Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Mai 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Falscher Bekenner
D 2006

Plakat

Buch
und Regie:
Christoph Hochhäusler

Kamera:
Bernhard Keller

Schnitt:
Stefan Stabenow

Musik:
Benedikt Schiefer

Darsteller:
Constantin von Jascheroff (Armin Steeb), Manfred Zapatka (Martin Steeb), Victoria Trautmansdorff (Marianne Steeb), Nora von Waldstätten (Katja Fichtner), David Striesow (Martin Steeb jr.), Florian Panzner (Stefan Steeb), Dennis Prinz (Ulrich Wendt), Laura Tonke (Christiane Steeb), Martin Kiefer (Richard Gassner)

94 Min.

Kinostart:
18. Mai 2006

Falscher Bekenner

Schon Christoph Hochhäuslers Regiedebüt, der auf dem Forum vorgestellte Milchwald, hatte seinen Kinostart in Frankreich früher als in Deutschland. Auf den Start des letzten Jahr in Cannes gelaufenen Falscher Bekenner musste das deutsche Publikum ähnlich lange warten - und man fragt sich, warum.

Weiß man in Deutschland die „Berliner Schule“ nicht zu schätzen, werden all die Filme von Christian Petzold, Angela Schanelec oder Thomas Arslan nur von den Kritikern hochgejubelt, von Publikum aber größtenteils ignoriert? Verglichen mit französischen Verhältnissen sicher, doch muß man deshalb wie Petzold oder der österreichische Kollege Haneke beginnen, auf Französisch zu drehen, um sein Potential zu nutzen ohne sich der Konformität zu beugen? Das wäre traurig.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Filme wie Falscher Bekenner, Lucy oder Montag kommen die Fenster sind zutiefst deutsch, doch wer diesen Satz liest, erkennt nicht automatisch, daß dies als Kompliment gemeint ist. Können nur Überraschungshits wie Muxmäuschenstill oder Netto neben dem jährlichen Andreas Dresen das Publikum in die Kinos ziehen? An dieser Aufstellung mag man vielleicht einen kleinen, aber immens wichtigen Unterschied zwischen der Berliner Schule und anderen deutschen Filmen, die Alltagssituationen schildern, erkennen: Bei Mux, Netto und Dresen gibt es trotz ernster Themen auch immer etwas zu lachen - und danach sucht man bei Petzold, Arslan und Schanelec meist vergebens. Und deshalb ist Falscher Bekenner vielleicht eine neue Chance für die „Berliner Schule“, denn auch wenn es nach Milchwald niemand von Hochhäusler erwartet hat, funktioniert sein neuer Film auch als Komödie, und das nicht nur im Ansatz wie bei Lucy oder Sehnsucht, sondern relativ häufig.

Das komische Potential eines Bewerbungsgesprächs konnte man zuletzt in Sommer vorm Balkon erleben. Aus der Sicht des Realschulabsolventen Armin erscheint dies gar nicht so witzig. Während er lieber unbesorgt durchs Leben schlendern würde (wie eine westdeutsche Version von Dustin Hoffmans The Graduate), hat er sich von seinen Eltern zu einem „Deal“ überreden lassen: jeden Tag eine Bewerbung. Zwar stellt er sich dieser täglichen Herausforderung reichlich unmotiviert und ungeschickt, aber hin und wieder wird er dennoch auch mal zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, wo er dann ein besonderes Interesse an einer Firma wie „Kurtech“ heucheln soll oder erklären, was ihn ausgerechnet den Beruf eines Reiseverkaufmanns wählen ließ. Doch Armin hat keine wirkliche Vorstellung von seinem vermeintlich bevorstehenden Berufsleben, er lebt in einer Zwischenwelt der Unentschlossenheit. Neben der hübschen, aber unerreichbaren Nachbarin Katja interessiert er sich höchstens dafür, nachts in wenig verkehrssicherer Kleidung zwischen der nahen Autobahnauffahrt und der nächsten Raststätte umherzuwandern. (Sogar seine abstrusen Träume spielen hier).

Nachts an der Autobahnauffahrt beginnt der Film auch, und Armin findet ein lebloses Unfallopfer in einer demolierten Limousine, wobei er reichlich unbeteiligt bleibt, und sich statt eines Notrufs lieber um ein kleines Souvenir kümmert. Statt seines nächsten Bewerbungsschreiben verfasst er einen Bekennerbrief: „Dieser Unfall war mein Werk …“ und aufgrund des detailliert beschriebenen fehlenden Fahrzeugteils (angeblich eine Sabotage) und des prominenten Opfers (ein Bankier) heißt am nächsten Tag die Schlagzeile der örtlichen Boulevardpresse „Der TERROR ist da!!!“ Diese neue Aktivität bringt zumindest etwas Schwung in Armins Leben und er zeigt erste Anflüge, auch mal aktiv zu werden. Die Resultate sind allerdings nicht sehr vielversprechend, wie etwa ein Gespräch mit Katja (die er ohne ihr Wissen teilweise schon als seine Freundin ausgibt) recht deutlich zeigt:

Katja: „Sag mal, was hältst Du eigentlich von mir?“
Armin: „Also … wenn ich mir einen runterhole, dann denke ich an Dich.“

Den weiteren Fortgang der Geschichte mag ich hier nicht ausplaudern, traumwandlerisch schafft es Regisseur Hochhäusler, einen mit einer Hauptfigur, die nun wirklich nicht zur Identifikation einlädt, mitfühlen zu lassen, auch dank des überragenden Hauptdarstellers Constantin von Jascheroff, der beim Filmfest München hierfür bereits einen Darstellerpreis erhielt. In der letzten Einstellung erinnert der Film fast an das Schlußbild von Truffauts Sie küssten und sie schlugen ihn, und eine Filmfigur wie Armin, die gleichzeitig an Benjamin Braddock und Antoine Doinel erinnert, ist der Stoff, aus dem Klassiker gemacht werden.