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August 2003
Benjamin Happel
für satt.org

Henry Fool
USA 1998

Henry Fool (R: Hal Hartley)

Buch
und Regie:
Hal Hartley

Kamera:
Michael Spiller

Schnitt:
Steve Hamilton

Musik:
Hal Hartley

Darsteller:
Thomas Jay Ryan (Henry Fool), James Urbaniak (Simon Grim), Parker Posey (Fay), Maria Porter (Mary), James Saito (Mr. Deng), Kevin Corrigan (Warren), Liam Aiken (Ned) , Miho Nikaido (Gnoc Deng), Gene Ruffini (Officer Buñuel)

Kinostart:
14. August 2003

Henry Fool




Henry Fool (R: Hal Hartley)


Henry Fool (R: Hal Hartley)


Henry Fool (R: Hal Hartley)


Henry Fool (R: Hal Hartley)

Der Bleistift füllt die ganze Leinwand und senkt sich langsam auf die erste Seite des noch leeren Notizblocks. Der Beginn des Schreibens ist ein herausgehobener Moment in Henry Fool, dem neuen Film von Hal Hartley. Der Beginn des Schreibens: eines Schreibens, das zu einer Karriere werden wird, von deren Größe sich weder der schreibende Simon (James Urbaniak) noch sein Mentor Henry (Thomas Jay Ryan) eine Vorstellung machen. Es gibt mehrere Momente wie jenen, in dem Simons zweites Leben beginnt, sein Leben in der Literatur, mehrere Momente, in denen Objekte oder Gesichter das Blickfeld füllen und die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich ziehen. Die Kamera bleibt nahe bei ihren Helden, als zeichne sie die oftmals farbig ausgeleuchteten Gesichter langsam nach, und auch der Regisseur verfolgt seine Figuren langsam und eindringlich, bringt sie einem nahe, so nahe, wie man ihnen emotional gar nicht sein möchte: Es wird dem Zuschauer nicht einfach gemacht, eine ungebrochen positive Beziehung zu Henry Fool, dem eigentlichen Hauptdarsteller des Filmes zu haben - so sympathisch er in seinem Wesen als armer Poet anfänglich gezeichnet wird, so abgründig sind die Geheimnisse, die er mit sich herumträgt.

Henry Fool ist mittlerweile bereits sechs Jahre alt, 1997 wurde das Drehbuch in Cannes ausgezeichnet. An manchen Stellen merkt man dem Film diese Jahre an, doch gerade dies macht ihn zu einem sympathisch anachronistischen Augenblick in der Kinolandschaft: Aus der Geschichte spricht der ironische Blick auf den Geist des Aufbruchs, der den mittlerweile spektakulär geplatzten Internet-Hype beflügelte. Die Sprache der Bilder ist in ihrer Derbheit und Schwere eine ebenso starke künstlerische Umsetzung des Lebensgefühls des Fin-de-Siècle, wie es dem Werk Simons von einer Kritikerin im Laufe des Films attestiert wird. Das Werk Simons: ein Gedicht von epochalen Ausmassen, mehrere Bände sind es, die der ehemalige Müllmann niederschreibt, nachdem Henry, der mittellose Schriftsteller, in sein Leben kam. Worte von obszöner Kraft und kantiger Schönheit, wie man an den Reaktionen der vielen Menschen ablesen kann, die Simons Arbeit im Laufe des Films zu Gesicht bekommen. Dem Zuschauer im Kino werden die Worte des Künstlers vorenthalten, und das ist die richtige Entscheidung: im Faust, im Kaspar Hauser und in der Beziehung von Joyce zu Beckett habe er Inspiration für seinen Film gefunden, sagt Hartley, und der Verweis auf all diese großen Vorbilder wäre womöglich nur ein wenig unbeholfen, wenn man Simons eigenes literarisches Schaffen zu sehen und hören bekommen hätte. Übrigens kann getrost angenommen werden, dass enormen Einfluß auf Hartleys Filmsprache auch Buñuels ästhetisierende Bilder von Gewalt und Sexualität hatten - sein Name findet sich im Kreis der Filmfiguren wieder.

Hartley erzählt ungemein liebevoll und einfühlsam von all den Personen, die seinen Film bevölkern - selbst jene, die die schlimmsten Verbrechen begehen, sind nie mit Zynismus oder Hass gezeichnet und auch in den trostlosesten Momenten entdeckt Hartley Schönheit und Poesie. Simons Schwester, die in beständiger Angst vor dem Altern lebt und langsam immer mehr dem Charme Henrys verfällt, Simons Mutter, deren psychische Labilität in einem gefährlichen Gleichgewicht schwebt oder die Wahlhelfer für den ultra-rechten Abgeordneten, der kurz vor der Wahl steht und es auch nicht verabsäumt, in einem Fernsehauftritt eine Hasstirade über Simons Poesie auszugießen: sie alle sind nicht weniger glaubhaft und genau beobachtet als Hartleys Hauptfiguren.

Henry Fool ist ein Film über das Schreiben, aber auch und vor allem über all das, was zum Schreiben führt und verleitet: Simon ist ein Gefangener in seinem Leben als New Yorker Müllmann. Ein Gefangener auch in einem selbst auferlegten Denken, von dem er durch Henry befreit wird, der ihm zeigt, dass man seine Begierden offenlegen muss, um ein verborgenes Genie zu finden - auch wenn Henry selbst gleichzeitig das furchtbare Beispiel dessen ist, was geschieht, wenn dieser Versuch mangels Talent scheitert und zur bloßen Fassade wird. Schließlich ist Henry Fool aber auch ein Film über bedingungslose Freundschaft, und damit hat sich Hal Hartley, der von seinem Film als "episch" spricht, tatsächlich zahlreiche große Themen vorgenommen. Mit Erfolg.