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Mai 2002
Thomas Vorwerk
für satt.org

Human Nature
USA 2002

Human Nature

Regie:
Michel Gondry

Buch:
Charlie Kaufman

Kamera:
Tim Maurice-Jones

Schnitt:
Russell Icke

Musik:
Graeme Revell

Art Direction:
Peter Andrus

Darsteller:
Tim Robbins (Nathan Bronfman), Patricia Arquette (Lila Jute), Rhys Ifans (Puff), Miranda Otto (Gabrielle), Robert Forster (Nathans Vater), Mary Kay Place (Nathans Mutter), Rosie Perez (Louise), Miguel Sandoval (Wendall, der Therapist), Anthony Winsick (Wayne Bronfman)

Kinostart: 3. Juni 2004

Human Nature



Wie ein Animatronics-Kinderfilm á la »Babe« oder »Stuart Little« beginnt diese Geschichte: Zwei Mäuse auf der Flucht vor einem Raubvogel. Dabei stößt die Kamera auf zwei Füße, ähnlich wie bei »The Trouble with Harry«. Diese vermeintlichee Leiche läßt uns das Schicksal der Mäuse schnell vergessen und in Flashbacks wird die Geschichte von den drei Beteiligten erzählt:

Lila hat keine Angst vor dem Gefängnis, weil sie Zeit ihres Lebens in ihrem Körper eingesperrt war. Was sich zunächst wie eine flaue Feministinnenparole anhört, offenbart sich als ein interessantes Schicksal. Lila, die seit ihrer Pubertät mit übermäßiger Behaarung gestraft war, verdient sich ihren Lebensunterhalt schon mal als »Queen Kong« in irgendwelchen zwielichtigen Etaiblissements. Doch eigentlich will sie vor allem a) geliebt werden und b) sich nicht mehr ihres Körpers schämen. Wird sie diese beiden Ziele verwirklichen können?

Nathan ist ein Opfer seiner Erziehung. Wenn er beim Abendessen die falsche Gabel nimmt, schickt man ihn auf sein Zimmer. Später wird er als Wissenschaftler Mäusen beibringen, was er als Kind nicht zu meistern in der Lage war. Bis er das ultimative Versuchsobjekt findet …

Puff wuchs in der Wildnis auf. Er ist eine Art Mischung aus »Wolfsjunge«, Tarzan und Mogli, bis er von Nathan und Lila entdeckt wird und Nathan versucht, aus ihm einen der Zivilisation entsprechenden intelligenten Menschen zu machen.

Drehbuchautor Charlie Kaufman war schon für »Being John Malkovich« verantwortlich, und in diesem Film sieht man diverse Themen wieder auftauchen. Zum Beispiel auch die »zweite Frau«, eine französische Laborassistentin namens Gabrielle, die einiges durcheinanderbringen wird. Doch auch an die Filme der Farrelly-Brüder oder Wes Andersson wird man erinnert, nur daß hier der Humor nicht so plakativ politisch unkorrekt ist und man sich im Gegensatz zu »The Royal Tenenbaums« wirklich für das Schicksal der Protagonisten interessiert, auch wenn sie mitunter eindimensional und klischeehaft daherkommen.

Der Regisseur von »Being John Malkovich«, Spike Jonze, gehörte neben Kaufman zu den Produzenten, und interessanterweise gibt es eine Verbindung zum Regisseur Gondry, die auch im Film zu tragen kommt. Wie Jonze ist Gondry nämlich zuvor vor allem als Videoclip-Regisseur bekannt geworden, und das sieht man dem Film an. Und wer jetzt glaubt, das sei ein negatives Urteil gewesen, hat offenbar nie einen der Videos gesehen, die Gondry für Björk inszenierte. Schon »Human Behaviour« überzeugte durch die Bildsprache, und auch bei den Wald-Szenen in »Human Nature« gibt es mitunter eine gewollte Künstlichkeit, die zu den Stärken des Films gehört. Wie die zeitgeraffte Evolutionsgeschichte in Fatboy Slims »Right Here Right Now« (zugegebenermaßen von Jonze und nicht von Gondry inszeniert) bewegen sich die Charaktere hier durch einen Wald, der vor allem emblematisch und symbolhaft zu verstehen ist. Die Zurschaustellung der Bestseller-Bücher einer der Charaktere erinnerte mich nicht nur (wie der jüngere Bruder Nathans) an Wes Anderson, sondern auch an die narrativ ähnlich verstrickte Geschichte im Björk-Video »Bachelorette«.

Und all diese visuellen Ideen gehen Hand in Hand mit einem überzeugenden, aber dennoch verspielten Skript, das durch die Darstellungen insbesondere des in einen Dandy mutierenden Naturmenschen Puff (Rhys Ifans, bekannt aus einer ähnlichen Rolle in »Notting Hill«) und den hier besonders langweilig (aber irgendwie auch liebenswerten) Tim Robbins trotz aller Künstlichkeit zum Leben erweckt wird. Diese ganze Thematik und die Vorführung des »geheilten« Halbaffen erinnern mich an Mel Brooks’ »Young Frankenstein«, einen der unterschätztesten Filme der 70er Jahre, aber mitunter regt der Film einen zwischen den Lachsalven auch an, über die ihm innewohnenden Fragen, die auch bereits in den 70ern bei »A Clockwork Orange« diskutiert wurden, nachzudenken.

Ein Film, der das Auge verwöhnt, der mit immer neuen Überraschungen aufwartet, der witzig ist und auch noch zum Denken anregt, und dabei auch noch eine Richtung für das moderne Mainstreamkino einschlägt, die vielleicht nicht in eine evolutionäre und kommerzielle Sackgasse führt.

Kurzum: Das Kino der Ideen wird überleben!