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Januar 2008
Thomas Vorwerk
für satt.org


Into the Wild (R: Sean Penn)
Into the Wild (R: Sean Penn)
Bilder © Tobis Film
Into the Wild (R: Sean Penn)
Into the Wild (R: Sean Penn)
Into the Wild (R: Sean Penn)
Into the Wild (R: Sean Penn)

Into the Wild
(R: Sean Penn)

USA 2007, Buch: Sean Penn, Vorlage: Jon Krakauer, Kamera: Eric Gautier, Schnitt: Jay Lash Cassidy, Musik: Michael Brook, Kaki King, Eddie Vedder, mit Emile Hirsch (Christopher McCandless), Marcia Gay Harden (Billie McCandless), William Hurt (Walt McCandless), Jena Malone (Carine McCandless), Catherine Keener (Jan Burres), Brian Dierker (Rainey / Marine Coordinator), Vince Vaughn (Wayne Westerberg), Kristen Stewart (Tracy), Hal Holbrook (Ron Franz), Bart the Bear (The Bear), Joe Dustin (The Beast), Zach Galifianakis (Kevin), Thure Lindhardt (Thomas), Signe Egholm Olsen (Thomas’ girlfriend), Bryce Walters (Chris McCandless at Age 4), Cheryl Francis Harrington (Social Worker), 140 Min., Kinostart: 31. Januar 2008

Sean Penn ist einer der wenigen Schauspieler, der inzwischen auch als Regisseur voll akzeptiert ist. Noch nicht ganz so renommiert wie Clint Eastwood, aber mit größerer Qualitätsgarantie als beispielsweise Robert Redford. Sein neuer Film Into the Wild hatte für mich den Nachteil, dass ich vor der Sichtung nicht wusste, dass ich den Film sozusagen als Biopic begreifen sollte, als Verfilmung einer gut verkauften Dokumentation über das Leben von Christopher McCandless, der in den Staaten offenbar bekannter ist als hier. Dieses Vorwissen fehlte mir und ich ging mit falschen Erwartungen in den Film.

Into the Wild erklärt kurz die familiären Hintergründe von Chris (Emile Hirsch), insbesondere sein Problem mit den Eltern (William Hurt und Marcia Gay Harden), die bereits das gesamte Leben ihres Sprösslings vorhergeplant zu haben scheinen. Doch mit seinem Schulabschluss wendet sich Chris vom bürgerlichen Leben ab. Das bisher angesparte Geld wird an Notleidende weitergeleitet und er macht sich auf "in die Wildnis". Hierbei lernt er nette Menschen kennen, teilweise wird die Mär vom Hippieleben auch in den 1990ern weitergesponnen, doch er kommt zwischendurch auch nicht drumherum, seinen Lebensunterhalt beispielsweise beim verhassten Kapitalismusbetrieb McDonald's zu erarbeiten.

Der zweieinhalbstündige Film erzählt die Geschichte wie viele Biopics mit zwei Zeitsträngen, mit den Anfängen und mit Chris' Ankunft beim "Magic Bus", einem in der Wildnis zurückgelassenen Fahrzeug, das er zur Bleibe umfunktioniert. Dadurch kann der Film zwischen eher heiteren Begegnungen und dem (sorry, kaum zu verhindernder Spoiler) Tod durch Verhungern alternieren kann. Der Grundton des Films, insbesondere nach dem Verlassen des Kinos, bleibt dennoch ein trauriger, denn auch, wenn Chris' Weigerung der vorgeplanten Karriere gegenüber von vielen Zuschauern nachvollzogen werden kann, und die Lagerfeuerromantik eines Naturpoeten sich gut überträgt, so bleibt sein Tod doch vor allem unnötig und eine Verquickung unglücklicher Umstände.

Im Nachhinein wirkt der Film immer besser, denn mit dem Wissen um das Ende der Geschichte bekommen viele Episoden eine stärkere Gewichtung wie etwa Chris' Abstinenz im Angesicht der extrem sympathischen, gutaussehenden und willigen Tracy (Kristen Stewart) oder die Überflüssigkeit eines Männlichkeitsrituals, wenn er einen Elch erlegt. Einerseits funktioniert der Film als Gesellschaftskritik, wenn etwa ein Bahnangestellter den sympathischen Wegelagerer brutal zusammenschlägt oder Flusspolizei und Zollbehörde mit seiner "back to nature"-Mentalität wenig anfangen können. Gleichzeitig wirkt das Ganze aber auch sehr spirituell, wenn Chris irgendwann schreibt: "When you forgive, you live. And when you live, God's light shines upon you", was dann wenig überraschend später wieder aufgegriffen wird, und der ganzen Geschichte mehr closure, mehr Sinn verleihen soll. Was aber auch irgendwie ein Problem ist, denn aus meiner Sicht geht es im Leben Chris McCandless' vor allem um die Sinnlosigkeit. Doch stattdessen wird noch ein unentwickeltes letztes Selbstporträt in der Kamera der gefundenen Leiche filmisch ausgebeutet (welcher Regisseur könnte so etwas ausschlagen?), und zumindest bei mir hinterlässt der Film einen seltsamen Nachgeschmack. Into the Wild ist ein sehr, sehr interessanter Film, den man auch gesehen haben sollte, aber ich fürchte, eher wenige Menschen werden ihn auch als besonders "gut" in Erinnerung behalten - und das, obwohl man dem Regisseur (abgesehen vom misslungenen Einsatz von Tagebucheintragungen) und dem Hauptdarsteller eigentlich keine Vorwürfe machen kann. Sean Penn hat mal wieder ein Stück Kino geschaffen, das (wie das Leben von Chris McCandless) gegen die Erwartungen und die Normen rebelliert. Ohne Rücksicht auf Verluste.