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Juli 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org


Ressources humaines
F 1999

Ressources humaines

Regie:
Laurent Cantet

Buch:
Laurent Cantet, Gilles Marchaud

Kamera:
Matthieu Poirot Delpech, Claire Caroff

Darsteller:
Jalil Lespert, Jean Claude Vallod, Chantal Barre, Véronique de Pandelaere, Michel Begnez, Lucien Longueville, Danielle Melador

Kinostart:
27. Juli 2001




"Ressources humaines", so ähnlich könnte man die im Kälteschlaf festgehaltenen Wissenschaftler an Bord der "Discovery" nennen, die der Bordcomputer HAL 9000, der bei Fehlermeldungen lieber von "menschlichem Versagen" ausgeht als an seiner eigenen Perfektion zu zweifeln, während der "Odyssee im Weltall" in der wohl klinischsten Tötungsszene der Filmgeschichte entsorgt.

Im Kubrick-Jahr 2001 ist es weder der Griff nach den Sternen noch der Kampf Mensch gegen Maschine, der die Filmemacher beschäftigt. Sowohl die Bedürfnisse als auch die Widersacher der Protagonisten auf der Leinwand können ruhig mal eine Nummer kleiner sein, ohne daß das Konfliktpotential dadurch gemildert würde. Benicio del Toro in "Traffic" und Julia Roberts als "Erin Brockovich" bekamen im Frühjahr je einen Oscar dafür, daß sie vor allem um ihren Job, und nur am Rande um die Gerechtigkeit kämpften. Doch viel offensichtlicher ist dies natürlich im europäischen Kino, wo ein wenig "Intimacy" das einzige Bedürfnis ist, wo Julia Hummer in "Die innere Sicherheit" nur ein ganz normales Mädchen sein will, und wo Emilie Dequenne in "Rosetta" mit Händen und Füßen um ihren Job kämpft.

Jalil Lespert und Jean-Claude Vallod in "Resources humaines" wollen auch nur ihren Job machen. Der Sohn Frank (Lespert) kehrt nach dem Pariser Studium an der "Business School" im schnieken Anzug zurück zu den Eltern in die Provinz, um ein Praktikum in der Personalabteilung jener Fabrik anzutreten, wo sein Vater (Vallod) seit dreißig Jahren an der Stanze steht. Der Junge sollte es ja mal besser haben, dafür hat Papa jahrelang geschuftet, damit der Sprößling dieses nicht tun muß, sondern sich in den oberen Etagen ein Bäuchlein anfressen kann. Doch nachdem Frank den Fabrikchef mit der Idee einer Umfrage unter den Arbeitern begeistert, die der ewig querschießenden Gewerkschaft den Wind aus den Segeln nehmen soll, stolpert er über einen Brief, der nicht für ihn gedacht war, und muß erkennen, daß er mit dazu beigetragen hat, daß sein Vater bald entlassen werden wird. Nun entwickelt Frank ein soziales Gewissen, er will seinen Job dafür riskieren, den seines Vaters zu retten. Doch dieser hat doch all die Jahre dafür geknechtet, daß der Sohn es besser haben soll. Er kann nicht verstehen, warum sein Sohn ihn jetzt so hintergeht, all seine Bemühungen zunichte machen will.

Dem jungen Regisseurs Laurent Cantet gelingt es in seinem Debütfilm, mit subtilen Mitteln eine angespannte Atmosphäre zu entwickeln, nicht so verzweifelt wie in Bruno Dumonts in "L´Humanité", nicht so optimistisch wie in Bertrand Taverniers "Es begint heute". Der Generationskonflikt, der sich vor allem in der politischen Anschauung und in der Wahl der Mittel äußert, findet auch hier keine Lösung.

"Resources humaines" bedient sich statt plakativer filmischer Mittel einer dokumentarische Ästhetik, die einzig die Geschichte in den Vordergrund stellt. Hier ist das eine innerbetriebliche Hackordnung, die jederzeit präsent ist, wenn etwa die Blaumänner, Kittelträger und Anzugmenschen in der Kantine strikt getrennt werden. Gleich an seinem ersten Arbeitstag verhindert ein Vorarbeiter, daß Franks Vater ihm "seine" Maschine zeigt, weil das "nicht den Sicherheitsbestimmungen entsprechen" würde. Kaum ist der niedere Arbeiter von dannen gezogen, erlaubt man es dem besser stehenden Praktikanten, der rein zufällig vom Arbeiter abstammt, die Fabrik im Alleingang zu besichtigen. Zu diesem Zeitpunkt des Films sieht man die Fabrik mit den Augen Franks, als ein Außenseiter, der zunächst einmal eingeschüchtert wird von farbenfrohen Plakaten, die mit Mausefallen und Angelhaken an die Gefahren am Arbeitsplatz erinnern, in ihrer kindlichen Naivität aber eher in eine Vorschule gehören würden. Frank, der sich mit gebührendem Respekt den Maschinenstraßen nähert, wird dadurch zu einem staunenden Kleinkind, das erst, als es den Vater erblickt, wieder Vertrauen findet. Doch während er sich dem Vater nähert, befürchtet der Zuschauer bereits ein abgekatertes Spiel, er rechnet mit einer provozierten Unachtsamkeit an der Stanze, die die Machtverhältnisse klarstellen soll. Wer selbst jahrelang miterleben durfte, wie die Aufschnittmaschine in der elterlichen Großküche immer mal wieder Fingerkuppen forderte, kann von einer solchen Grundspannung, die der Film nie auflöst, schnell ergriffen werden, ähnlich wie es in Lars von Triers "Dancer in the Dark" geschah, wo die fast blinde, ungeheuer verletzlich wirkende Selma sich entweder in der Musik der Maschinen verlor oder in der Nachtschicht ihrem Stundensoll hinterherlief, und selbst der blauäugigste Betrachter eine Gefahr ahnte, die nicht nur von den Metallstanzen ausgeht.

Doch "Ressources humaines" ist -wie gesagt- kein Film über den Kampf "Mensch gegen Maschine", kein Plädoyer gegen die Unmenschlichkeit der Fließbandarbeit wie Chaplins "Moderne Zeiten". In heutigen Zeiten ist die Fließbandarbeit ein toleriertes Übel im Kampf contra die Arbeitslosigkeit und pro die Normalität.

Der große Feind jedes Lebewesen auf dieser Welt, und somit auch des Menschen, ist nicht der Computer, sondern der Mensch höchstpersönlich. Und das natürlich mit all seinen zivilisatorischen Hilfsmitteln, was hier weniger elektronische "Windows", sondern herkömmliche Wände, Türen und Fenster sind. Nachdem Frank, als er sich wie befohlen von seinem Vater losgesagt hatte, die Fabriktür geöffnet wurde, behandelt ihn der Chef wie den verlorenen Sohn, dem er am liebsten eine Chefposition in einem Schwesterbetrieb verschaffen würde. Doch plötzlich tauchen wieder Türen auf, die Frank ausschließen. Eine geheime Konferenz wird ohne ihn abgehalten, später unterhält sich der Chef mit Franks Vorgesetztem in dessen Büro, und weil die Glaswände noch zuviel verraten würden, läßt man die Jalousien herunter, was dann spätestens wieder an den lippenlesenden Computer Hal erinnert. Wie dieser läßt auch Frank sich seine Informationen nicht mehr vorenthalten, wie Bowman in "2001" bricht Frank schließlich er in das Fabrikgebäude und nutzt die Waffen seiner Feinde, indem er allein entscheidet, welche Informationen er zu welchem Zeitpunkt wem zukommen läßt, und welche Türen er verschließt. Schließlich sieht der Chef sich genötigt, seine eigenen Türen aufzubrechen, doch auch die Umorientierung des Films auf offene, freie Plätze, auf Außenaufnahmen, kann nicht für eine Entspannung der Lage garantieren.