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Juni 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Fünf Uhr am Nachmittag
Panj é asr

Iran/ Frankreich 2002

Fünf Uhr am Nachmittag (Panj é asr) (R: Samira Makhmalbaf)

Regie:
Samira Makhmalbaf

Buch:
Samira Makhmalbaf, Mohsen Makhmalbaf

Kamera:
Ebrahim Ghafori

Schnitt:
Mahsen Mokhmalbaf

Musik:
Mohamad Reza Darvishi

Darsteller:
Aghele Rezaie (Noqreh), Abdolgani Yousefrazi (Vater), Marzieh Amiri (Leylomah, Schwägerin), Razi Mohebi (Dichter)

105 Min.

Kinostart:
1. Juli 2004

Fünf Uhr am Nachmittag
Panj é asr


Kabul, im heutigen Afghanistan, nach dem Sturz des Taliban-Regime. Gegen den Willen (und ohne das Wissen) ihres Vaters, eines streng konservativen Kutschers, besucht die 20jährige Noqreh die mittlerweile auch für Frauen geöffnete Schule. Auf dem Weg dahin muß sie sich geradezu verwandeln, am auffälligsten dabei ihre hochhackigen weißen Schuhe, die der Vater nie geduldet hätte. Dennoch erscheint sie nicht wie die anderen Schülerinnen in schwarz mit einem weißen Schal, sondern mit einer "bunten" (d.h. grauen) Burka, wofür sie sich rechtfertigen muß …
Fünf Uhr am Nachmittag (Panj é asr) (R: Samira Makhmalbaf)
Fünf Uhr am Nachmittag (Panj é asr) (R: Samira Makhmalbaf)
Fünf Uhr am Nachmittag (Panj é asr) (R: Samira Makhmalbaf)
Fünf Uhr am Nachmittag (Panj é asr) (R: Samira Makhmalbaf)

Als Demokratie-Test werden die Schülerinnen gefragt, wer von ihnen Staatsoberhaupt werden will. Zusammen mit der 12jährigen Mina (eine Alterstrennung gibt es nicht) gehört Noqreh zu den Kandidatinnen und befasst sich fortan mit politischen Fragen, während Vater und Schwägerin Leylomah auf die Rückkehr von Noqrehs Bruder aus Pakistan hoffen, denn die Situation der kleinen Familie verschlechtert sich zusehends. Das von Bomben zerstörte Kabul wird von pakistanischen Flüchtlingen überlaufen, gemeinsam mit dem unterernährten Baby sucht man eine feste Bleibe und Wasser, muß unter anderem in einem Flugzeugwrack unterkommen. Noqreh lernt unterdessen einen aus Pakistan wiedergekehrten Dichter kennen, der sich aber für Politik nicht interessiert und so auch nicht Noqrehs Frage beantworten kann, ob Pakistan von einer Frau regiert wird. Dennoch hilft er Noqreh enthusiastisch bei ihrem "Wahlkampf", schießt mit ihr gemeinsam Photos für ihre "Plakate" (mit oder ohne Schleier, das ist hier die Frage).

Am selben Tag erfährt Noqrehs Vater vom Tod seines Sohnes und Noqreh vom Tod ihrer Mitschülerin Mina bei einem Anschlag. Ihr "Wahlkampf interessiert sie nicht mehr, sie kann sich nicht vorstellen, jemals vor Publikum zu sprechen - der Dichter rät ihr, das Lampenfieber vor einem tierischen Auditorium abzubauen, so wie er es mit seinen Gedichten halte. Daraufhin rezitiert er vor Noqreh und einigen Kühen und Schafen ein Gedicht, aus dem auch der Filmtitel entnommen ist. Ursprünglich kommt dieses Gedicht aus Spanien und ist einem toten Torero gewidmet - hier gebührt die Widmung einem verstorbenen Rind. Interessanterweise redet auch Noqrehs Vater inzwischen vorwiegend mit seinem Esel …

Wie diese sehr vereinfachte Inhaltsangabe des noch relativ optimistischen Teils des Films schon zeigt, bieten sich bei Fünf Uhr am Nachmittag viele Interpretationsmöglichkeiten, und auch das inzwischen für ein Weltpublikum sehr interessant gewordene Afghanistan sorgten für mehrere Preise beim letztjährigen Filmfestival in Cannes.

Doch ungeachtet der Existenzberechtigung solcher Filme, die einem westlichen Publikum Einblicke in solche Krisengebiete verschaffen, kann das Werk der jungen Regisseurin trotz Mitarbeit ihres berühmten Vaters (Reise nach Kandahar) bei Buch und Schnitt nur in Teilaspekten überzeugen. Die offensichtlichen Widersprüche in der Narration (Man kann teure Photos auf Pump schießen, lässt aber ein Kind verhungern) mag man noch als inszenatorisches Stilmittel deuten, doch spätestens, wenn man Samira im Interview relativ unreflektiert über Pablo Neruda, Rambo III, die Taliban und die Dokumentarfilmkarriere ihrer 14-jährigen Schwester sprechen hört, und sich die junge Regisseurin, die als Jurymitglied der letzten Berlinale so sympathisch erschien, allen Ernstes mit Satyajit Ray und Ken Loach vergleicht, fragt man sich, ob sie nicht ein wenig größenwahnsinnig geworden ist. Auch dieser Vergleich mag hinken, aber sie erscheint mir ein wenig wie Sofia Coppola - allerdings zu Zeiten von Life without Zoe oder The Godfather, Part III. Mit Schwarze Tafeln oder God, Construction and Destruction, ihrem Beitrag zu 11'09''01 - September 11 zeigte Frau Makhmalbaf viel Potential, doch Fünf Uhr am Nachmittag erscheint vor allem wie ein politisches Manifest oder ein "Kulturfilm", inszenatorisch fesseln kann der Film selten - und genau das sollte ein Film, der ein Weltpublikum aufhorchen lassen will und nicht nur zum Schlummern einladen.