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29. April 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  X-Men Origins: Wolverine (R: Gavin Hood)
X-Men Origins: Wolverine (R: Gavin Hood)
X-Men Origins: Wolverine (R: Gavin Hood)
Bilder © 2009 Twentieth Century Fox
X-Men Origins: Wolverine (R: Gavin Hood)
X-Men Origins: Wolverine (R: Gavin Hood)
X-Men Origins: Wolverine (R: Gavin Hood)

X-Men Origins:
Wolverine
(R: Gavin Hood)

Australien / USA / Kanada 2009, Buch: David Benioff, Skip Woods, Kamera: Donald M. McAlpine, Schnitt: Nicolas De Toth, Megan Gill, Musik: Harry Gregson-Williams, mit Hugh Jackman (James Howlett / Logan / Wolverine), Liev Schreiber (Victor Creed / Sabretooth), Danny Huston (William Stryker), Lynn Collins (Kayla Silverfox), Taylor Kitsch (Remy LeBeau / Gambit), Daniel Henney (David North / Agent Zero), Ryan Reynolds (Wade Wilson / Deadpool), Will.i.Am (John Wraith / Kestrel), Kevin Durand (Frederick J. Dukes / The Blob), Dominic Monaghan (Chris Bradley / Bolt), Scott Adkins (Weapon XI), Tim Pocock (Scott Summers), Julia Blake (Heather Hudson), Max Cullen (Travis Hudson), Asher Keddie (Dr. Carol Frost), Tahyna Tozzi (Kayla's Sister / Emma), Troye Sivan (Young James), Michael-James Olsen (Young Victor), Peter O'Brien (John Howlett), Aaron Jeffery (Thomas Logan), Adelaide Clemens (Carnival Girl), Daniel Negreanu (Poker Player #1) 107 Min., Kinostart: 29. April 2009

Es gab mal Zeiten, da habe ich sehr viel mehr Comics gelesen. Auch Superhelden-Comics. Aber für die X-Men habe ich mich nie besonders interessiert, da kenne ich mich nur bei ein paar Spin-Offs aus, wenn die gerade mal von Peter David oder Peter Milligan geschrieben wurden oder von Bill Sienkiewicz oder Michael Allred gezeichnet wurden. Bei Wolverine ist es nur geringfügig besser, denn auch hier definiert sich meine Lektüre-Auswahl vor allem über Autoren und Zeichner. Seinen ersten Auftritt gegen den Hulk kenne ich aus irgendeinem Reprint, natürlich habe ich die ursprüngliche Miniserie (als Paperback), die Frank Miller zeichnete, ca. ein Dutzend Hefte aus dem ersten Run, die zufällig von Peter David geschrieben waren, die Weapon X-Serie von Barry Windsor-Smith und ein bißchen hier oder da. Nachdem Weapon X zwar schön gezeichnet und wundervoll koloriert war, aber storymäßig ziemlich auf der Stelle trat, konnte mich die großangekündigte Origin-Serie (2001, illustriert von Andy Kubert und geschrieben von gleich drei Typen, von denen ich zwei immerhin kenne, aber allenfalls dem Durchschnitt zurechnen würde) nicht ansatzweise locken, und so war ich beim innerhalb dieser Kritik als Snikt IV abgekürzten Film (Snikt 0 hätte wegen der Chronologie auch gepasst, aber wer weiß, wie oft Hugh Jackman sich noch die CGI-Krallen ranbasteln lässt) sehr überrascht darüber, dass der mir immer als Kanadier vertraute Logan zusammen mit seinem Bruder Victor aka Sabretooth gleich in vier großen Kriegen (Bürgerkrieg, WK1, WK2, Vietnam) für die USA tätig war (auch wenn am Anfang mal kurz Kanada erwähnt wird). Doch heutzutage braucht man sich ja nicht mehr unzählige Ausgaben vom Handbook of the Marvel Universe kaufen, sondern schaut einfach bei Wikipedia rein, wo die Biographien irgendwelcher Comic-Nebenschurken zumeist umfangreicher ausgebreitet sind als die von Chemie-Nobelpreisträgern. Und somit konnte ich inzwischen recherchieren, dass es in der Origin-Serie zwar Wolverines Halbbruder “Dog” wie Sabretooth aussieht, man an anderer Stelle aber durch einen (Gen-?) Test festgestellt hat, dass Sabretooth nicht Wolverines Vater ist (eine lange Zeit angedeutete Wendung, wozu auch passt, dass Sabretooth jahrelang zu Wolverines Geburtstag versucht, diesen zu töten), was bei meinem begrenzten biologischen Fachwissen eine Halbbruderschaft doch wohl auch entweder ausschließen sollte oder aber den Wissenschaftlern Grund geben dürfte, die Hinweise darauf zumindest zu erwähnen. Doch so ist das mit jahrelang erscheinenden Comics, die sich in Geheimnistuereien üben - irgendwann steigt keiner mehr durch.

Fürderhin weiß ich nun aber auch, dass die putzige Zusammenstellung von Marvelfiguren, wie wir sie im Film erleben, nicht völlig neu ist, denn zumindest Sabretooth, Wolverine, Kestrel und Maverick (aka Agent Zero) waren als “Team X” in einer Sabretooth-Miniserie mal gemeinsam unterwegs (ebenfalls in der Vergangenheit angesiedelt), und Sabretooth und Gambit hatten auch schon miteinander zu tun, auch wenn das wieder gar nicht zur Filmhandlung passt.

Doch konzentrieren wir uns mehr auf den Film an sich, bzw. sehen ihn im Zusammenhang mit den X-Men-Filmen.

Sabretooth, der auch schon im ersten X-Men-Film Wolverines Lieblingsgegner war, ist durch ähnliche Kräfte natürlich dafür prädestiniert. So wie die Fingernageltante Deathstrike in X-Men 2, “Weapon XI” gegen Ende von Snikt IV, oder (im übertragenen Spinnensinn) Dr. Octopus in Spider-Man 2. Und Liev Schreiber macht das auch relativ gut, schon bei einer seiner frühesten Rollen in den Scream-Filmen und bei The Manchurian Candidate übte er ja das Schurkentum. Eindrucksvoller als Tyler Mane in X-Men ist er allemal.

Wenn das nur auch für die anderen Figuren gelten würde ...

Im Presseheft heißt es: “X-Men Origins: Wolverine stays true to the tone of the X-Men motion picture franchise, continuing the films’ balance between spectacle and reality, while heightening the emotions and relationships” und Hugh Jackman ergänzt an anderer Stelle: “The characters have always been at the heart of the X-Men comics and movies. People connect with and relate to them.”

Da muss jemand einen anderen Film gesehen haben als ich. Oder mit der “Balance zwischen Spektakel und Realität” sind die Kriegsszenen gemeint, wo Wolverine und sein Bruder beispielsweise den Krauts zeigen, was eine Harke ist (statt sich wie bei Saving Private Ryan abballern zu lassen). Und noch näher an die Realität begibt man sich womöglich, wenn man auch den Vietnamkrieg zum Thema macht und zeigt, dass Sabretooth einer Runde unnötigem Blutvergießen oder einer angedeuteten Vergewaltigung nicht abgeneigt ist. Doch mit dem Tonfall der X-Men-Filme hat das nur wenig zu tun. Da ging es immer um die Unterdrückung der Mutanaten und die unterschiedlichen Wege, dieser zu begegnen (zugegebenermaßen in Wolverine-Solo-Comics auch kein Riesenthema, aber darum geht es ja im Presseheft auch nicht), um die Dreiecksbeziehung zwischen Cyclops, Wolverine und Jean Grey oder die Zerbrechlichkeit von Rogue. Zerbrechlich sind in Snikt IV auch einige Figuren, aber das heißt eigentlich nur, dass sie drei, vier kleine Szenen bekommen, bevor sie dann entweder hinterrücks oder zumindest blutig gemeuchelt werden. Das bezieht sich nicht nur auf die “normalen” Personen in Logans Umwelt, sondern - und auch hier sehe ich einen großen Unterschied zu den X-Men-Filmen - auch auf die Mutantenkumpels und -feinde Logans. Wo in den drei Filmen nur sehr ausgesucht gestorben wurde, gehen hier die Figuren im Zwanzig-Minuten-Takt über den Jordan. Und mit wem soll man sich hier eigentlich “verbunden fühlen”? Mit dem nicht alternden und unverwundbaren Logan? Oder mit irgendeiner der anderen Figuren, die alle ein paar Effekt-Kapriolen hinlegen, größtenteils abgrundtief böse oder zumindest ziemlich arrogant sind, und durchweg nicht annähernd so vorgestellt werden, wie es beispielsweise in X-Men mit Wolverine, Magneto, Jean Grey und Rogue geschah. Figuren mit Charaktereigenschaften, unterschiedlichen Motiven und Merkmalen. In Snikt IV gibt es nur die unkaputtbaren und die kaputtbaren, und am Schluss bleiben von der letzteren Gruppe nur sehr wenige im Rennen. Auch die kleinen Details wie die Szene nach dem Abspann, die die Verbindung zur Miller-Miniserie andeutet oder ein grün- und blauäugiges Kind, das man in X-Men 2 wiedertrifft, können den Gesamteindruck nicht retten, denn neben der ganzen “Hau drauf”- und “Knall ab”-Mentalität, die den Film einzig für Hardcore-Comic-Geeks und Soldaten interessant macht, sind auch noch die Effekte relativ dürftig. Seit dem ersten X-Men-Film sind fast zehn Jahre vergangen, aber Wolverines Klingen wurden damals sehr viel überzeugender umgesetzt. Und wann immer etwas mit Schwerkraft zu tun hat (Weapon XI perforiert den Reaktor, Logan schneidet ein X in eine Panzertür), scheinen die Effektspezialisten komplett geschlafen zu haben, und manche der Kunststückchen (insbesondere mit Schwertern und Schusswaffen) sind einfach nur noch peinlich. Wenn Wolverine Jeeps und Hubschrauber im Handumdrehen zerlegen kann, warum hat er dann so große Schwierigkeiten mit jenen Gegner, die er ohnehin umlegen will? (Bei den anderen kann man sich ja rausreden, dass er nur mit “halber Kraft” kämpft)

Der dritte X-Men-Film war ja schon ein ziemlich Qualitätsausrutscher, aber verglichen mit Snikt IV kann man den damaligen Regisseur Brett Ratner nur hochleben lassen. Warum Gavin Hood, der sich bisher mit politischen Filmen mit Action-Elementen (Tsotsi, Rendition) bewährte, für diesen Film verpflichtet wurde, ist gar nicht mal das größte Rätsel. Das ist nämlich: War der Writer’s Strike noch in Gange, als dieses “Drehbuch” entstand? Ich befürchte, so muss es gewesen sein.

Bisher gab es drei große Comic-Verfilmungen in diesem Jahr, und bisher war noch jede eine Enttäuschung.