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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




17. Dezember 2008
Thomas Vorwerk
für satt.org


  O’Horten (R: Bent Hamer)
O’Horten (R: Bent Hamer)
O’Horten (R: Bent Hamer)
O’Horten (R: Bent Hamer)
O’Horten (R: Bent Hamer)


O’Horten
(R: Bent Hamer)

Norwegen / Deutschland / Frankreich 2007, Buch: Bent Hamer, Kamera: John Christian Rosenlund, Schnitt: Pål Gengenbach, Musik: Kaada, mit Bård Owe (Odd Horten), Espen Skjønberg (Trygve Sissener), Ghita Nørby (Frau Thörgersen), Henny Moan (Svea), Bjørn Floberg (Flo), Kai Remlov (Steiner Sissener), Per Jansen (Lokführer), Peder Lohne Hamer (Nordahl), Anton Lohne Hamer (Nordahls Bruder), 91 Min., Kinostart: 18. Dezember 2008

Nach dem USA-Intermezzo mit Factotum kehrte Bent Hamer zurück nach Norwegen und drehte dort wieder einen Film, der in seiner Skurrilität direkt bei Kitchen Stories anschließt. Auch Odd Horten, ein nach knapp vierzig Jahren voller Verlässlichkeit, Umsichtigkeit und Kundigkeit aus seinem Beruf entlassener Zugführer ist ein fast asexuell wirkender (und somit im starken Kontrast zu Charles Bukowski stehender) Einzelgänger, der ganz in seinem ritualisierten Fahrplan steckt, und nun sein Leben völlig neu entdecken muss. Erstaunlicherweise tut er dies schon am Vorabend seiner Pensionierung, wenn er nach der drögen Abschiedsparty (mit Lokomotivgeräusch-Quiz) den feuchtfröhlichen privaten Teil verpasst, aber aufgrund einer absurden Geschichte dennoch zu spät zu seiner letzten Zugfahrt kommt. Nachdem er sich voller Scham in seiner Wohnung einschließt und zunächst weder auf Anrufe noch das Türklingeln eingeht, besucht er dann seine senile Mutter, an deren Jugend er sich schwelgend erinnert, und von dort aus entwickelt sich der Film zu einer kleinen Odyssee durch das größtenteils nächtliche Oslo. Hierbei schließt Odd u. a. nebenbei eine neue Freundschaft zu einem ebenso skurrilen alten Mann, geht verbotenerweise Nacktbaden, probiert High Heels aus, und erlebt, wie auch seine Umwelt immer fantastischer wird. Schließlich erfüllt er einen langjährigen Wunsch seiner Mutter (in autobiographischer Weise ist dies an die Widmung des Regisseurs gebunden), und in traumwandlerischer Sicherheit endet der Film mit einer kleinen Hommage an den Schluss von Alfred Hitchcocks North by Northwest, allerdings weniger stringent und dafür mit mehr Interpretationsfreiraum.

Wie seltsam der Film ist, wird ja schon durch den Vornamen der Hauptfigur vorweggenommen, doch wo einige der Handlungselemente lobende Vergleiche mit Aki Kaurismäki oder Charles Chaplin (City Lights) verdient hätten, bleibt der Film durch seinen episodischen Charakter, dem ein wenig mehr Realismus gut getan hätte, allzu verspielt. Verspielt waren alle Filme des Regisseurs, doch hier drückt sich das Spielerische trotz eines ernstzunehmenden Themas zu sehr in den Vordergrund, und wenn man bedenkt, wie skurril und humorvoll ein Film wie Elling sein kann, ohne den Kontakt zum wirklichen Leben völlig zu verlieren, begreift man das innewohnende Potential als verpasste Chance. Für einen Film mit der tagline “Der Fahrplan endet und das Leben beginnt!” ist dieses “Leben” à la Udo Jürgens’ Mit 66 Jahren allzu illusorisch, teilweise hat man das Gefühl, als wenn das (neue) Leben ähnlich einiger 1980er-Komödien wie Scorseses After Hours und Landis’ Into the Night erst nach dem Nachspann beginnen würde. Hauptdarsteller Bård Owe spielte übrigens nicht nur in Lars von Triers Riget mit, sondern auch schon in Carl Theodor Dreyers Gertrud (1964).