Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




März 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Million Dollar Baby
USA 2004

Million Dollar Baby (R: Clint Eastwood)

Regie:
Clint Eastwood

Buch:
Paul Haggis

Lit. Vorlage:
F. X. Toole

Kamera:
Tom Stern

Schnitt:
Joel Cox

Musik:
Clint Eastwood

Production Design:
Henry Bumstead

Darsteller:
Clint Eastwood (Frankie Dunn), Hilary Swank (Maggie Fitzgerald), Morgan Freeman (Eddie Scrap-Iron Dupris), Jay Baruchel (Danger Barch), Mike Colter (Big Willie Little), Lucia Rijker (Billie "The Blue Bear"), Brian O'Byrne (Father Horvak), Anthony Mackie (Shawrelle Berry), Margo Martindale (Earline Fitzgerald), Riki Lindhome (Mardell Fitzgerald), Bruce MacVittie (Mickey Mack), Morgan Eastwood (Little Girl in Truck)

132 Min.

Kinostart:
24. März 2005

Million Dollar Baby

Obwohl Million Dollar Baby bei der diesjährigen Oscar-Verleihung "nur" 4 Oscars bekommen hat (einen weniger als The Aviator), handelt es sich bei diesen vier Auszeichnungen beinahe um die traditionell wichtigsten, die nur alle Jubeljahre mal auf den selben Film ausgeschüttet werden: Film, Regie und die zwei Hauptdarsteller, wie etwa bei It happened one Night (1934) oder One flew over the Cuckoo's Nest (1975). Der kleine Schönheitsfehler besteht darin, daß nicht Hauptdarsteller Clint Eastwood der vierte im Bunde ist, sondern "nur" Nebendarsteller Morgan Freeman - Doch Eastwood wird sich kaum beschweren, hat er doch nun nach Unforgiven (1992) bereits zum zweiten mal den Regie-Oscar bekommen (was Martin Scorsese wahrscheinlich nie gelingen wird), und da er in beiden Fällen auch Produzent des jeweils "Besten Films" war, wird es auf seinem Kaminsims wahrscheinlich schon langsam eng.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Und er hat es sich auch verdient. Million Dollar Baby wirkt von außen (also für Leute, die ihn noch nicht gesehen haben, sich aber schon ein Urteil erlauben) wie eine der üblichen Erfolgsgeschichten, die das Genre Sportfilm fast zu 100 % ausmachen. Ein grantiger Boxtrainer (Eastwood) lässt sich nach längerem Überreden darauf ein, eine auch nicht mehr taufrische Boxerin (Hilary Swank) zu coachen, für die das Boxen der einzige Weg scheint, ihrem white trash-Background zu entkommen. Der auf einem Auge blinde Zeugwart der heruntergekommenen Trainingshalle (Morgan Freeman) kommentiert die Geschichte aus dem Off, und schon bald stellt sich heraus, daß Million Dollar Baby weitaus mehr als Rocky (Bester Film, beste Regie 1976) ist, denn zur unvermeidbaren Karriere des Underdogs gesellen sich andere, größtenteils interessantere Themen. So ist die Hauptfigur des Frankie Dunn etwa nicht der typisch tumbe Trainer, sondern jemand, der noch im hohen Alter beginnt, gaelisch zu lernen, Yeats liest oder regelmäßig die Kirche besucht, um sich mit dem Pfarrer über Grundsatzfragen zu streiten. Und da der sehr einsame Frankie von seiner Tochter verlassen wurde und sein neuer Schützling Maggie keinen Vater hat, ist es auch eine Liebesgeschichte zwischen Ersatzvater und Ersatztochter, die sich in die Bezeihung zwischen Trainer und Sportlerin einmischt.

"I've made a lot of mistakes in my life, I don't want you to make the same mistakes" erklärt der Trainer seiner aufstrebenden Boxsensation, die unter dem gaelischen Namen "Mo Coushla" für Furore sorgt, und die beim karriere-entschiedenden Match (frei nach Rocky IV) gegen eine bullige ehemalige Prostituierte aus Ostberlin antritt.

Doch so schablonenartig sich diese Details ausnehmen, es sind ganz andere Details, die nach dem Film noch lange im Gedächtnis bleiben. Das Thema der Ersatzfamilie, in die auch die Figur von Morgan Freeman und der lange Zeit wie eine Witzfigur behandelte "Danger" hineinspielen, entwickelt sich auch in ein Drama über den Widerspruch zwischen dem Trainer als liebevollen Ersatzvater, der deshalb als Manager die Karriere seines Schützlings unbewusst sabotiert, eine Situation, die sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten gleich viermal im Film wiederfindet, und die insbesondere in Fragen um die Schuldzuweisungen (Freeman verlor sein Auge natürlich wegen eines Boxkampfs), die auch diese Familie zu zerbrechen drohen, eine immense Komplexität entwickelt.

Gerade in der Auswahl seiner inszenatorischen Mittel erweist sich Eastwood hier als ein Meister der Subtilität, der dafür schon mit Howard Hawks und John Ford verglichen wurde. Abgesehen von einigen Schattenspielen in der Trainingshalle, die den Film rein ästhetisch fast an Scorseses Raging Bull (einer der wenigen Boxerfilme, für die die Hauptdarsteller einen Oscar bekam) erinnern lassen, zeichnet sich Million Dollar Baby gerade dadurch aus, daß der Film geradlinig und schnörkellos erzählt ist und sich nicht in stilistischen Spielereien verliert. Immer wieder diskutieren Frankie und Maggie neben dem Punching Ball, treffen Eastwood und Freeman im schäbigen "Büro" aufeinander - und als Zuschauer bemerkt man teilweise die eigentümlichen Strömungen unter der Oberfläche dieses Films erst, wenn es für die Ersatzfamilie fast schon zu spät ist.

Million Dollar Baby ist Hollywood-Kino, wie man es selten besser sieht: spannend, unterhaltsam, berührend - und für ein so eingefahrenes Genre hält der Film einige Überraschungen und Subtexte bereit, die ihn klar über das Genre hinauswachsen lassen.