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Mai 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Die Perlenstickerinnen
Brodeuses

F 2004

Die Perlenstickerinnen (R: Eléonore Faucher)

Regie:
Eléonore Faucher

Buch:
Eléonore Faucher, Gaëlle Macé

Kamera:
Pierre Cottereau

Schnitt:
Joële van Effenterre

Musik:
Michael Galasso

Darsteller:
Lola Naymark (Claire), Ariane Ascaride (Madame Melikian), Marie Félix (Lucile), Thomas Laroppe (Guillaume), Arthur Quehen (Thomas), Jacky Berroyer (Luciles Vater)

88 Min.

Kinostart:
19. Mai 2005

Die Perlenstickerinnen
Brodeuses

Wenn man das in verschiedenen Versionen herumgeisternde deutsche Plakat zu diesem Film betrachtet, erinnert man sich zwangsläufig ein einen anderen Film, in dem eine junge Frau mit einer turbanähnlichen blauen Kopfbedeckung die Hauptrolle spielte und einen Job im Haus eines Künstlers annahm - und im Titel kam sogar auch das Wort "Perle" drin vor. Ein geschickter Marketing-Feldzug, doch wo im Mädchen mit dem Perlenohrring die (hohe) Kunst Vermeers als Hintergrund einer angedeuteten romantischen Liebe herhalten musste, geht es in Brodeuses "nur" um eine Freundschaft zwischen zwei Frauen, die über ihren Außenseiterstatus und die gemeinsame Leidenschaft für Perlenstickereien zueinanderfinden.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Die 17jährige Claire lebt in der Provinz, arbeitet als Kassiererin in einem Supermarkt und ist nach einer längst zu den Akten gelegten Affäre mit dem Supermarktmetzger schwanger. Wenn ihre Kolleginnen sie daraufhin ansprechen, daß ihr Kittel plötzlich enger wirkt ("Hat den jemand vertauscht?"), gibt sie schnellentschlossen vor, Krebs zu haben. Dies erspart ihr die lästigen Fragen und sie kann sich auch gleich krankschreiben lassen. Ihre Haarpracht verbirgt sie unter einem blauen Handtuch und sie faselt etwas von Kortisonbehandlungen - und schon ist sie fast so einsam, wie sie es sich zu wünschen scheint.

Ihre Geschichte erzählt sie zunächst über Voice-Over und einen Brief an ihre Freundin Lucille, was mit dem Kind geschehen soll, bleibt lange Zeit offen. Der Schlachter bietet eine Finanzspritze für die Abtreibung, der Gynäkologe klärt sie über "anonymes Gebären" auf, und ihre Mutter scheint untypischerweise überhaupt nichts zu merken, was sich nicht völlig damit erklären lässt, daß Claire ihr aus dem Weg geht.

Claire hat auch ein Hobby. Vom Feld der Eltern klaut sie Kohlköpfe, die sie gegen Kaninchenfelle austauscht und dann bestickt. Die Produkte ihrer Kreativität zeigt sie einer anderen Außenseiterin, der Armenierin Madame Melikian, die früher mal "Assistentin bei Lacroix" war, aber nach dem Tod ihres Sohnes (Motorradunfall) zurückgezogen lebt und ohne frühere Ambitionen von ihrer Perlenstickerei lebt. "Schwarz" bei Madame Melikian zu arbeiten, könnte Claire ermöglichen, ihre Schwangerschaft weiterhin zu verheimlichen, ohne auf Einkünfte zu verzichten - den Job im Supermarkt hat sie sich längst abgeschminkt.

Als Claire den Job bekommt, entsteht eine feine Freundschaft zwischen den zwei Frauen, wobei die Verbindung über den verlorenen Sohn und das ungewisse Schicksal des ungeborenen Kindes vom Drehbuch noch intensiviert wird. Dabei reißt die Geschichte viele teilweise hochsymbolische Motive an. Aale werden erschlagen, Fische voller Eier gefangen, die "perfekte Walnuss" (oder eben verdorbene) erscheint wie ein Omen für Claires Kind - die Geschichte könnte vielleicht auch im Holland des 17. Jahrhunderts spielen, wirkt aber in ihrer leichten Sozialkritik gleichzeitig hochmodern und trotz aller Symbolik und Ästhetisierung des Handwerks nicht annähernd so artifiziell, sondern so nah am Leben wie der Kohlkopf, der gegen ein Kaninchenfell getauscht wird. Was mir irgendwie ironisch erscheint.

Ein leiser, sehr französischer Film, der sein Publikum wahrscheinlich eher aus den Altersgenossinen der Madame Melikian beziehen wird, obwohl er auch 17jährigen H&M-Jüngerinnen und Stadtkindern einiges vermitteln könnte. Doch weibliche Zuschauer waren schon oft "reifer" (und empfindsamer) als gleichaltrige Herren, und so wird der Film vielleicht doch sein Publikum finden.

Ernstzunehmende Konkurrenz gibt es in dieser Woche eh nicht, einzig der andere "Frauenfilm" Somersault ist noch interessant, ansonsten laufen neben einer Dokumentation ja nur Filme für zwölfjährige Knaben.