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Januar 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Deep Blue
UK/D 2003

Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)

Regie:
Alastair Fothergill, Andy Biatt

Buch:
Tim Ecott, Alastair Fothergill, Andy Biatt

Kamera:
Doug Allan, Peter Scoones, Rick Rosenthal u. v. a.

Schnitt:
Martin Elsbury

Musik:
George Fenton, Berliner Philharmoniker

Sprecher (im Original):
Michael Gambon

Kinostart:
29. Januar 2004

Deep Blue



"Deep Blue" sieht sich als dokumentarisches Kinoereignis im Gefolge von Filmen wie "Mikrokosmos" oder "Nomaden der Lüfte" und entstand parallel zur erfolgreichen TV-Serie "The Blue Planet" als erste von fünf geplanten Kino-Co-Produktionen der deutschen Firma Greenlight Media mit der BBC. Mit einem gemeinsamen Budget von 15 Millionen Dollar wurde im Verlauf von drei Jahren (Juni 1998 bis Juni 2001) der Lebensraum Wasser auf der Erde ausgiebig ausgeleuchtet.


Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)

Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)

Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)

Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)

Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)

Deep Blue (R: Alastair Fothergill & Andy Biatt)
Bilder © BBC Worldwide/Greenlight Media AG

"Deep Blue" ist nicht, wie der Titel andeuten könnte, ausschließlich eine Tiefsee-Doku, um das mannigfaltige Material etwas zu ordnen, beginnt der Film sogar in den Wolken, geht dann an die Wasseroberfläche, macht einen Abstecher in die Arktis zum gefrorenen Wasser, und erst nach ca. einer Stunde dringt man in das Gebiet vor, das laut Sprecherkommentar weniger erforscht ist als der Weltraum …

Aber alles der Reihe nach. Auffallend bei "Deep Blue" ist der weitestgehende Verzicht auf den üblichen Sprecher, der die Paarungsgewohnheiten der Riesenschildkröten erklärt, oder eine disneytypische künstlich eingeführte Narration (Der große Puma hat es nicht geschafft, den Hirsch zu erlegen, jetzt versucht Puma jr. sein Glück bei einem Stinktier …). Der Film verlässt sich ganz auf die Kraft seiner Bilder, auf die Rhythmik der Montage, etwa in der Tradition der Ruttmannschen Symphonie oder Godfrey Reggios "Koyaanisquatsi". Gerade zu Beginn, wenn die Urgewalt des Ozeans anhand zeitlupengebremster, schwerelos erscheinender Riesenwellen demonstriert wird, macht man reichhaltigen Gebrauch von Überblendungen - und natürlich von einem bombastischen Soundtrack, der die Stuhlreihen so vibrieren lässt, als klatsche draußen wirklich eine Sturmflut gegen den Kinosaal. Mit dem ersten Auftritt der Albatrosse kommen verfremdete Vogeltöne dazu, die wie bei Bernard Hermann zu einem Bestandteil der Musik werden.

Der erste Höhepunkt des Films sind dann die Unterwasseraufnahmen eines Fischschwarms, der zunächst von Delphinen dezimiert wird, bis dann auch die Albatrosse sich wie Pfeilgeschosse ins Wasser bohren, etwa drei Meter unter der Oberfläche ein paar Tauchbewegungen machen, und sich mit zumeist vollem Schnabel wieder aus dem Staub machen. Als dann auch noch ein Wal dazukommt, bekommt man einen ungefähren Einblick in das chaotische Gleichgewicht der Natur, und die wenigen, vermeintlich tiefschürfenden Kommentare des ehemaligen Shakespeare-Experten Michael Gambon ("The Singing Detective", "Toys", Mordopfer in "Gosford Park") erinnern mich wieder an die erfolgreiche Disney-Hamlet-Adaption und den "Circle of Life".

Manchmal wird es unerträglich pathetisch, und Passagen wie die zeitrafferbeschleunigten Krebse, die zu südamerikanischen Fußball-Rhythmen das (Strand-)Feld abschreiten, sind offensichtlich als "Comic Relief" (für Kinder??) gedacht, stören aber etwas den Ablauf des Films.

Einiges im Film ist sicher nicht für zartbesaitete Zuschauer geeignet, insbesondere Orcas machen ihrer deutschen Bezeichnung "Killer-Wale" alle Ehre, und an "Free Willy" denkt sicher keiner, wenn sie jugendliche Seelöwen meterweit durch die Luft schmeißen oder in der Gruppe versuchen, ein Waljunges von seiner Mutter zu entfernen - um sich eine Zwischenmahlzeit namens Walzunge zu gönnen.

Auf dem Meeresgrund ist es später tiefste Nacht, und im Scheinwerferlicht sieht man oft nur die Schatten von Haien, die vergleichsweise human erscheinen. Da man ebenso wie im Weltall tief im Meer eigentlich eher wenig hört, werden die Geräusche dort durch den Komponisten verstärkt. Wenn ein Hai knapp an der Kamera vorbeihuscht, macht das ungefähr so ein Geräusch, als wenn der Kampfstern Galactica durch den Kosmos rauscht. Manch Purist mag sich daran stören, daß durch filmische Mittel wie den Ton oder das Scheinwerferlicht, das von den farbenprächtigen Schuppen reflektiert wird, der Natur etwas "nachgeholfen" wird, aber ist das nicht allgemeine Praxis bei solchen Filmen?

Wenn eine Taucherglocke in einen Abgrund absinkt, um uns nie zuvor gesehene Bilder zu präsentieren, sieht man erstmals die Filmemacher selbst. Zuvor war zwar die Kamera mitunter mittendrin in einer nächtlichen feeding frenzy, bei der mancher Hai leblos auf dem Grund liegenblieb, aber wie diese Bilder eigentlich eingefangen wurden, das wird nicht verraten. Vielleicht muß man dafür die Fernsehserie schauen …

Die Kamera taucht langsam wieder auf, es gibt noch eine Reprise des Delphin-Albatross-Sardinen-Balletts, und schließlich erhebt man sich zum Nachspann wieder in die Lüfte.

Mein Kollege Simon meinte, er hätte bei "Finding Nemo" mehr über den Lebensraum Meer gelernt (Offensichtlich weiß nicht jeder es zu schätzen, wenn der Kommentator auch mal schweigt), aber meines Erachtens bleiben zumindest die Bilder dieses Films (den ich genau einen Tag nach "Finding Nemo" sah), länger im Gedächtnis: Ein wahnwitziger Eisbär, der sich auf Belugawale stürzt, die zum Atmen bei einem Eisloch an die Oberfläche kommen; Kaiserpinguine, die wie Torpedos aus dem Wasser geschossen kommen - und auf ihrer Plauze landen; ein nächtliches Korallenriff mit Fischen, die kaum von Pflanzen zu unterscheiden sind … "Deep Blue" ist wirklich ein Kinoereignis - ein Film, wie man ihn im IMAX sehen will, aber dort nicht bekommt.