandtschaft zur RomCom und Telenovela. Eine sehr elegante (auch, weil nicht ewig in die Länge gezogene) Entwicklung einer solchen Beziehung kann man übrigens in den ersten fünf Romanen von Dennis Lehane* nachverfolgen (es beginnt mit A Drink before the War), von denen leider dummerweise bisher nur der vierte verfilmt wurde, was gewissermaßen eine Sabotage der ersten drei Bücher darstellt.

Kommen wir endlich zur besprochenen Serie, Castle, in der ähnlich wie in Remington Steele und Moonlighting ein Paar nicht gleichberechtigter Ermittler gezeigt wird, sondern man mal wieder mit einem Twist arbeitet, um vom bisher noch nicht völlig abgeflauten Interesse an Krimiserien wie CSI zu profitieren. Richard Castle ist ein Bestseller-Krimiautor, der in der Pilotepisode aufgrund von Morden, die seinen Büchern nachempfunden sind, in einer Polizeiermittlung eine beratende Funktion einnimmt und dabei a) offensichtliches Interesse an Detective Kate Beckett entwickelt, b) nach der Tötung seines Buchserienhelden “Storm” plötzlich in eine Schreibblockade gerät, und deshalb c) seine freundschaftliche Beziehung zum Bürgermeister von New York dazu verwendet, fortan aus “Recherchegründen” Detective Beckett bei ihrer Ermittlerarbeit begleiten zu dürfen.

Ähnlich wie bei den X-Files gehen die beiden unterschiedlich an die Fälle heran, ergänzen sich dabei aber sehr gut. Während Beckett und ihre Ermittler ermitteln, versucht Castle vor allem, die Kriminalfälle in Buchideen umzusetzen (“That’s too easy. The reader would never buy it.”) und kommt dadurch mitunter auf absurde Ideen, die bei der Ermittlung zumindest weiterhelfen. Andererseits hat er aber auch noch viel zu lernen (Beckett: “In my experience, innocent people don’t prepare alibis.”), und somit profitieren beide von der Partnerschaft.

Der Zuschauer profitiert natürlich auch, vor allem, weil es nicht nur um die Kriminalfälle geht, sondern die Serie vor allem von den Figuren zehrt. Das andauernde Geplänkel zwischen den Hauptfiguren profitiert von den liebenswerten Darstellern. Nathan Fillion konnte uns u. a. schon als Malcolm Reynolds, Dr. Pomatter und Captain Hammer verzücken, und Stana Katic sieht nicht nur verteufelt gut aus, sie ergänzt ihn mit ihrer subtileren Art von Mimik und Humor auf exzellente Weise.

Die Nebenfiguren müssen dagegen etwas hintenanstehen, und werden vor allem als Pointengeber und Wiederholer von Plotdetails missbraucht. Castles aus seiner Mutter Martha und seiner 14/15-jährigen Tochter Alexis bestehende Familie hat dabei aber offensichtliches Potential. Die Mutter erinnert ein wenig an die Mutter aus Two and a Half Men, aber in einer “Light”-Version. Die Tochter hingegen (und ihre Beziehung zum Vater) wirkt fast ein bißchen zu perfekt (einmal hat sie fast einen Nervenzusammenbruch, als sie ihrem Vater gesteht, dass sie - eher gedrungenermaßen - schwarz gefahren ist). Doch das Damokles-Schwert mit Namen “Owen” dürfte hier in späteren Staffeln noch einiges an Konfliktmöglichkeiten offenbaren, Alexis immer nur dabei zu beobachten, wie sie ihren Vater auf gute Ideen bringt, ist nicht unbedingt abendfüllend.

Das Ermittlerteam um Detective Beckett besteht vor allem aus ihrem Captain (Standardspruch in Variationen: “Schnappen Sie den Kerl, bevor er mehr Leute umbringt!”) und zwei wenig ausformulierten “Helfern”, die immer jene Jobs erledigen (Akten durchsuchen, Zeugen befragen, die dann Fall nicht voranbringen), die dramaturgisch uninteressant sind. Wie schon die Namen Kevin Ryan und Javier Esposito implizieren, sollen die beiden sich vor allem unterscheiden, und im Bonusmaterial kann man hören, dass die Unterschiede die beiden als Paar sozusagen definieren. Dabei können sie sich aber als Einzelpersonen nicht wirklich auszeichnen.

Relativ häufig taucht auch die Pathologin Laney auf, die als “girlfriend” den fehlenden Background zur alleinlebenden und verwaisten Kate Beckett bietet.

Die Origin-Story Becketts (warum sie trotz Elite-Ausbildung Cop wurde) bietet ähnlich wie das Verschwinden von Fox Mulders Schwester eine langsam ausgeweitete Hintergrundgeschichte, die nach nur zehn Folgen auch zum serientypischen Cliffhanger-Ende führt.

Dass die erste Staffel nur zehn Folgen hat (Staffel 2 = 26 Episoden), wird von der DVD-Verpackung nicht unbedingt herausgeschrien. Zwar kann man auch von Außen erkennen, dass der Inhalt aus drei DVDs besteht, aber weder die Anzahl der Episoden noch die Gesamtlänge in Minuten ist irgendwo angegeben, was schon ein bißchen in Richtung Mogelpackung geht. Das Bonusmaterial ist immerhin ein kleiner Trost: Vier Audiokommentare (zu drei Folgen), das übliche Making-Of, ein Interview-Featurette mit Creator/Autor Andrew W. Marlowe, Mitproduzent/Regisseur Rob Bowman und dem “Paten” der Serie, Stephen J. Cannell, der dann auch gleich bei einem kleinen humorigen Filmchen über die Vorbereitung Nathan Fillions die Rolle des Bestseller-Autoren gibt.

Bei den ersten zwei Staffeln von Castle wurden zwei Drittel der Episoden von drei sich abwechselnden Regisseuren gedreht, was durchaus hilfreich ist. Dennoch fallen in den ersten zehn Folgen bereits einige wiederkehrende dramaturgische Prinzipien auf, von denen das Auffinden einer möglichst interessant aussehenden Leiche in der allerersten Sequenz (zumeist mit auffälliger zeitgenössischer Musik) wohl der heutigen Konkurrenzsituation von TV-Serien verschuldet ist.

Dass die fast durchgehend in L.A. gedrehte Serie in New York spielen soll, wird beim Durchschalten der Kapitel schnell zu einem kleinen Scherz, denn viele Kapitel beginnen mit quirligen Stadtansichten oder prominent aufgestellten Autos mit Aufschrift NYPD. Wenn dann jedoch eine Episode sogar größtenteils im Central Park spielt, sieht man schon ein gewisses Problem. Vor allem, weil es kaum einen nachvollziehbaren Grund gibt, warum die Serie nicht einfach in Los Angeles spielen sollte (außer natürlich, das New York mehr Zuschauer anzieht, die dort wohnen).

Co-Produzent und Regisseur Rob Bowman ist mir schon von diversen Folgen von Star Trek: The Next Generation und The X-Files bekannt. Bei TNG drehte er auffallend viele Folgen um den Androiden Data (und seinen “Bruder” Lore), und - was für ein Zufall! - so wie auf der Enterprise gerne gepokert wurde und Data im Holodeck versuchte, Isaac Newton, Albert Einstein und Stephen Hawking auszubluffen, so spielt Castle nicht nur mit Beckett und ihren Ermittlern bzw. Vorgesetzten, sondern auch mit Mystery-Autoren wie dem bereits erwähnten Stephen J. Cannell, James Patterson oder (zweite Staffel) Michael Connelly.

Anhand von Castles diversen Bestsellern (“26, but who’s counting?”) erhält man auch einen gewissen Einblick in seinen “anderen” Job, der in der Serie natürlich weitaus weniger Zeit in Anspruch nimmt. Detective Beckett ist seit längerem ein Fan, versucht dies aber vor Castle geheimzuhalten, und auf einer Lesung (widersinnigerweise liest Castle die Stelle vor, in der Derrick Storm, Held diverser seiner Bücher, stirbt) sieht man ausschließlich gutaussehende Frauen mittleren Alters (größtenteils mit Taschentüchern). Wenn es aber ins Drehbuch passt, lesen auch harte Männer Castles Bücher, und schämen sich dessen nicht (zugegeben, vielleicht stehen die nur nicht auf Lesungen).

Die (Original-)Titel der Episoden der Serie sind teilweise Buchtitel aus dem Werk Castles (Flowers for your Grave, Hell hath no Fury, A Rose for Everafter), spielen aber ansonsten zumindest mit der Idee, wie ein kommerzträchtiges Buch heißen könnte, das auf der jeweiligen Folge basiert (A Chill Goes Through Her Veins, Nanny McDead). Verglichen damit wirken die Titel von Castles Buchreihe um Derrick Storm teilweise eher peinlich: Storm Warning, Gathering Storm, A Calm before the Storm, Storm Rising, Unholy Storm, Storm’s Break, Storm Fall. Wer glaubt, die Harry-Potter-Bände seien schwer auseinanderzuhalten, dürfte bei solchen Buchtiteln wirklich Probleme bekommen, und Castles erste “Geistesblitze” um die Detective Beckett nachempfundene Heldin “Nikki Heat” lassen auch Schlimmes ahnen: Summer Heat, Heat Wave, In Heat ...

Im Zusammenhang mit seiner Rolle als Captain Hammer in Joss Whedons Internet-Phänomen Dr. Horrible’s Sing-Along-Blog gab Nathan Fillion mal an, dass ihn der Regisseur zu immer neuen Leveln von “Cheesiness” anspornte. Wer Gefallen an der Serie Castle finden will, sollte in der Hinsicht vorbelastet sein. Angeblich will man zwar, dass die Dialoge und Situationen wie einst bei The Rockford Files (dt.: Detektiv Rockford: Anruf genügt) besonders realistisch sind, doch die Drehbuchautoren sind oft einfach eine Spur zu clever. Insbesondere Castle, aber auch seine Tochter, Detective Beckett und mitunter auch die anderen Figuren, haben etwas häufig perfekt sitzende, bereits gut abgehangene Pointen parat, die in der Regelmäßigkeit und dem teilweisen Stakkato-Rhythmus einfach nicht realistisch wirken. Doch noch (nach zehn, jeweils mindestens zweimal gesehenen Folgen) machen sie einfach sehr viel Spaß!