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13. Mai 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Last House on the Left (R: Dennis Iliadis)
The Last House on the Left (R: Dennis Iliadis)
The Last House on the Left (R: Dennis Iliadis)
Fotos © Universal Pictures
The Last House on the Left (R: Dennis Iliadis)
The Last House on the Left (R: Dennis Iliadis)
The Last House on the Left (R: Dennis Iliadis)


The Last House
on the Left
(R: Dennis Iliadis)

USA 2009, Buch: Adam Alleca, Carl Ellsworth, Kamera: Sharone Meir, Schnitt: Peter McNulty, Musik: John Murphy, mit Garret Dillahunt (Krug), Sara Paxton (Mari Collingwood), Spencer Treat Clark (Justin), Tony Goldwyn (John Collingwood), Monica Potter (Emma Collingwood), Aaron Paul (Francis), Riki Lindhome (Sadie), Martha MacIsaac (Paige), Michael Bowen (Morton), Joshua Cox (Giles), Usha Khan (Maid), 110 Min., Kinostart: 14. Mai 2009

1960. Ingmar Bergman verfilmt eine schwedische Ballade aus dem 14. Jahrhundert, eine religiös verhärmte Rachegeschichte. Der Film heißt Jungfrukällan (dt.: Die Jungfrauenquelle) und gewinnt u. a. den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Neben einem Hang zur Symbolik (die Farben gelb und blau werden für einen Schwarz-Weiß-Film erstaunlich häufig erwähnt) und einer gewissen Nähe der Waldszenen zu Kurosawas Rashomon (1950) wirkt einiges fast märchenhaft, vielleicht abgesehen von einer für damalige Verhältnisse recht drastischen Vergewaltigungsszene und der anschließenden Ermordung der Täter durch den Vater des Opfers.

1972. Wes Craven (Nightmare on Elm Street, Scream) dreht seinen Debütfilm The Last House on the Left, produziert von Sean S. Cunningham, der später Friday the 13th drehen wird. Der Film ist mir nicht persönlich bekannt (ist heutzutage auch schwierig zu bekommen), aber die thematische Nähe zu anderen “Schockern” dieser Zeit wie John Fords Cheyenne Autumn (1964), George Romeros Night of the Living Dead (1968), Sam Peckinpahs The Wild Bunch (1969), Ralph Nelsons Soldier Blue (1970, dt.: Das Wiegenlied vom Todschlag), Don Siegels Dirty Harry (1971), Sam Peckinpahs Straw Dogs (1971, dt.: Wer Gewalt sät), John Boormans Deliverance (1972, dt.: Beim Sterben ist jeder der Erste) Michael Winners Death Wish (1974, dt.: Ein Mann sieht rot) Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre (1974) und schließlich John Carpenters Assault on Precinct 13 (1976) ist unübersehbar. Die aufgezählten Filme hätte man auch in brutale Western, Horrorfilme und Filme über Selbstjustiz aufteilen können, es gibt aber auch Mischformen (eben The Last House on the Left oder die Filme von Siegel und Carpenter, der Western schon sehr nahe sind), aber das Haupt-Verbindungsglied zwischen den Filmen ist ihre Zeit. Studentenrevolten, Vietnamkrieg, zunehmende Brutalität in den Massenmedien, und inwiefern den Filmen eine politische Botschaft zugrundeliegt, sollte man für jeden Fall für sich entscheiden, im Fall von Wes Craven hat man einerseits die Referenz auf Bergman (ähnlich wie bei Carpenters Hawks-Remake), andererseits findet sich das Thema des (etwas seltsamen) Klassenkampfs zwischen den zwei Familien in anderer Form auch in späteren Craven-Filmen wie The Hills have Eyes oder halt beim Texas Chainsaw Massacre.

2009. In den letzten Jahren wird so ziemlich jeder Horrorfilm (im weiteren Sinne) aus den 1970ern wiederaufgelegt. The Omen, The Exorcist, The Amityville Horror, Dawn of the Dead, The Texas Chainsaw Massacre, Death Race 2000, The Hills Have Eyes, Halloween, Friday the 13th, Prom Night, selbst so absurder, unbekannter Kram wie Black Christmas. In vielen Fällen mit erstaunlichem Erfolg, denn die Filminteressierten von heute haben über imdb oder ähnliches bereits von diesen Filmen gehört, kennen die Originale aber längst nicht immer, und manch einer bildet sich tatsächlich ein, dass man mit der heutigen Technologie “bessere” Filme macht. (Man könnte sie machen, nur will das offensichtlich kaum jemand ...)

Wichtiger als die Ausnutzung der technischen Möglichkeiten für einen bestmöglichen Film ist heute noch stärker als früher das bestmögliche Einspielergebnis, und für das ist heutzutage Promotion und ein überzeugender Trailer weitaus wichtiger als beispielsweise die Filmkritik. Und so wird auch The Last House on the Left sein Publikum finden. Dass Craven und Cunningham das Remake mitproduziert haben, soll eine gewisse Authentizität vermitteln (vgl. Leonard Nimoy in J. J. Abrams’ Star Trek), zeugt aber mehr davon, dass sie einer Umsatzbeteiligung nicht abgeneigt sind.

Schon der Anfang des Films soll wohl eine gewisse Poesie oder die Verwandtheit zu The Evil Dead demonstrieren, doch mich erinnerten die Aufnahmen eines nächtlichen Waldes eher an The Nightmare before Christmas, nur dass die Türen in Form von Osterei und Weihnachtsbaum in den Bäumen fehlten. Dann wird man direkt in die Geschichte hineingeworfen, wenn der Knacki Krug (Garret Dillahunt) von zwei Polizisten, von denen zumindest einer unsympathisch gezeichnet wird, irgendwo hingefahren werden soll, was wenig überraschend mit seiner Freiheit und zwei toten Cops endet. Doch immerhin gibt man sich hier bereits Mühe, falsche Fährten zu legen. In allzuvielen Horrorfilmen wären die zwei Töchter des Polizisten beliebte Opfer gewesen, doch The Last House on the Left schert sich oft nur wenig um eine herkömmliche Hollywood-Dramaturgie (was ja erfreulich ist), und man ahnt, wie krude der erste Craven-Film gewesen sein muss.

Der Film baut aber schon schnell eine beklemmende Atmosphäre auf, die er auch fast bis zum Schluss durchhält (trotz einiger eher unmotivierter Szenen zwischendurch), und an dieser Stelle will ich auch mal wieder mit der detailierten Inhaltsangabe abbrechen. Es gibt in dem Film zwei zutiefst unerfreuliche Szenen, die sich immerhin in ähnlicher Form beide auch bereits bei Bergman finden. Zum einen die im Pressematerial immer als “Angriffsszene” euphemisierte Stelle, bei der die Filmemacher sehr betonen, dass die Szene keinerlei unangemessene Empfindungen beim Betrachter erzeugen soll. Ach was soll’s, reden wir Tacheles: Ein Mädchen wird vergewaltigt und die Filmemacher sind der Meinung, dass dies in der Inszenierung keinerlei sexuellen Stimulus evoziert. Das trifft für mich persönlich auch zu, aber sowohl befremdliche Zuschauerreaktionen (siehe imdb) als auch die zu Beginn des Films extrem voyeuristische Kamera, die immer wieder BH und Slip der von Sara Paxton (Aquamarin, Superhero Movie) gespielten mari in Großaufnahme zeigen, rücken diesen Teil des Films in ein sehr unvorteilhaftes Licht.

Die andere Szene findet sich ganz am Schluss des Films, und sie soll wohl so etwas wie eine Moral darstellen, ist aber einfach nur unangebracht, und zerstört in meinen Augen alles, was im ansonsten manchmal durchaus gelungenen letzten Drittel des Films aufgebaut wird. Von Klassenkampf ist hier nur in Ansätzen etwas zu spüren, dafür ist die Mittelklasse zu positiv gezeichnet (“möchtest du eine heiße Schokolade?”) und der White Trash zu trashig (als Frau dem Freund dabei helfen, jemanden zu vergewaltigen - dafür muss die Strafe noch erfunden werden), aber der Kampf zwischen den beiden Familien lässt die Grenzen zwischen Opfer und Täter mitunter verschwimmen, man fragt sich, inwieweit Cravens Debüt eine wichtige Inspiration für Michael Hanekes Funny Games war, und eine Szene erinnert sogar an Hitchcocks Torn Curtain und die legendäre Tötungsszene an Wolfgang Kieling - wenn auch ohne das entsprechende Feingefühl. Welches dann eben am Schluss völlig verlustig geht, in einer von den Figuren her unmotivierten Szene, die rein technisch wenig Sinn gibt (auch, wenn ich mir der Horror-Bezugspunkte bewusst bin), und die dann auch noch mit einem lachhaften Effekt endet. Ich kenne viele Filme, denen zum Schluss die Luft ausgeht, aber ich kann mich an keine Schlussszene erinnern, die den bisherigen (und auch nicht eben tollen) Film so dermaßen kaputtmacht. Und das soll nicht neugierig machen, sondern zum Besuch eines anderen Films animieren.

Übrigens: wenn die zwei Polizisten am Anfang nicht gewesen wären, hätte das Bergman-Original einen höheren Body Count gehabt ...