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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

April 2004
Eva Lia Reinegger
für satt.org

Aus Liebe zum Volk
D/F 2004

Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)

Regie:
Eyal Sivan, Audrey Maurion

Buch:
Eyal Sivan, Audrey Maurion, Aurélie Tyszblat

Idee:
Gilles-Marie Tiné

Vorlage:
Bericht eines Ex-Offiziers der Staatssicherheit der DDR, aufgeschrieben im Februar 1990
(als Buch erschienen unter dem Titel: "Ausgedient - Nach Notizen eines Stasi-Offiziers, initiiert und bearbeitet von Reinhardt O. Hahn")

Dramaturgische Beratung:
Cornelia Klauss

Redaktion:
Anette Boderke

Kamera:
Peter Badel

Schnitt:
Audrey Maurion

Schnittassistenz:
Mirjam Strugalla, Nicolas Gundelwwein

Musik:
Christian Steyer, Nicolas Becker

Recherche Archiv:
Cornelia Klauss, Karin Fritzsche, Mirjam Strugalla

Ton und Sprachaufnahme :
Werner Philipp

Sprecher:
Axel Prahl

88 Min.

Kinostart:
22. April 2004

"Die Akte war unser Gedächtnis
und unsere stärkste Waffe"


Aus Liebe zum Volk



Bei seiner offiziellen Entlassung am 8. Februar 1990 wird der Stasi-Offizier Schwarz von seinem Chef zum ersten Mal in seiner Laufbahn mit Herr Schwarz angesprochen und nicht mehr mit Genosse Schwarz. Eine Ära ist vorüber. Herr Schwarz soll sein Büro im Ministerium für Staatssicherheit räumen, in dem er 20 Jahre lang als Beamter gearbeitet hat und das in den nächsten Stunden von den Demonstranten auf der Straße gestürmt und auf den Kopf gestellt werden wird.
Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)
Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)
Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)
Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)
Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)
Aus Liebe zum Volk (R: Eyal Sivan & Audrey Maurion)

Ein Anlass für ihn, einige Aufzeichnungen über sein Leben und seine Karriere bei der Stasi zu machen. Axel Prahl liest nun im Dokumentarfilm „Aus Liebe zum Volk“ den Bericht, den Schwarz verfasst hat und Prahl gelingt es meistens, wenn auch nicht immer, einen ironisierenden Tonfall zu unterdrücken. Den gesprochenen Text verweben die Regisseure mit Material aus dem Filmarchiv der Gauck-Behörde, das sie aufwändig recherchiert, ausgewählt und montiert haben. Während wir die Aufzeichnungen des Stasi-Beamten Schwarz hören, der noch einmal seine Überzeugungen kundtut und sich dabei manchmal beim Lyrisieren gefällt, sehen wir Aufnahmen aus Überwachungskameras der Staatssicherheit, die seinen Bericht bebildern. , in denen sich Menschen über Kofferräume von Autos beugen, Briefe einwerfen, gemeinsam Häuser betreten, Müll wegwerfen und vollgestopfte Einkaufstüten tragen. Allesamt Verdachtspersonen - potentielle oder tatsächliche „Andersdenkende“, wie sie im Fachjargon der Stasi hießen - bei der Ausübung verdächtiger Handlungen. Es ist der Blickwinkel des „Spießers“ aus dem die Kameras der Stasi auf das Banale schauen. Tausende von archivierten Bildern dokumentieren letztlich vor allem eines, einen paranoiden Blick, der in seiner medialen Umsetzung vom Phantasma der totalen Sichtbarkeit und umfassenden Kontrolle zeugt. „Aus Liebe zum Volk“ erzählt uns von der Miefigkeit der Bürozimmer, der Piefigkeit der Akteneinträge, von der machtvollen Elite eifriger Schreibtischhelden, die auch dann, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten, nicht bereit sind, zumindest eine innere Distanz zu dem, was sie tun, aufzubauen. Als Schwarz von einem Kollegen und Freund angezeigt wird, weil er West-Fernsehen geschaut hat, nimmt er das zum Anlass sich wie ein reuiger Chorknabe vollends der Sache zu verschreiben und der Versuchung ab sofort zu widerstehen.

Die assoziative Montage, für die die Regisseure sich entschieden haben, lässt dem Zuschauer Raum, sich seine Gedanken zu machen, sich zwischen Bild und Ton hin und her treiben zu lassen, die sich nicht gegenseitig versklaven, sondern sich oftmals voneinander lösen, ihre je eigene Geschichte erzählen. Dennoch plätschert der Film vor sich hin ohne uns wirklich etwas zu sagen. Liegt es an den Bildern selbst, die in dem was sie zeigen so gar keine Verbindung herzustellen scheinen zu etwas Skandalösem, zu einer Bedrohung des Einzelnen durch den Staat bspw. Oder liegt es daran, dass Überwachungsaufnahmen schon so sehr zu unserer Bilderfahrung gehören, dass wir das Perfide daran nicht mehr wahrnehmen, den Übergriff nicht mehr empfinden können?

Zwei Szenen fallen dabei heraus. In einer sehen wir einen Schuldirektor, der von einem Stasi-Beamten verhört wird. Der Mann hat einen Ausreiseantrag gestellt, versucht zusammen mit seiner Frau außer Landes zu kommen. Der Beamte ist ruhig und freundlich, lässt ein Wasser bringen, um das der Inhaftierte bittet. Die beiden sprechen sehr gesittet miteinander. Dann fragt der Direktor, wo man seine Frau hingebracht habe. Der Beamte ergeht sich in Andeutungen und Rückfragen. Eine andere Szene zeigt die Verhaftung einer Frau. Man bittet sie mitzukommen und in einen Transporter zu klettern. Ihre drei Kinder sind dabei. Die älteste Tochter, vielleicht zehn Jahre alt, weint und tobt und wehrt sich, als die Männer sie auf den Laster heben. In diesen Momenten, in denen wir die Stimmen der Menschen hören, werden Lebensgeschichten, Wünsche und Gedanken erahnbar, Traumata vorstellbar. Der Schuldirektor scheint noch Vertrauen zu haben in die Einsicht eines Staates, dessen Idee er vielleicht einmal unterstützt hat. Der Stasi-Beamte aber verhandelt nur noch, um Namen, um Informationen, um ein geheimes Netzwerk, das er immer und überall vermuten muss.

Wenn die Telefonmitschnitte am Ende des Films, kurz vor dem Mauerfall, bezeugen, wie Bürger der DDR der Stasi noch in den letzten Minuten Futter liefern, Aktionen und Personen denunzieren, wird vollends klar, dass dieser Staat sich beim Kampf gegen seine Zersetzung selbst zersetzt hat.

Nicht nur einmal weist Genosse Schwarz darauf hin, dass alle Staaten Geheimdienste haben, dass sie „Sicherheitspolitik“ betreiben. Neidvoll habe man gen Westen geschaut, wo man mit weit weniger, weil besserem Equipment viel mehr Leute überwachen konnte, berichtet er. Wie recht er damit hat, sollte man nicht vergessen. Würde die umfassende Ausstattung mit Überwachungskameras in der gesamten Republik uns andere Bilder liefern als die, die wir hier zu sehen bekommen? Was würde die Aktenlage hiesiger Archive preisgeben, was würden die Telefonmitschnitte uns über diese Gesellschaft verraten?